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Falscher Himmel auf Erden

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Das Christentum ist eine sterbende Religion. Zumindest in Europa. Diese Aussage ist provokativ, aber sie deckt sich nun einmal mit dem objektiven Befund. Es wäre nicht die erste Religion der Menschheitsgeschichte, die verschwände. Gehörten 1990 noch gut 28.500.000 Bundesdeutsche der katholischen und gut 29.400.000 der evangelischen Kirche an, so lauteten diese Zahlen 2012 etwa 24.300.000 und 23.350.000. Überalterung inbegriffen. In vielen anderen europäischen Ländern sieht es ähnlich aus. Kleinere Zuwächse, beispielsweise bei den evangelikalen Gruppen, gleichen den Verlust der Amtskirchen quantitativ nicht aus. Ein stärkeres Wachstum haben hingegen die Konfessionslosen und der Islam zu verzeichnen.

Die Gründe dürften vielfältig sein. Sie haben sicherlich mit der materiellen Fixierung unserer Gesellschaft und den Ablenkungen der Unterhaltungsindustrie zu tun. Auch mit der generellen Selbstentfremdung Europas. Auch spielen tiefliegende Verletzungen im kollektiven Gedächtnis, die ihre Ursachen in kirchlicher Machtpolitik vergangener Jahrhunderte haben, möglichenfalls eine Rolle.

Doch nicht nur der Substanzschwund ist das Problem, sondern auch die innere Fäulnis. Eine Bekannte berichtete mir vor vielleicht drei Jahren, daß sie in Kontakt zu einer Gruppe angehender Theologen gestanden hätte, von denen zahlreiche im persönlichen Gespräch offen zugaben, nicht an die Existenz Gottes im traditionell christlichen Sinne zu glauben. Und als es beispielsweise am letzten Weihnachtsfest zu einer Diskussion im Verwandtenkreis kam, war ich derjenige, der als einziger deutlich für eine Existenz Gottes eintrat und nicht alles nur als Hokuspokus abtat. Und das, obwohl ich im Gegensatz zu denjenigen, die nominal noch Kirchenmitglieder sind, mit 19 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin.

Friedenssehnsucht sogar gegenüber Salafisten

Die Friedenssehnsucht, selbst gegenüber rücksichtslos mordlüsternen Salafisten, ist das Ergebnis der christlichen Botschaft, stets auch noch die zweite Wange hinzuhalten, wenn man geschlagen wird. Dabei wird nicht gefragt, ob einem das Gegenüber zu dieser Handlung überhaupt noch die Gelegenheit einräumt. Bereits der Marxismus beruhte auf der Säkularisierung der christlichen Jenseits-Vorstellung.

Der Himmel der Gleichen sollte nun bereits im Diesseits hergestellt werden, und zwar mit Tempo und unter notfalls jedem Opfer. Aus der Erbsünde Adams und Evas und der Schuld der Menschheit wurde die Schuldlust der Vergangenheitsbewältigung, der vor allem gerne deutsche Protestanten frönen. Andächtig stehen sie dann um die Stolpersteine, wienern regelmäßig wie bei einer Wallfahrt kniend auf dem Boden herum, damit die kleinen Anbetungsobjekte zu Gottes Wohlgefallen glänzen, und sie fühlen sich froh, auf diese Weise ihre Erbschuld abzutragen.

Es ist klar, daß so viel Schuld keine Selbsterhaltungskräfte mehr zulassen kann. Und so wird aus der christlichen Nächstenliebe rasch die Selbstaufgabe gegenüber Jedermann. Der Einwanderer, der notfalls mittels Kirchenasyl unberechtigt dem Zugriff der staatlichen Justiz entzogen wird, wird zum steten Schutzbedürftigen verklärt, bei dem das christliche Bedürfnis nach Nächstenliebe und Selbstlosigkeit seine passende Projektionsfläche gefunden hat.

Die Ersatzfunktion

So wie Hunde und Katzen oft eine Ersatzfunktion für kinderlose Frauen besitzen, so hat der Fremde Ersatzfunktion für den eigenen christlichen Nachwuchs. Dem stets armen und hilflosen Schutzbefohlenen läßt so der mit Willkommenskultur ausgestattete Gönner milde Gaben zukommen und fordert sich selbst zu immer größeren diesbezüglichen Anstrengungen heraus. Doch was ist, wenn man für solche Selbsttäuschung gar keine Dankbarkeit erntet? Dass man möglichenfalls eher Biedermann mit seinen Brandstiftern gleicht, sich unerfüllbare Ansprüche, Elend, Konflikte, Gewalt und Terror ins Land holt, wird in dieser rosa Wolke christlicher Provenienz jedenfalls bewusst ausgeblendet.

Der beschriebene Säkularisierungs-Prozeß dürfte sich fortsetzen, so lange die Kirche meint, sich im liberalen Sinne reformieren zu müssen, das heißt, die Beschäftigung mit ihren spirituellen Kernaufgaben vernachlässigt, und statt dessen die Bürger zu allen möglichen politischen Themen mit einem theologisch verbrämten Käse zu belästigen, sei es die Abschaffung der Armee oder das Beten für die Elf des Deutschen Fußball-Bundes, das aber nicht allzu national ausfallen solle, sei es die eng ausgelegte sexuelle Sittenstrenge oder die Gender-Ideologie.

Eventuell kommt der Verfall zum Stillstand

Die Lösung wird schwierig. Ein Patient von diesem Umfang vergeht nicht so schnell. Und bis er vollends gestorben ist, können seine Fäulnisgase noch viel Umheil anrichten. Ob ein Aufhalten dieses christlichen Verfallsprozesses möglich ist, kann schwer vorhergesagt werden. Eventuell kommt der Verfall irgendwann zum Stillstand, und es findet eine Erholung und Konsolidierung auf niedrigerem Niveau statt. Das wäre auch deshalb denkbar, weil das Christentum über die Jahrhunderte verinnerlichter Teil unserer Kultur geworden ist, somit in unseren Köpfen lange weiterleben wird – mit allen guten wie schlechten Folgen. Die beherrschende Stellung, die die Kirche seit etwa 1700 Jahren im Abendland eingenommen hat, dürfte aber vermutlich nicht mehr rekonstruierbar sein.

Was dann aber das weiterführende Problem aufwirft, auf welchem spirituellen Fundament denn ein erneuertes Europa der Zukunft gebaut werden soll? Zwar haben sich neuheidnische Autoren damit in der Vergangenheit beschäftigt, von Björn Ulbrich über Sigrid Hunke bis zu Alain de Benoist. Aber es ist fraglich, ob diese Ansätze je eine nennenswerte Massenbasis finden und zur Regeneration Europas beitragen können. So bleibt eine Leerstelle, die spätestens dann danach schreit, gefüllt zu werden, wenn der Konsum durch Wirtschaftskrisen und Ressourcenschwund bedingt nicht mehr sein Glücksversprechen einlösen kann und die unheilvollen Folgen der säkularisierten christlichen Denkstrukturen offenbar werden.

 

 

 

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