WIEN/PARIS. Kurz vor dem EU-Finanzministertreffen zeichnet sich ein neuerlicher Streit über die Schuldenpolitik des Staatenverbundes ab. Während Österreichs neuer Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) eine Rückkehr zu einer „nachhaltigen“ Finanzpolitik fordert und sich gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden ausspricht, wünscht sich sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire (En Marche) lockerere Regeln.
Brunner kündigte am Montag in der FAZ an, er versuche, eine Koalition der „Staaten der Verantwortung“ zu schmieden. Neben den Niederlanden, Dänemark, Finnland und Schweden wolle er dafür vor allem Deutschland gewinnen. In Frage kämen auch Tschechien, die Slowakei sowie die baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen.
„Die Regel für die Staatsverschuldung ist überholt“
Demgegenüber bezeichnete Le Maire die wegen der Corona-Krise außer Kraft gesetzten Schuldenregeln als „überholt“. Diese „müssen sich an der Realität orientieren, nicht an Träumen“, sagte der französische Minister ebenfalls am Montag der Welt. „Der Stabilitäts- und Wachstumspakt als Ganzes ist nicht überholt, aber die Regel für die Staatsverschuldung ist es.“
Denn in der Corona-Pandemie sei die Schuldenlast gerade jener Staaten, die ohnehin tief in den roten Zahlen steckten, stark gestiegen. „Nach der Krise haben einige Mitgliedstaaten eine Staatsverschuldung von 168 Prozent erreicht, während andere bei etwa 60 bis 65 Prozent geblieben sind“, erklärte Le Maire. Diese Kluft von mehr als 100 Prozentpunkten müsse berücksichtigt werden.
„Wie können wir mit dieser Situation umgehen? Nicht, indem wir alle unsere Regeln fallen lassen, sondern, indem wir sie an diese neue Realität anpassen.“ Die EU-Mitgliedsstaaten sollten künftig stärker selbst bestimmen können, wie sie ihre Verschuldung abbauen. Ein Vorschlag sei, „daß Euro-Staaten unterschiedliche Zeitpläne und Ziele für den Abbau der Schulden haben, so wie es Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni vorgeschlagen hat“.
Deutschlands Position ist bislang unklar
Oberste Priorität habe ein hohes Wachstum nach der Krise. Dabei werde es auch um neue Investitionen gehen. „Wie benennen wir diese Investitionen richtig? Wie kennzeichnen wir sie? Das sind zentrale Fragen, aber ich möchte den Antworten nicht vorgreifen.“ In bestimmten Fällen, etwa beim Klimaschutz oder der Digitalisierung, könnten die Schuldenregeln ausgeklammert werden. Gestützt wird die Position Frankreichs durch Italien und Spanien.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags im Dezember betont, die Wirtschafts- und Währungsunion solle sich „weiter dem Stabilitätsgedanken“ verpflichten. Verbunden sein müsse dies mit „Bemühungen um Wachstum und Investitionen und in diesem Sinne wird die künftige Bundesregierung sich auch einbringen in das Gespräch über die Reform der Fiskalregeln“. Was dies in Bezug auf die Schuldenregeln in der EU konkret bedeutet, sagte Lindner nicht. Der FDP-Chef nimmt in dieser Woche erstmals am Treffen der EU-Finanzminister teil. (ls)