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Evangelische Kirche: Kirchentag zwischen „Vulva reloaded“ und Klimakollaps

Evangelische Kirche: Kirchentag zwischen „Vulva reloaded“ und Klimakollaps

Evangelische Kirche: Kirchentag zwischen „Vulva reloaded“ und Klimakollaps

Schlussgottesdienst "Alles hat seine Zeit" am 11.06.2023 auf dem Hauptmarkt beim 38. Evangelischen Kirchentag in Nuernberg. Bei dem Protestantentreffen hatten seit Mittwoch Zehntausende ein Glaubensfest mit Gottesdiensten, Gebeten und Musik gefeiert und zugleich unter dem Kirchentagsmotto "Jetzt ist die Zeit" ueber aktuelle politische und gesellschaftliche Themen debattiert. Der evangelische Kirchentag findet alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Grossstadt statt. Gastgeber 2025 ist Hannover. (Siehe epd-Meldung vom 11.06.2023)
Schlussgottesdienst "Alles hat seine Zeit" am 11.06.2023 auf dem Hauptmarkt beim 38. Evangelischen Kirchentag in Nuernberg. Bei dem Protestantentreffen hatten seit Mittwoch Zehntausende ein Glaubensfest mit Gottesdiensten, Gebeten und Musik gefeiert und zugleich unter dem Kirchentagsmotto "Jetzt ist die Zeit" ueber aktuelle politische und gesellschaftliche Themen debattiert. Der evangelische Kirchentag findet alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Grossstadt statt. Gastgeber 2025 ist Hannover. (Siehe epd-Meldung vom 11.06.2023)
Abschlußveranstaltung des Kirchentages: Weniger Gäste als erwartet Foto: picture alliance / epd-bild | Thomas Lohnes
Evangelische Kirche
 

Kirchentag zwischen „Vulva reloaded“ und Klimakollaps

Der Deutsche Evangelische Kirchentag macht seinem Ruf wieder alle Ehre. Es geht um Klima, „LGBTQ“ und Frieden. Doch es gibt auch dort engagierte junge Christen. Aus Nürnberg berichtet Julian Plutz.
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Mit mehr als acht Millionen Euro finanziert der Steuerzahler den Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Dennoch mußte der geneigte Besucher, so er weder Mitarbeiter noch akkreditierter Journalist ist, 39 Euro für das Tagesticket investieren. Das fiel auch der Giordano-Bruno-Stiftung auf, die mit einem Stand in der Innenstadt auf diesen Mißstand aufmerksam machen wollte. Mit einer Figur, die an die überdimensionalen Karikaturen an den Karnevalsumzügen erinnert, blickt ein alter Mann, der wohl Gott sein soll, grimmig drein. „11. Gebot: Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen“, steht auf einer Steintafel neben der Figur.

Stand der Giordani-Bruno-Stiftung Foto: Julian Plutz
Stand der Giordano-Bruno-Stiftung Foto: Julian Plutz

Der Stand der atheistischen Stiftung wirkt wie ein Fremdkörper in der Frankenmetropole. Ansonsten gibt sich die ganze Stadt ganz in Grün und Gelb, den Farben des Kirchentages. Überall erblickt man Gruppen von Pfadfindern oder Frauen ab 50 mit Kurzhaarschnitt und Sandalen, die einem das Gefühl geben, als hätten sich alle schon einmal gesehen. Es wirkt wie ein Volksfest ohne alkoholbasierte Aggressionen. Während der Falafelverkäufer an der Lorenzkirche den Umsatz seines Lebens macht – die Schlange zieht sich durch die ganze Königsstraße –, spielt eine vierköpfige Blechblas-Combo moderne Kirchenlieder.

„Es geht nicht um meine Person!“

Man kann die Stimmung mit gutem Gewissen als ausgelassen bezeichnen. Insgesamt 2.000 Veranstaltungen bot der Kirchentag an fünf Tagen seinen Besuchern an, wobei die meisten Workshops und Podiumsdiskussionen zwischen Donnerstag und Samstag stattfinden. Umso quälender gestaltete sich die Wahl der Termine, die sich teilweise überschneiden. Allein mehr als 40 Veranstaltungen zum Thema „LGBTQ“ stehen auf dem Programm, darunter „Homosexualität als Thema des Schulunterrichts“, „Queersensible Arbeit mit Konfirmand:innen“, der Gottesdienst „Lesben – gestern, heute, morgen“, die Ausstellung „selbstbestimmt bunt“, ein Coming-out-Workshop, die Podiumsdiskussion „Trans*Hype! – Echt jetzt?“ und vieles mehr.

