Die Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft im Dritten Reich ist vergleichsweise gut erforscht. Den Anfang machte bereits 1966 Helmut Heibers Mammutwerk über Walter Frank und sein Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland. Einen weiteren Meilenstein setzte 1977 Volker Losemanns Studie über die Althistoriker. In rascher Folge erschienen dann seit Mitte der 80er Jahre Untersuchungen über Historische Seminare, ergänzt um die politische Publizistik deutscher Historiker. Neuerdings ist, ohne Schönwälders marxistischen Ballast, die „Liaison“ zwischen Politik und Historiographie von Ursula Wolf analysiert worden. Über die Osteuropa-Historiker liegen Werke von Burleigh (1988), Camphausen (1992) und Voigt (1994) vor. Und biographische Arbeiten über Otto Hoetzsch oder Karl Dietrich Erdmann sind mittlerweise ebenso greifbar wie Editionen wichtiger Briefwechsel. Schließlich publizierte Willi Oberkrome 1993 seine ebenfalls in den 80er Jahren begonne Dissertation über die „Volkshistoriker“.Warum also jetzt, seit dem Frankfurter Historikertag im Herbst 1998, der gazettenfüllende Lärm über die angeblich versäumte „Aufarbeitung“ der eigenen Geschichte, die einen neuen „Historikerstreit“ auslöst? Hans-Ulrich Wehler, 1986/87 einer der lautesten Polemiker gegen Noltes Thesen im ersten „Historikerstreit“, weist heute auf politische Motive hin, auf Holocaust-Hausse, Goldhagen, Mahnmal, Reemtsma-Ausstellung, Entschädigungslamento, Bubis-Walser usw.: Da passe die Zuspitzung auf die „Tatbeteiligung“ deutscher Historiker an Auschwitz gut hinein. Das klingt fast revisionistisch, berührt das Zentrum all dieser geschichtspolitischen Propaganda-Feldzüge aber nicht, die seit der Wiedervereinigung Restdeutschlands überziehen. In Mainstream-Blättern der US-Ostküste kann man nachlesen, daß es darum gehe, die deutsche Elitengeschichte unter rassistischen Generalverdacht zu stellen, um die nach 1989 aufblitzende Gefahr einer Renationalisierung ideologisch zu bannen und so einer Umkehr auf dem in der alten BRD beschrittenen Weg in die multiethnische Gesellschaft vorzubauen. Und die Stigmatisierung professioneller Sinnstifter wie der Historiker eigne sich dazu eben besonders gut. Die bündnisgrüne Heinrich-Böll-Stiftung, die am Freitag in der Berliner Humboldt-Universität eine Tagung über „Historiker und Nationalsozialismus“ ausrichtete, wollte diese bewältigungspolitischen Hintergründe der aktuellen Debatten natürlich nicht aufhellen. Man wollte nicht wissen, wie man sich selbst funktionalisieren läßt, sondern wie Historiker im Dritten Reich funktionalisiert wurden. Im Vordergrund stand dabei die sich seit Mitte der 20er Jahre von der herrschenden staatsfixierten Diplomatiegeschichte absetzende, siedlungshistorisch, demographisch, soziologisch arbeitende „Volksgeschichte“. Reinhard Bläckner (Frankfurt/Oder) versuchte am Beispiel Otto Brunners die Attraktivität des Volksparadismus aus dem Wunsch nach integrierter Ganzheit und Totalität zu erklären, der die vielfach erfahrene moderne Desintegration und Pluralität die Krise der Moderne kompensiere. Das ist nicht falsch, aber auch nicht eben originell. Oberkrome (Münster) repetierte die Leitthesen seiner Dissertation und zeigte Affinitäten zur NS-Ideologie auf, die nach 1933 institutionelle Geländegewinne und ab 1938/39 die Einbindung in besatzungspolitisch-administrative Entscheidungsprozesse begünstigten. Ingo Haar (Berlin) beschrieb diese Art von „Politikberatung“ am Beispiel der vermeintlich