BERLIN. Die Zahl des „bandenmäßigen Leistungsmißbrauchs“ beim Bürgergeld hat sich im vergangenen Jahr beinahe verdoppelt. Insgesamt wurden 421 Fälle registriert, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen mitteilte. Zuerst hatte die Rheinische Post berichtet. Demnach zogen 209 Fälle eine Strafanzeige nach sich.
Noch im Vorjahr hatten die Behörden 229 Fälle von „bandenmäßigem Leistungsmißbrauch“ verzeichnet, davon führten damals 52 zu einer Anzeige. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Timon Dzienus kritisierte vor dem Hintergrund den Diskurs über Sozialleistungen. „In der Debatte um das Bürgergeld braucht es mehr Sachlichkeit statt polemischer Stimmungsmache“, sagte der 29jährige Nachwuchspolitiker der Rheinischen Post. Im Juni hatte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas vor Mißbrauch von Sozialleistungen gewarnt.

Bas warnte vor „mafiösen Strukturen“ beim Bürgergeld
In einem Interview warnte die Sozialdemokratin vor „ausbeuterischen Strukturen“, in denen Menschen aus anderen EU-Ländern mit Mini-Jobs nach Deutschland gelockt würden, um parallel Bürgergeld zu beantragen. Die eigentlichen Profiteure seien die Drahtzieher: „Das sind mafiöse Strukturen, die wir zerschlagen müssen.“ Konkret forderte Bas einen besseren Datenaustausch zwischen Jobcentern, Finanzämtern, Familienkassen und Sicherheitsbehörden.
Neben den rund 420 Fällen von „bandenmäßigem Leistungsmißbrauch“ registrierte die Bundesregierung zudem 6.260 Fälle von Überzahlungen. Davon ist die Rede, wenn etwa ein Doppelbezug vorliegt oder Bezieher Einkünfte aus Renten, Versicherungen, Kapitalerträgen sowie Vermögen nicht rechtzeitig oder ordnungsgemäß angeben. Weitere rund 69.500 Fälle wurden im Zusammenhang mit Überzahlungen bei Aufstockern gezählt.
Im März 2025 bezogen rund 5,42 Millionen Menschen in Deutschland Bürgergeld. Davon hatten 2,6 Millionen keinen deutschen Paß – ein Anteil von 48 Prozent. Bei den übrigen 2,8 Millionen liegen keine amtlichen Angaben zur Herkunft vor.
Bundesregierung schweigt zu Reformplänen
Zu Reformen äußerte sich die Bundesregierung in der Antwort an die Grünen nicht. „Wie der Auftrag des Koalitionsvertrages umgesetzt werden kann, wird derzeit geprüft“, zitiert das Blatt aus der Antwort. Die schwarz-rote Koalition werde sich an den „engen Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichts“ orientieren.
Wie die Bundesregierung das Wahlversprechen der Union – beim Bürgergeld Einsparungen in „zweistelligen Milliardenbeträgen“ vorzunehmen – erreichen wolle, sei bisher nicht klar. „Wie die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag für die 21. Legislaturperiode konkret umgesetzt werden können, wird derzeit noch geprüft“, heißt es in der Antwort.
Die Grünen wittern darin einen Wortbruch. „Friedrich Merz und Carsten Linnemann wollten Milliarden im Bürgergeld einsparen. Die Bundesregierung hat dazu noch nicht mal Berechnungen angestellt. Das wird der nächste große Wortbruch“, sagte der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch der Düsseldorfer Zeitung. Anstelle von Einsparungen bei den Sozialleistungen solle die Bundesregierung ihre Aufmerksamkeit auf Steuerbetrug lenken. (sv)