Bei letzterer Diskussionsrunde gaben sich neben dem Religionslehrer Theo Schenkel, selbst eine Transperson, die Bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer (Grüne), die laut Paß „Markus“ heißt, und die Transaktivistin und Transperson Dana Mahr die Klinke in die Hand. Im Wesentlichen ging es den Protagonisten darum, das anstehende Selbstbestimmungsgesetz zu loben und zu preisen. Doch nicht nur das: Auf die Zuschauerfrage, wie Tessa Gansererer mit dem Haß gegen ihre Person umgehe, antwortete die Politikerin, die sich für ein Sommerkleid mit Leopardenmuster entschieden hatte: „Es geht hier nicht um meine Person!“ Dennoch verfolge sie jede Art von Haß, ob straf- oder zivilrechtlich, „konsequent“.

Klima als ein Hauptthema

Es folgte der Vortrag von Dana Mahr, einer Person, die früher Dominik hieß. Mahr ist keine Unbekannte, vertritt sie doch seit Jahren die These, es gebe mehr als zwei Geschlechter. In ihrem Referat kritisierte sie die herrschende Kritik am Selbstbestimmungsgesetz. So würden von  „internationalen und nationalen Extremisten wie zum Beispiel Beatrix von Storch eine beispiellose und gefährliche queer- und transfeindliche Fehlinformationskampagne gestartet“, die soziale Medien, aber auch „das neurechte Magazin Cicero und Achtung Reichelt“ perpetuierten.

Podiumsdiskussion zum Thema Trans.
Podiumsdiskussion zum Thema Transsexuelle Foto: Julian Plutz

Einen ganz besonderen musikalischen Beitrag dieser Veranstaltung gab es in der Pause: Die Künstlerin Luca-Fabièn Dotzler sang in einem Kostüm, das an Beduinen erinnert, ihren eigenen Chansons: „Warum darf eine Frau denn keinen Penis haben?“, ein Titel, der beim Publikum Gelächter und Verwirrung zugleich auslöste.

Viele queere Veranstaltungen, wie auch diese, fanden im Gemeinschaftshaus im Stadtteil Langwasser statt. Ein junges Mädchen, das mit anderen vor dem Saal flaniert, schwärmt von Luisa Neubauers Vortrag am selben Tag am Hauptmarkt und outete sich als „Fangirl“. Seine Begleitung, der 18-jährige Marc aus Jena, pflichtete ihm bei: „Ich weiß gar nicht, ob ich lachen oder weinen soll. (…) Einerseits stehen wir vor dem Klimakollaps, andererseits wollen es manche Leute nicht wahrhaben.“

„Wie viele Geschlechter gibt es?“ – „Zwei!“

Neben Veranstaltungen rund um „LGBTQ“ dominierten vor allem Themen rund um das Klima. Mehr als 70 Workshops und Podiumsdiskussionen bot der Kirchentag dazu an: von „Jetzt ist es höchste Zeit für Klimagerechtigkeit“ über „Klimakrise beenden“ bis hin zu „Wenn Yoga und Tee nicht mehr helfen“ und „Ist jetzt die Zeit für zivilen Ungehorsam?“.

Doch nicht alle Teilnehmer sind aufgrund einer politischen Motivation in Nürnberg, wie zum Beispiel Yannik und Jakob. Die beiden jungen Sachsen sind das erste Mal auf einem Kirchentag und als Helfer eingeteilt: „Uns interessiert weniger die Politik, viel mehr die Kirche selbst“, sagt Yannik. Jakob erzählt von einer Big Band, die ihm sehr gefallen habe. Auch ein Gottesdienst zum Thema Frieden inspirierte den jungen Mann. Queere Themen scheinen die beiden Jungs dagegen weniger zu interessieren. Eine Frage konnten sie ad hoc beantworten. „Zwei!“, lautete die Antwort auf die Frage, wie viele Geschlechter es gebe.

Wie schwul ist Gott? Stand auf dem Kirchentag Foto: Julian Plutz
Wie schwul ist Gott? Stand auf dem Kirchentag Foto: Julian Plutz

Delegiertenkirche und Mitgliederkirche

Am Samstag bot der Evangelische Kirchentag die Theateraufführung „Vulva reloaded – ein starkes Stück für alle Geschlechter“ an. „Es wird über sie gesprochen, geschrieben, gemunkelt und geschwiegen. Sie wird geliebt, gehaßt, getuned. Sie wird bedeckt, beschämt, besucht, bezwungen und besungen. Jetzt kommt sie selbst zu Wort und spricht ganz unverblümt. Ein humorvolles und berührendes Solo rund um den weiblichen Schoßraum.“

Fünf Tage lang gab sich Nürnberg ganz im Zeichen Luthers. Es bleibt der Eindruck, daß sich die Basis der Protestanten von ihren Funktionären mit diesem Kirchentag ein Stückchen weiter entfernt hat. Helmut Schmidt meinte einst in Bezug auf die SPD, es gäbe zwei Parteien: „die Mitgliederpartei und die Delegiertenpartei“. Womöglich ist dies bei der evangelischen Kirche ähnlich.

Abschlußveranstaltung des Kirchentages: Weniger Gäste als erwartet Foto: picture alliance / epd-bild | Thomas Lohnes
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