monolithischen „Königsberger kämpfenden Wissenschaft“, die in der Person Theodor Schieders eingebunden war in den think tank der „Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft“, die ihr Expertenwissen über das Grenz- und Auslandsdeutschtum und gesellschaftliche Strukturen Osteuropas Staats- und Parteistellen, seit der Besetzung Polens verstärkt auch SS-Instanzen zur Verfügung stellte, die die „Neuordnung“ des Ostraumes planten. Mathias Beer (Tübingen) referierte nüchtern-nuancenreich über Schieders Federführung bei der zwischen 1953 und 1962 edierten „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, wofür der damalige Kölner Ordinarius auf sein in Königsberg erworbenes Wissen über die Austreibung polnischer Bevölkerungsteile aus den 1919 von Polen annektierten preußischen Provinzen zurückgegriffen habe. Wie gewinnen solche für den Kenner der Materie wenig spektakulären Forschungsresultate ein Maß an Aufmerksamkeit, das der abschließenden Diskussion zwischen Wehler und dem kurzfristig für Hans Mommsen eingesprungenen, leider gänzlich inkompetenten Peter Steinbach ein so großes Podium bescherte? Ist doch schon die Einsicht, daß Intellektuelle Politiker beraten und ihnen zuarbeiten, ohne Neuigkeitswert. Platons Gastspiel in Syrakus steht dafür genauso wie Einsteins Einsatz beim Bau der Atombombe. Wie die Konditionierung des öffentlichen Interesses trotzdem gelingt, hätte man vom „gnadenlosen Moralisierer“ (Christoph Dipper), Zitaten-Patchworker und verbiesterten volkspädagogischen Simplifizierer Götz Aly an diesem Abend sicher lernen können. Allein weil ihm nur eine Chargenrolle im Vorprogramm zugedacht war und nicht der große Auftritt neben Wehler, sagte der eitle Mime in letzter Minute ab. Haar und der delirierende Michael Fahlbusch (Basel), der gegen den „zynischen“ Nolte, das Abstammungsprinzip, die etablierte Zeitgeschichte usw. usf. vom Leder zog, vertraten Aly jedoch ganz gut. Mit diesen jungen Diederich Heßling-Kopien zeigte sich ein neuer Typ des „Untertanen“, willige Helfer des Zeitgeistes, die einer historisch wie politisch begriffslosen bundesdeutschen Öffentlichkeit suggerieren, vor 1945 hätte alles wie in Habermasens Oberseminar, im „herrschaftsfreien Diskurs“ zugehen müssen. Eifrig nutzten sie das rechtlich-moralische Diskriminierungspotential des universalistischen Humanitarismus, um die Schieders und Conzes am entpolitisierten Parameter „überzeitlicher Normen“ oder einer neu zu Ehren gelangten „naturrechtlichen“ conditio humana zu messen. Wer dagegen ahnt, daß zwischen 1914 und 1945 der „zweite Dreißigjährige Krieg“ (H. A. Winkler) tobte, den wird keine aus den Archiven noch zu Tage zu fördernde „Tatbeteiligung“ überraschen oder gar moralisch empören. Mehr als den Hauch einer solchen Ahnung bewies am Freitagabend allein Wehler. Er erteilte dem Schuldgefühle einfordernden spießigen Moralismus der ihn nach rechts drängenden „strengen Enkel“ eine Absage und wies auf einige politische Existenzbedingungen hin, unter denen Historiker im „Weltbürgerkrieg“ (Schmitt) arbeiteten (Kriegsniederlage, Versailles, Grenzkampf). Der Mehrheit des Publikums galt er deswegen als „Apologet“, und die Berichterstatter von taz und Berliner Tagesspiegel sahen ihn prompt im „Rückzugsgefecht“. Wehlers Hoffnung, im Rückblick des Jahres 2010 werde das aktulle Geschrei um die „braunen Historiker“ nur „exotisch“ anmuten, könnte sich jedoch nur erfüllen, wenn die Berliner Republik bis dahin in die Sphäre des Politischen hingewachsen sein wird.