Es sollte eine Feier werden – und endete in Krawall. Was sich am Abend des 6. Mai 1980, heute vor 40 Jahren, in Bremen ereignete, ging als die „Schlacht vom Osterdeich“ in die Geschichte der Hansestadt ein. Eigentlich ging es an diesem Tag darum, daß 1.165 Rekruten aus allen drei Teilstreitkräften der Bundeswehr im Bremer Weserstadion ihr Gelöbnis öffentlich ablegen – in einem besonders feierlichen Rahmen. Denn das Datum war bewußt gewählt: zum 25. Mal jährte sich der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Nato. Die jungen Männer gelobten also, ihrem Land „treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“, im Beisein von Bundespräsident Karl Carstens, des Bremer Senatspräsidenten Hans Koschnick, von Bundesverteidigungsminister Hans Apel (beide SPD) und des Generalinspekteurs der Bundeswehr sowie zahlreicher hoher Offiziere anderer Staaten des nordatlantischen Bündnisses.
Vor und während des Gelöbnisses fanden in unmittelbarer Nähe des Weserstadions mehrere Demonstrationen gegen die Bundeswehr und die Nato statt, aufgerufen hatten vor allem politisch linke Organisationen, Gewerkschaften und Kirchengruppen. „Kurz nach 18.00 Uhr begannen Angriffe auf Stadiontore, um 18.30 Uhr auf die Kassenhäuser. Das Tor Nr. 6 wurde aufgebrochen, die eindringenden Täter durch Soldaten und Polizisten nach außen abgedrängt“, hieß es später in einem Bericht des Verteidigungsausschusses des Bundestags, der die Vorgänge untersuchte. Etwa 200 bis 500 vermummte und mit Helmen sowie Knüppeln ausgestattete Gewalttäter operierten aus einer Menschenmenge heraus, die nach Schätzungen etwa 10.000 bis 15.000 Personen stark war. „Viele weitere Demonstranten schlossen sich den Radikalen an“, so der Untersuchungsbericht.
„Um das Stadion erfolgten weitere Angriffe gegen Polizisten und Bundeswehrangehörige. Kurz nach 18.00 Uhr wurde ein Bus der Bundeswehr umgestürzt und angezündet, ab 18.25 Uhr Pflastersteine gegen Polizisten geschleudert. Um 18.30 Uhr traf ein Molotow-Cocktail einen Polizisten und setzte seine Kleidung in Brand.“ Außerdem hätten Demonstranten Beutel mit Farbe und Tierblut auf Soldaten und Polizisten geworfen. „Übereinstimmend wurde eine bis dahin nicht erlebte Militanz und Entschlossenheit der Gewalttäter festgestellt“, hieß es später resümierend. Der Weser-Kurier schrieb seinerzeit, der Osterdeich habe zeitweise einem Schlachtfeld“ geglichen, „Besucher verkrochen sich vor Angst in den Büschen“.
Politiker wurden mit Hubschraubern evakuiert
Die Polizei setzte Schlagstöcke und Wasserwerfer ein und konzentrierte ihre Kräfte in erster Linie bei den Stadiontoren, um ein weiteres Eindringen von Störern zu verhindern. Auf Grund des zum Stadion gerichteten Windes konnten die Beamten erst nach Ende des Gelöbnisses Tränengas einsetzen und den Platz vor dem Stadion endgültig räumen. Spät, gegen 23 Uhr kehrte langsam wieder Ruhe in der Stadt ein. Die traurige Bilanz: Etwa 300 Bremer Polizeibeamte verletzt, fünf von ihnen bedurften stationärer Behandlung.
Auch knapp 50 zur Unterstützung eingesetzte Polizisten aus Niedersachsen wurden verletzt. Hinzu kommen fünf verletzte Soldaten der Bundeswehr. Der Sachschaden belief sich in Millionenhöhe, allein acht Fahrzeuge der Bundeswehr wurden zerstört oder stark beschädigt (Gesamtschaden etwa 112.400 DM). Im Einsatz als junger Bremer Polizist war damals übrigens der heutige Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch. Er berichtete rückblickend, die Beamten seien unzureichend vorbereitet und ausgerüstet gewesen.
Im Stich gelassen fühlten sich seinerzeit auch einige subalterne Offiziere und Kompaniechefs, die mit ihren jungen Soldaten im von Polizei und Feldjägern mit Müh’ und Not gesicherten Stadion ausharren mußten, währen die Oberen aus Politik und Militär zum Teil mit Hubschraubern oder auf Schleichwegen die Kampfzone verlassen konnten. Der Spiegel zitierte damals einen Oberstleutnant mit den Worten: „Das macht einen beschissenen Eindruck, warum bleiben die nicht hier?“
Verfassungsschutz ahnte nichts von bevorstehendem Angriff
Ermittelt wurde im Nachhinein gegen 74 Tatverdächtige, ein Drittel von ihnen stammte aus Bremen. Politisch wurden die gewalttätigen Demonstranten den sogenannten „undogmatischen“ linksextremen Gruppen zugeordnet. „Täter aus demokratischen Organisationen sowie aus orthodoxen kommunistischen Gruppen sind nicht festgestellt worden“, hieß es im Bericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses unter Vorsitz des späteren Verteidigungsministers und Nato-Generalsekretärs Manfred Wörner (CDU).
