Ursula von der Leyen ist als prinzipienbefreite Merkelistin für ihre vollmundigen Kehrtwenden berüchtigt. Als im Winter 2023/24 gewaltige Bauernproteste EU-Europa und Deutschland erschütterten, und im Februar das Brüsseler Europaviertel nach Gülle und verbrannten Reifen stank, da entdeckte die EU-Kommissionspräsidentin urplötzlich die Wichtigkeit des Dialogs mit den Landwirten, die sie zuvor mit ihren Renaturierungs- und Entwaldungsrichtlinien zur Verzweiflung getrieben hatte.
Vorige Woche versprach die frühere CDU-Bundesministerin der Wirtschaft, die unter ihrer Taxonomieverordnung (die Bankkredite bei Nichterreichen von CO₂-Zielen verunmöglicht), der Nachhaltigkeitsberichterstattung und Lieferkettenverordnung ächzt, die die Herkunft jeder Kakaobohne und Baumwollsocke lückenlos dokumentieren muß, sie werde eine „nie gekannte Vereinfachung der EU-Regeln“ durchsetzen. Die obligatorischen Berichtspflichten sollen um 25 bis 35 Prozent gekürzt und der Wirtschaft so 37 Milliarden Euro an Bürokratiekosten erspart werden.
Schon jetzt drohen Milliarden an Strafzahlungen für Autobauer
So wolle man „unsere Schwächen überwinden und wieder wettbewerbsfähig werden“, versprach von der Leyen. Doch diese Wettbewerbsschwäche wurde in ihrer ersten Amtszeit potenziert – und Ziele ihres Green Deals und die Dekarbonisierung sollen freilich bleiben, lediglich um ein oder zwei Jahre verschoben werden. Mit dieser Ankündigung lud sie auch zu einem Autogipfel ins Berlaymont, ihre Bürozentrale und gleichzeitig Brüsseler Residenz ein. Die Chefs von Bosch, VW, BMW, Volvo kamen brav, und Daimler-Chef Ola Källenius verkündete artig, man unterstütze voll den Null-Emissions-Kurs und damit das Verbrennerverbot der Kommission ab 2035. Der frankoitalienische Konzern Stellantis (Peugeot, Fiat, Opel) freilich boykottierte das Treffen.
Zunächst drohen schon dieses Jahr EU-Strafzahlungen in Höhe von 15 Milliarden Euro für die von der Politik gebeutelte Autoindustrie, der gerade das China-Geschäft einbricht und in den USA neue Zölle blühen. Keiner der Teilnehmer ist in der Lage, die EU-Flottengrenzwerte einzuhalten, die zum CO₂-Ausgleich den Verkauf von 20 Prozent bis 25 Prozent E-Autos verlangen. Gut die Hälfte der in der EU gefertigten 12,2 Millionen Pkws geht in den Export, wo die Nachfrage für europäische Elektrofahrzeuge gegen Null tendiert.
So bleibt der Industrie nur, ihre Verbrenner-Modelle so zu verteuern und durch verspätete Auslieferungen zu verknappen, um damit die unbeliebten E-Autos querzusubventionieren. Alternativ könnte sie CO₂-Zertifikate von Tesla und den Chinesen einkaufen, die diese Konkurrenz nur noch profitabler machen würden. Der neue Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas soll nun bis März einen Aktionsplan ausarbeiten, der neue E-Auto-Subventionen für Fuhrparks und Leasingmodelle sowie den Ausbau der Ladeinfrastruktur vorsehen soll: in Summe das Gegenteil von Marktwirtschaft also.
Wirtschaftspolitisch bleibt die EU bei „Netto Null“
Das gilt auch für den „Wettbewerbskompaß“ von Stéphane Séjourné, einem Ex-Sozialisten und heutigen Macronisten sowie Ex-Lebenspartner von Ex-Premier Gabriel Attal, der als einziger Minister Emmanuel Macron duzen durfte, und nun als Vizepräsident der EU-Kommission den „Clean Industrial Deal“ für die künftige „Netto-Null-Industrie“ entwickeln soll. Séjourné kündigte eine „Schocktherapie“ aus verbilligter Energie und protektionistischem Importschutz für E-Autos und Stahl an.
EU-Subventionsprogramme für Künstliche Intelligenz (KI/„AI Gigafactories“), Biotechnologie, Robotik und neue Anreize für die Stahl-, Chemie- und Autoindustrie sowie die Kernenergie nach US-Vorbild sollen der Wirtschaft ebenfalls helfen. Alles ist ein Griff in die Mottenkiste der „Planification française“, der zumeist gescheiterten französischen Staatsinterventionen. Und natürlich soll die EU zum „weltweit attraktivsten Standort für innovative Unternehmen“ werden. Diese Wünsche hören wir schon ein Vierteljahrhundert.
Mehr Zentralisierung, mehr Kompetenzen
Finanziert werden sollen jene Wunderwerke von einer Kapitalmarktunion, die 470 Milliarden Euro mobilisieren soll. Pläne zur Vereinheitlichung des Steuer-, Börsen- und Bankenrechts liegen schon seit 2015 auf Eis. Dazu hat Ursula von der Leyen für die Jahre 2028 bis 2035 noch Finanzwünsche von 1.200 Milliarden Euro für den EU-Haushalt. Die Gelder sollen nicht mehr von den fachlichen Generaldirektionen wie Regionales und Landwirtschaft verwaltet werden, sondern mit ihrem direkten Zugriff von ihrem Generalsekretariat.
Zudem sollen auch der Wohnungsbau und eine EU-Gesundheitsunion bezahlt werden – Themen, für die die EU nicht die geringsten Kompetenzen hat. Weiter gibt es Pläne für ein schuldenfinanziertes Rüstungsprogramm, damit sie bei Donald Trump neben Flüssigerdgas (LNG) auch Kampfhubschrauber einkaufen kann. Das erinnert an ihr überteuertes Impfstoff-Shopping bei Pfizer-Chef Albert Bourla, vorbei an allen Ausschreibungsregeln.