Manchen gehen die Anstrengungen Deutschlands und Europas im aktuellen Krieg in der Ukraine nie weit genug – egal, ob Sondervermögen in schwindelerregender Höhe, die Aufnahme von Millionen Flüchtlingen oder immer neue Milliardenzahlungen für die Selenskyj-Regierung in Kiew.
Carlo Masala hatte nach der Überarbeitung seiner Schrift „Weltunordnung“, nicht zuletzt wohl wegen vieler TV-Auftritte und Medientermine, wohl keine Zeit, ein ausführlicheres Buch über die aktuellen Vorgänge zu verfassen. Anders die frühere Mitarbeiterin im Nato-Stab, Stefanie Babst, deren Perzeption sich aber kaum von Masala unterscheidet. Als Ersatz hat er unlängst ein längeres Interview mit Sebastian Ullrich und Matthias Hansl vorgelegt.
Krude Kriegspropaganda
Der Münchner Gelehrte will sich offenkundig als männliche Marie-Agnes Strack-Zimmermann profilieren, auf jeden Fall als Hardliner. Schwarz-Weiß-Malerei vom Extremsten. Neben den üblichen Forderungen nach noch mehr Waffen für die einzig legitime Kriegspartei soll sogar der Ernstfall umfassend trainiert werden. Dazu zählen auch Überlebensübungen, die helfen sollen, mit Notfallsituationen fertig zu werden. Die anfänglich viel diskutierte Zeitenwende verlaufe Masala zufolge im Zeitlupentempo.
Für Betrachter von außen auf die Analysefähigkeit führender Vertreter der Politikwissenschaft muß der Eindruck verheerend sein. Differenzierte Wahrnehmung scheint kruder intellektueller Kriegspropaganda gewichen zu sein. Masala ist sich darüber hinaus nicht zu schade, die neuesten Attacken deutscher Spitzenpolitiker auf China zu flankieren und das viel zitierte Decoupling zumindest zwischen den Zeilen als Strategie zu loben.
Es gelte, Abhängigkeiten zu reduzieren und möglichst neue Handelspartner in den Blick zu nehmen, die aus verschiedenen Gründen aber keinen adäquaten Ersatz bedeuten. Hört man auf solche Ratgeber in Berlin, sind weitere hohe Handelsverluste vorprogrammiert. Am Ende der Fahnenstange ist nach einer solchen Sicht nur noch erlaubt, mit westlich ausgerichteten Demokratien Handel zu treiben. Was ein solches Szenario gerade für Europa bedeutet, muß nicht erläutert werden.
Carlo Masala liefert keine hilfreichen Ratschläge
Wie unterkomplex Masalas Ansatz daherkommt, zeigt ein Vergleich mit der fast zur gleichen Zeit erschienenen Studie des Politologen Herfried Münkler. Sie arbeitet heraus, inwiefern der derzeitige Krieg in Osteuropa auch im Kontext der Genese einer neuen Weltordnung zu sehen ist. Diese Entwicklung ist nicht nur vom aktuellen Handeln der bekannten Staatsmänner her zu deuten. Daher ist verständlich, warum der Politologe Zbigniew Brzezinski zentrale geopolitische Konstellationen der unmittelbaren Gegenwart schon vor über einem Vierteljahrhundert vorwegnehmen konnte.
Für ein Ende dieses Krieges, der von der Ukraine über Israel bis Taiwan immer noch zum Weltbrand eskalieren kann, hat der Experte keinerlei hilfreiche Ratschläge. Daß eine der beiden Mächte kapituliert und Putin sich hinter die Linien von 2014 zurückzieht, ist zwar möglich, aber eher unwahrscheinlich. Ebenso wird wohl ein Abnutzungskrieg aufgrund der Knappheit der Ressourcen nicht ewig dauern. Wahrscheinlichstes Szenario wird wohl sein, daß irgendwann die aktuelle Frontlinie als Grenze akzeptiert wird – von beiden Parteien offiziell nolens volens. Eine solche Lösung können sich die üblichen moralistischen Manichäer freilich nicht vorstellen.