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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Der Spanier mit den blauen Augen

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Unwort, Umfrage, Alternativ

Für die Sportnation Deutschland sind olympische Goldmedaillen fast schon ein krampfhaftes Muß. Für die Spanier hingegen sind Goldmedaillen bei Winterspielen eher die exotische Ausnahme. Während der Siegeszug des gebürtigen Allgäuers Johann Mühlegg in Salt Lake City den deutschen Goldnarzißmus kränkte, sonnte sich Spanien mit – wenn auch gespaltenem – Nationalstolz im Gold „Juanitos“. Mit dem Doping-Fall fand jetzt ein interessanter, unterschwelliger Streit zwischen spanischen und deutschen Empfindlichkeiten sein vorläufiges Ende. Während der diesjährigen Olympischen Spiele stand im täglichen Medaillenspiegel der Tageszeitungen, Deutschland säuberlich nach Goldenen aufgereiht, auf Platz zwei hinter Norwegen. Als Johann Mühlegg mit seinem Sieg beim Verfolgungslauf über 20 Kilometer sein zweites Gold für Spanien geholt hatte und ihm eigentlich der Platz vor Österreich und Rußland zugestanden hätte, fand im Medaillenspiegel Spanien nicht statt. In Spanien hingegen hatte der hochgewachsene „Juanito“ Mühlegg, die spanische Flagge im Arm, die Titelseiten der meisten Tageszeitungen gefüllt. Doch auch im Lande der Wintersportgebiete Sierra Nevada und Pyrenäen, Picos und Gredos ist die nationale Seele geteilt: „Juanito me chupa las narices“, zitierte die Presse Francisco „Paquito“ Fernández Ochoa, Spaniens ersten winterlichen Olympiagoldgewinner, der 1972 in Sapporo den Slalom für das Königreich gewonnen hatte: „Johannchen geht mir am … vorbei“, wäre die passende Übersetzung. „Kein Mensch hat auf die spanischen Langläufer je auch nur eine Minute verschwendet“, beschwerte sich der Sportler beim Skilaufen in Jaca, „und jetzt bläst man sich im Fernsehen mit Schwachsinn um diesen da auf.“ Der zweite positive Doping-Test am 25. Februar, mit dem die dritte Goldmedaille „Juanitos“ endgültig annulliert wurde, setzte dem transnationalen Streit um das Ski-Phänomen aus dem Allgäu ein Ende. Bei der Schlußveranstaltung durfte Mühlegg nicht die spanische Fahne tragen, und auch der Empfang bei Spaniens König Juan Carlos wurde vorerst abgesagt. Wo Spanien darauf gehofft hatte, sich vor der Welt nicht nur als Land der Sonne und Strände, sondern auch als Wintersportgebiet erster Güte zu profilieren, wird jetzt Spott geerntet. Die Hoffnung, nach der Ski-WM 1995 in Granada nun eine Olympiade nach Jaca in die Pyrenäen zu holen, ist vorerst erloschen. Jetzt bleibt abzuwarten, wie Mühl-egg und der spanische Sportverband den unsportlichen Einbruch bei der Olympiade verarbeiten. Denn wenn es gelingt, die Sanktionen zu mindern und „Juanito“ doch noch in die Landschaft des spanischen Wintersports einzugliedern, dann stellt sich in spätestens zwei Jahren zur WM wieder die Frage: Ist er es nun? Oder ist er es nicht? „Der Spanier“ – auf diesen Zusatz verzichtete kein Medium, als Johann Mühlegg bei den Winterspielen in Salt Lake City eine weitere Goldmedaille für das Königreich eingeheimst hatte. Der Zusatz war notwendig, denn spätestens der Nachname des Langläufers geht nicht nur spanischen Nachrichtensprechern bis heute nicht gerade leicht von der Zunge. Bis zum Bekanntwerden der Epo-Probe gab man sich weltoffen und akzeptierte fast einhellig den Fahnenwechsel des Langlauf-Stars „Juanito“, schaute über dessen Nationalisierungs-Angebote an Italien und die USA hinweg. Daß dieses Bild durch die Doping-Affäre Risse bekommen würde, war absehbar. Ausgerechnet an einem Wahl-Spanier, der als neuer Indurain des iberischen Sports galt, hängt nun das gleiche Stigma, wie seinerzeit an Rekord-Sprinter Ben Johnson. Noch kann von einem Bruch mit Mühlegg nicht die Rede sein. Doch der Mythos steht vorerst frei zum Abschuß: Die spanische Presse verbreitet genüßlich Details über die portugiesische Seherin, mit der sich das Ski-As umgibt, sowie über die Vorwürfe des Bösen Blicks und andere Sonderlichkeiten aus dem Leben Mühleggs. Auch daß der Arzt der spanischen Mannschaft nicht für die Medikation des Olympioniken zuständig ist, wird festgestellt, der Ausnahme-Sportler agiere auf eigene Rechnung. Die Online-Ausgabe der Tageszeitung ABC stellte – natürlich – sofort die Gretchenfrage an ihre Leser: „Sind es aus Ihrer Sicht spanische Medaillen, die Johann Mühlegg errungen hat?“ Die Antwort, auch wenn nicht repräsentativ, ist erstaunlich klar: Für drei Viertel der Abstimmungsteilnehmer hängen die Goldscheiben am rot-gelb-roten Band der spanischen Farben. Selbst Ministerpräsident und Hobby-Langläufer José María Aznar brach eine Lanze für den gefallenen Sportengel. Er rief den für Sport zuständigen Staatssekretär Javier Gómez Angulo an, er möge Mühlegg in diesen für ihn so schwierigen Zeiten nicht alleinlassen. Ein Glückwunschtelegramm wie für die ersten beiden Medaillen gab es aber nicht. Nur die Audienz beim spanischen König fällt vorerst aus. Menschliches Verständnis für den Pakt mit dem Doping-Teufel brachte selbst der Präsident des Olympischen Komitees Spaniens, Alfredo Goyeneche, auf: Er könne sich vorstellen, daß sich Mühlegg nach den vorangegangenen Strapazen „sehr müde“ gefühlt habe und sich deswegen mit Epo auf die 50-Kilometer-Distanz vorbereitet hätte. Sogar Spaniens einsamer Ski-Grande, Francisco Fernández Ochoa, schloß die Reihen und erklärte, Mühlegg habe „seine volle Unterstützung“. Er könne sich nicht erklären, was vorgefallen sei. Doch auch jetzt fügte Fernández Ochoa hinzu, was er sicherlich nicht alleine denkt: Er würde sich mit Mühlegg „mehr identifizieren, wenn es sich um einen Jungen aus Cuenca“ oder einem anderen Ort Spaniens handeln würde. Auch wenn Spanien insbesondere in den Urlaubsregionen durch Dauerurlauber, Frührentner und Aussteiger aus dem Norden eine drastische Zuwanderung erlebt, fühlt es sich nicht als Einwanderungsland und will sich nicht mit blonden, blauäugigen, mit starkem deutschen Akzent sprechenden Zugereisten identifizieren – selbst wenn diese mit außergewöhnlichen sportlichen leistungen überzeugen sollten. In Deutschland wohl undenkbar.

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