Die Abgeordneten fanden zudem heraus, im Vorfeld hätten Ermittlungen des MAD ergeben, daß das Gelöbnis am 6. Mai 1980 in Bremen „nachdrücklich gestört werden soll“. Keine Kenntnis hatte indes offenbar das Bundesamt für Verfassungsschutz: Es sei „über die Entwicklungen, die sich in Bremen im Hinblick auf die geplanten Störungen der Gelöbnisfeier im Stadion und die beabsichtigten Demonstrationen durch die Innenstadt zum Stadion andeuteten, nicht unterrichtet worden.“ Und auch „aus eigenen Quellen“ habe man „keine Kenntnis über die beabsichtigten Maßnahmen der verschiedenen Gruppen gegen die öffentliche Gelöbnisfeier“ gewonnen.
Jusos und Kommunisten gingen Hand in Hand
Bereits Anfang April hatte der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) einen Aufruf an mehrere Bremer Jugendgruppen und politische Vereinigungen gegen die Bundeswehrveranstaltung geschickt. Die sei eine „Provokation aller demokratischen Kräfte“, und „die historischen Parallelen solcher militärischen Aufmärsche sind nur im Dritten Reich zu finden“. Die in der Gelöbnisformel enthaltene Freiheit des Volkes sei in Wahrheit „entsprechend der bürgerlichen Verfassung vor allem anderen die Freiheit des Privateigentums, die Freiheit der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen“. Die „bürgerlichen Armeen“ hätten „nach innen gegen die Arbeiter, nach außen gegen die Völker der Dritten Welt und gegen die jeweils konkurrierenden“ gekämpft. „Ebenso bekannt ist, daß die Arbeiterklasse und die einfachen Leute immer das Blutopfer für diese Kriegsziele des Geldsacks abgegeben haben.“
Weil die Bremer Jungsozialisten bei den Anti-Bundeswehr-Protesten mit der DKP kooperiert hatten und damit nicht nur gegen ihre eigenen Genossen in Bundes- und Landesregierung demonstriert, sondern auch gegen Abgrenzungsbeschlüsse verstoßen hatten, wurden sie vom SPD-Landesvorstand gerügt. Ähnlich erging es der Jugendredaktion des öffentlich-rechtlichen Senders Radio Bremen. Deren Sendung „Der große Popkarton“ hatte unter anderem berichtet, daß Demonstranten eine Strohpuppe an einem Galgen bei sich hatten „und dieser Puppe war eine gewisse Ähnlichkeit mit unserem Bundespräsidenten Karl Carstens nicht abzusprechen“. Außerdem, so die Reporter des Jugendmagazins seien „die Uniformen einiger Soldaten mit roten Farbbeuteln verziert“ worden.
Rundfunkrat rügte Nachwuchsredakteure
Zwischen den Reportagen, „die den Eindruck der Sympathie mit den Demonstranten und die schroffe Ablehnung des feierlichen Gelöbnisses vermittelten,“ seien Musiktitel gesendet worden, „die massive Angriffe auf Bundeswehr, Wehrdienst und den Staat als Ganzes enthielten“, rügte der Bundestag in seinem Untersuchungsbericht später. Einer der Texte: „Was ist uns das Leben wert wenn die SPD regiert, wie das Kapital diktiert in der BRD, schnell ein neues Notgesetz Maulkorb, Razzien, Spitzelnetz alle Linken in KZ’s in der BRD. Au, verdammt, verdorrt, verdammt, hier in unserem deutschen Land schwappt die Scheiße übern Rand das macht die Leute bös. Ach, ich wünschte, eines Tages stark wie Obelix zu sein. Und dann schmeißen wir auf’s Bundeshaus nen dicken Hinkelstein nimm den Hinkelstein zur Hand alle Spitzel aus dem Land und die Bonzen an das Band das wäre doch so schön.“
Dies habe den Eindruck erweckt, „daß in dieser Sendung nicht informiert, sondern gegen die Gelöbnisveranstaltung agitiert werden sollte“.
Die verantwortlichen Redakteure seien damit von einem mit dem Chefredakteur zuvor fest vereinbarten Konzept einer fairen Sendung absprachewidrig abgewichen. Dafür wurden sie vom Chefredakteur und vom Rundfunkrat gerügt.
Die bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen heute vor vierzig Jahren nannte Bremens damaliger Innensenator Helmut Fröhlich (SPD) „die schwersten Zwischenfälle in Bremen seit Kriegsende“. Sein Parteifreund Hans Apel bekräftigte als Verteidigungsminister unterdessen, die Bundeswehr werde sich „mit ihren Veranstaltungen nicht von gewalttätigen Demonstranten von Stadt zu Stadt jagen oder in den Kasernen einschließen lassen“.