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Nachruf: Er ließ Gott das letzte Wort

Nachruf: Er ließ Gott das letzte Wort

Nachruf: Er ließ Gott das letzte Wort

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Der verstorbene Kardinal Joachim Meisner Foto: picture alliance/ dpa
Nachruf
 

Er ließ Gott das letzte Wort

Mutig, streitbar und glaubensfest: Am Mittwoch ist der frühere Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, gestorben. Politische Korrektheit und halbherzige Kompromisse waren ihm fremd. Seine Richtschnur war das Wort Gottes. Die katholische Kirche hat mit ihm eine prägende Persönlichkeit verloren. <>Ein Nachruf von Martin Lohmann.<>
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Unsere Hoffnung für euch steht fest. Diesen seinen bischöflichen Wahlspruch, den er sich aus dem Zweiten Korintherbrief entlieh, hat Joachim Kardinal Meisner nicht nur verkündet. Er hat ihn gelebt. Immer. Bis zum letzten Atemzug. Ohne Wenn und Aber. Der ehemalige Erfurter Weihbischof, Bischof von Berlin und Erzbischof von Köln war, so würde man das heute ausdrücken, authentisch. Er war ehrlich. Er lebte, was er sagte, und er sagte, woran er glaubte.

Er glaubte nicht an eine Idee, nicht an eine Sache, nicht an ein Konzept. Er glaubte an eine Person. Er glaubte Gott. Er lebte aus einer geradezu kindlichen und ehrfurchtsvollen Freundschaft mit dem Gottessohn Jesus Christus. Und er war verliebt von Jugend an bis ins hohe Alter. Verliebt in die Gottesmutter Maria. Sie machte er zu seiner Fürsprecherin. Ihr vertraute er sich an. Mit ihr war er im Gespräch. Ganz selbstverständlich, ganz natürlich, ganz einfach.

„Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineingelangen“

Genau darin gründete auch seine tiefe Freundschaft mit dem Heiligen Johannes Paul II. Zwei, die als gestandene Männer Vertrauen hatten in jene junge Frau, die sich der Schöpfer ausgesucht hatte, um sie als Mutter seines menschgewordenen Sohnes zur Miterlöserin zu machen. Wer ihm, dem in Bad Füssing friedlich eingeschlafenen emeritierten Kölner gerecht werden will, muss das wissen und sehen können.

Was für ein „Zufall“, daß die alte Liturgie der Kirche heute im Evangelium nach Markus das Jesuswort bereit hält: „Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineingelangen.“ Es trifft auf Joachim Meisner zu. Und im Tagesgebet der Kirche, die am 5. Juli des heiligen Priesters Antonius Maria Zaccaria gedenkt, gibt es eine Bitte, die ebenfalls „paßt“: „Laß auch uns die alles überragende Erkenntnis Christi suchen und in der Torheit des Kreuzes die wahre Weisheit finden.“

Torheit. Weisheit. An Joachim Kardinal Meisner scheiden sich die Geister. An ihm scheiden sie sich offenbar auch posthum. Darauf lassen erste Nachrufe schließen, in denen nicht selten ein aus eigenen Denkstrukturen und Wünschen gespeistes Zerrbild eines Kirchenmannes und Glaubenszeugen gezeichnet wird, das viel Unverständnis angesichts einer komplexen und geradlinigen Persönlichkeit verrät, der die Fähigkeit zum billigen Opportunismus und zum Reden nach dem Munde abging.

Klarheit gegen einen weichgespülten Wahrheitsbegriff

Wer nur den konservativen Knochen sehen will, den Mann des Aneckens und gar Unbarmherzigkeit ausmachen will, wird dem Verstobenen nicht gerecht. Eher dem Bild, das manche von ihm hatten – und das er gelegentlich durch harsches Auftreten und eine jedem weichgespülten Wahrheitsbegriff zuwiderlaufende Klarheit der Sprache zu bedienen schien.

Ja, er konnte eckig reden. Ja, er konnte auch verletzen. Ja, er hielt sich nicht an die so genannte politische Korrektheit, die eine Verpflichtung an Wahrheit und Wahrhaftigkeit nicht zuläßt. Joachim Meisner konnte aufbauen ebenso wie enttäuschen. Und Selbstkorrekturen fielen ihm erkennbar nicht leicht. Dabei war er äußerst sensibel, bekam Stimmungen und Kritik sehr wohl mit und nahm sich alles zu Herzen.

