Womit läßt sich noch provozieren, wenn nahezu alle Tabus ausgereizt sind? In Deutschland kann die Frage leicht beantwortet werden: Das Dritte Reich zieht immer. Das dachten sich auch die Musiker der Rockgruppe Rammstein, als sie ihr neues Stück „Deutschland“ bewarben und am Dienstag einen halbminütigen Video-Ausschnitt veröffentlichten.
Darin waren einige Mitglieder der Gruppe als KZ-Häftlinge mit Galgenstrick um den Hals zu sehen. Der mediale Aufschrei war groß. „Skandal!“ „Darf man das?“ „Wie kann man nur?“ Der Historiker Michael Wolffsohn sprach gar von „Leichenfledderei“.
Zwei Tage später folgte am Donnerstag abend die Auflösung, als Rammstein das komplette Video präsentierten. Darin bieten sie dem Betrachter eine Geisterbahnfahrt durch 2.000 Jahre deutscher Geschichte: Von der Antike über das Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit. Ob in Ritterrüstung, schicken Anzügen oder SA-Uniform, die Musiker wechseln im Eiltempo ihre Rollen.
Die schwarze Darstellerin erfüllt eine Doppelfunktion
Die bewußt kalkulierte Provokationsszene zeigt einen Teil der Musiker als todgeweihte KZ-Häftlinge, den anderen als finstere SS-Schergen. Über die Nutzung der Greueltaten des NS-Regimes für Unterhaltungszwecke läßt sich streiten. Eine Frage, die sich letztlich bei jedem Kriegsfilm stellt.
Bemerkenswerter an dem mit viel Kunstblut, Feuer und Explosionen inszenierten Video ist der Auftritt einer schwarzen Schauspielerin. Die Dame, die mal in prunkvoller Königinnengarderobe oder halbnackt auftritt, erfüllt offenbar eine Doppelfunktion.
Einerseits dient sie, im Abspann als Verkörperung der Germania vorgestellt, der Absicherung der Rockgruppe. Bevor ihr wieder einmal unterstellt wird, eine rechte Kapelle zu sein, kann sie auf die schwarze Darstellerin verweisen, die eine so prominente Rolle einnimmt.
Rammstein wollen maximale Provokation
Andererseits soll sie offenbar vermeintliche „Nazis“, die Rammstein trotz deren eindeutig linker Positionierung mögen, vor den Kopf stoßen. So schlüpft die Dame nicht nur in eine Ritterrüstung, trägt in einer Szene eine Pickelhaube, sondern posiert auch in einer SS-Uniform. Rammstein sind wieder bemüht, möglichst in alle Richtungen zu provozieren: exzessive Gewaltdarstellungen, Verunglimpfung christlicher Symbole und schließlich das Zeigen von Symbolen aus dem Dritten Reich.
Was den Text betrifft, beziehen die Musiker eindeutig Stellung, wie sie es mit ihrem Heimatland halten. „Deutschland, deine Liebe ist Fluch und Segen, meine Liebe kann ich dir nicht geben.“ Nichts wäre verkehrter, als ihnen „Deutschtümelei“ vorzuwerfen, wo es offensichtlich nicht einmal zu einem normalen Umgang mit der eigenen Herkunft reicht.
Medien liefern Gratis-PR
Unterm Strich bleibt festzuhalten: Von Rammstein kommt nichts Neues mehr. Provokation gehört seit jeher zum Markenkern der Band, deren Name an den Ort des Flugzeugunglücks in Ramstein erinnert. In den Neunzigern reichte es noch, zu singen „Rammstein, ein Mensch brennt, Rammstein, ein Kind stirbt“. 1998 sorgten sie für einen medialen Aufschrei, als sie in dem Video zu dem Stück „stripped“ Szenen aus Leni Riefenstahls Olympia-Film aus dem Jahr 1936 verwendeten.
2004 mußte es schon der Fall des Kannibalen von Rothenburg sein, der in dem Stück „Mein Teil“ verwurstet wurde. 2019 greift man also plakativ auf Tiefpunkte der deutschen Geschichte zurück.
Es drängt sich der Verdacht auf, daß die Gruppe aus dem Osten Berlins musikalisch ihr Pulver verschossen hat. Sie zitiert sich in „Deutschland“ selbst und mischt alte Textteile in das neue Stück. So soll das Visuelle retten, was das Akustische nicht mehr vermag. Solange der Medienbetrieb mitspielt, werden Rammstein damit die gewünschte Aufmerksamkeit und Gratis-PR bekommen. Aus dem vermeintlichen Skandal wurde nur ein Stahlgewitterchen im Wasserglas.