Wer ihn im persönlichen und geschützten familiären Rahmen erleben konnte, sah einen nachdenklichen, vorsichtigen und zugleich mutigen Seelsorger, der offenkundig einfühlsam alles und jedes an der – man möchte sagen – Koordinate Gott abzugleichen versuchte. Seine Augen verrieten immer wieder eine gewisse aus selbst erfahrener Verletzung und Enttäuschung gewachsene Unsicherheit, die aus seinem im Leben allzu oft erfahrenen Mißtrauen gewachsen schien. Richtig vertraut hat er nur Gott selbst. Dies aber mit ganzer Kraft.

Am Todestag telefonierte er mit Papst Benedikt XVI.

An seinem letzten irdischen Lebenstag telefonierte er noch mit seinem Freund Benedikt XVI., der zu jenen Weggefährten zählte, denen er wie zuvor Johannes Paul II. bedingungslos Vertrauen schenkte. Aber, auch dies zeichnete den gottesfürchtigen Priester und Bischof aus, nie in der Form eines Kadavergehorsams. Er, der so papsttreue Kardinal, widersprach – meist in der Form von Fragen – auch Päpsten. Er gab furchtlos Anregungen. Von Franziskus, dessen Lehrschreiben Amoris Laetitia ihn in wichtigen und wesentlichen Lehrfragen beunruhigte, bekam er zu Lebzeiten keine Antwort. Seine Zweifel konnte er bis zuletzt nicht ablegen. Sie wurden ihm nicht genommen.

Was ihn kennzeichnet, verriet Meisner in einem nicht veröffentlichten Gespräch erst wenige Wochen vor seinem plötzlichen Tod zwei engagierten Katholikinnen. Diese hatte ihn gefragt, wie er denn sterben wolle, worauf er seinen Wunsch äußerte, im Bett friedlich einschlafen zu dürfen. Er ist – als betender Mensch – buchstäblich betend entschlafen, beim Beten des Stundengebetes der Kirche, kurz bevor er die heilige Messe feiern wollte. Doch über den Charakter des streitbaren Mannes Gottes verrät folgendes sehr viel: Auf die Frage, wie er sich die Begegnung mit Gott denn nach dem Tod vorstelle, meinte er, daß dieser ihm sagen könnte: Gut, daß du jetzt da bist. Aber auf die Frage, was er denn seinem Schöpfer dann sagen wolle, meinte Meisner nur nachdenklich: Gar nichts; ich habe in meinem Leben genug geredet.

So ausdrucksstark dieses Bekenntnis ist, in dem der unängstliche Redner Gottes diesem buchstäblich das letzte Wort läßt, so wahr ist es auch, daß Meisner das Wort nie scheute und niemanden – außer Gott selbst – fürchtete, wenn etwas gesagt werden musste. Er tat es voller Mut und ohne Liebedienerei. Es ging ihm immer um Gott und Seine Wahrheit. Es ging ihm darum, den Menschen furchtlos die Liebe Gottes und die durch Seinen Sohn geschenkte Erlösung zu verkünden.

Beichte macht den Mensch innerlich frei

In einem Fernsehinterview sagte er dem Autor einmal, er glaube, weil er lebe. Jeder Mensch sei ein Abbild des Schöpfers, trage also die Liebe Gottes gleichsam in der DNA. Es gebe nichts Schöneres und Teureres, als jemandem den Glauben an den lebendigen Gott zu schenken. Und wer glaubt, komme auch schließlich zu sich selbst und lebe nicht dauernd in der Verfremdung. Kein Abbild der Liebe, also kein Mensch, könne wirklich auf Dauer ungeliebt sein wollen.

Leben und Glauben – das war für Joachim Meisner eins. Daher war ihm die Echtheit des Glaubens, die ehrliche Verkündigung der Wahrheit so wichtig. Und dazu gehörten für ihn die Sakramente der Kirche. Die Beichte war ihm besonders wertvoll. Sie „macht den Menschen innerlich heil“, sagte er. Und im Blick auf die allerheiligste Eucharistie war er davon überzeugt, daß die Kirche durch Wiederentdeckung der Ehrfurcht eine Entsäkularisierung brauche. Er nannte das ein „großes Reformprogramm“. Seiner Kirche wünschte er, der nie ein Zweifel daran ließ, daß Jesus Christus wirklich im Sakrament des Altares gegenwärtig ist, eine neue eucharistische Kultur.

Joachim Kardinal Meisner hatte Rückgrat, lebte aus dem – wie er es nannte – „Ernstfall des Glaubens“, dem Gebet, konnte unbequem und widerspenstig sein, aber in Erinnerung wird er denen, die ihn wirklich kannten und sehen konnten, als ein gottesfürchtiger frommer Mensch, der keine Angst vor dem Tod hatte und zu betonen wußte, daß man nicht tiefer – und gemeint war hier eher: nicht höher – fallen könne als in Gottes Hand.

Marx würdigt Meisner

Der in Breslau am Weihnachtstag 1933 geborene Joachim Meisner ließ sich vom Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck prägen, dessen Weihbischof er 1975 wurde. Damals lernte er bald den Krakauer Bischof Karol Woityla kennen, mit dem ihn eine in vielen Glaubensfragen und Überzeugungen nahe Seelenverwandtschaft verband. Als Johannes Paul II. berief ihn dieser 1980 zum Bischof von Berlin, wo Meisner seine Distanz und sein Mißtrauen zu den Kommunisten nie verschwieg oder aufgab.

Als ihn der Papst 1988 mehr als ein Jahr vor dem Fall der Mauer von Ost-Berlin nach Köln schickte, entstand zunächst ein gespanntes Verhältnis des Breslauers zu den katholischen Rheinländern, das sich im Laufe von 25 Jahren arg abbaute. Ein Schlesier, der mit seiner Familie auf der Flucht schließlich in Körner bei Mühlhausen in Thüringen landete, blieb er dennoch. Er habe nie nach Köln gewollt und meinte nach einem Vierteljahrhundert bei seiner Emeritierung im Jahr 2014: „Da wo man nicht hin will, ist man richtig.“ Heimgegangen ist Alt-Erzbischof am 5. Juli 2017 weitab von Köln – in seinem Urlaubsort Bad Füssing.

Früh stellte er das „C“ bei Merkels Union in Frage

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, würdigte Kardinal Meisner als jemand, der „sein Amt als Dienst für Gott und die Kirche“ verstand. Er habe „stets engagiert seine Botschaft verkündet“. Unvergessen bleibe „sein Talent mitreißender Predigten und pointierter Vorträge“. Und: „Weltkirchlich wirkte er in verschiedenen Funktionen in Rom bis in sein hohes Alter mit.

Von uns geht ein Seelsorger und Hirte, ein Bischof und Prediger, der für uns in lebhafter Erinnerung bleibt. Seine Frömmigkeit und sein Wunsch, in der Eucharistie und im Gebet Gott zu begegnen, haben sein Leben geprägt.“ Wohl wahr. Zu Meisners „Hinterlassenschaften“ gehört unter anderem und vor allem, daß es seit einigen Jahren im Kölner Maternushaus rund um die Uhr die Möglichkeit der Ewigen Anbetung gibt. Vielleicht als Substanz und Zeichen ein besonders wichtiges Erbe.

Manche seiner Äußerungen, mit denen der gelernte Bankkaufmann als Kardinal Diskussionen auslöste, erscheinen heute nicht ohne prophetische Grundlage. Schon früh stellte er in Frage, ob das „C“ bei der Union unter Merkel noch eine Berechtigung habe. Den Lebensschutz des Menschen von Anfang bis Ende sah er sträflich vernachlässigt, wobei er auch mit mancherlei Formulierungen zu provieren verstand. Seine Rückversicherung holte er sich stets bei dem, bei dem er auch seinen alles andere als kindischen, wohl aber kindlichen Glauben eines aufgeklärten Erwachsenen verankert wusste.

Im tiefsten seines Herzens und seiner Seele war er trotz mancher Irritation, die er auslöste und die ihn auch bezüglich mancher unsanfter Reaktionen traf, in eine aus dem Glauben gebetteten Sicherheit verwurzelt, eines Tages im Haus des Vaters ankommen zu können. Die Kirche in Deutschland – und nicht nur die – hat eine mahnende und starke Persönlichkeit verloren, die allen Versuchen zum Trotz in keine billige Schublade passt.

Der verstorbene Kardinal Joachim Meisner Foto: picture alliance/ dpa
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