Ursprünglich beabsichtigte ich, mich vor dem Hintergrund des verschwörungstheoretischen Humbugs der bundesrepublikanischen Presselandschaft exemplarisch einmal mit einer Kollegin von der FAZ und dem hysterischen Gefuchtel über ein „russisches Hitler-Szenario“, das dort veranstaltet wird, zu befassen. Auf der Suche nach einem postmodernen Rasputin-Äquivalent hat man sich dabei dankbar auf Alexander Dugin gestürzt, der ob seiner skurrilen politischen Vita und seines exzentrischen Auftretens sehr wohl einige Trefferfläche bietet. Herzlichen Glückwunsch übrigens in die Redaktionsstuben für die „Enthüllung“ dieses Denkers, der in rechtsintellektuellen deutschen Periodika bereits seit rund 20 Jahren Thema und Beiträger ist.
Wiewohl seine komplizierten Konzepte eine kritisch-aufmerksame Würdigung verdienen, so kann zumindest ein Leser seines im vergangenen Herbst auf deutsch erschienenen Grundlagenwerks „Die Vierte Politische Theorie“ nur den Kopf schütteln, wenn es dem EU-hörigen Medienzirkus nun darum geht, Dugin zum großen, poststalinistischen geistigen Brandstifter aufbauen zu wollen.
Kostprobe gefällig? „Dieses [für die Gesellschaftstheorien der Moderne konstitutive; N. W.] Bild des Mannes muß sterben; er hat keine Überlebenschancen, denn er ist gefangen in der historischen Sackgasse der Moderne. Er reproduziert die kleinen Hierarchien und kann die eigenen Grenzen nicht überschreiten. Ein solcher Mann glaubt, unsterblich zu sein. In Selbstreflektion schafft er permanente Realitäten, Spiegel, die in Spiegel blicken. Gleiches gilt für all jene Bilder, in die der Mann der Moderne erweitert worden ist: die Geschäftsfrau, Nichtweiße in ‘respektablen’ Rollen, und so weiter.“ (S. 207). Fürwahr, harte Zeiten brächen an, stünden nun tatsächlich ein post-postmodernistisch-traditionales drittes Geschlecht und die Liquidation der Zeit selbst auf der Agenda Wladimir Putins.
Die „Atlantische Fahrt“ im Kontext des Fußballs
Prinzipiell schlägt mein nunmehriges Thema aber in die gleiche Kerbe, nämlich die des Schreibens über Dinge, von denen man keinen blassen Schimmer hat – und ich wünschte mir wirklich eine Axt, um dieses stete Ärgernis des deutschsprachigen Journalismus endlich kappen zu können. Passenderweise hatte ich just am vergangenen Samstag ein längeres Gespräch mit einem Naturwissenschaftler, der auf seine alten Tage doch noch begonnen hatte, Ernst Jünger zu lesen (konkret: „Auf den Marmorklippen“).
Ihm war es hernach noch unverständlicher als zuvor, weswegen dem Jahrhundertschriftsteller von überall her soviel Respekt und Verehrung entgegengebracht wurden und werden: der Stil zu prätentiös, die Bildsprache überladen und teilweise obszön, die Dramatik (wie sie einen der schulische Deutschunterricht lehrt, also mit Spannungsbogen, retardierenden Elementen und so fort) plump bis nicht vorhanden. Die Unterhaltung verlief denn auch eher unproduktiv, da jemand, der weder die „Stahlgewitter“ noch den „Arbeiter“ gelesen hat, sich unter den vielen weiteren anzusprechenden schriftstellerischen Facetten Jüngers vielleicht nicht viel mehr als grobe Schnittmuster vorzustellen vermag: „Also bewundern Sie an Jünger vor allem, daß er mal ein schneidiger Frontsoldat gewesen ist!“ – „Auch richtig, aber das ist eine andere Geschichte.“
In der Zeit jedenfalls befaßte man sich dieser Tage – im WM-Kontext!!! – mit „Atlantische Fahrt“, dem Brasilien-Reisetagebuch Ernst Jüngers. Nun weiß man natürlich, was man von der Zeit zu halten hat, aber ein bereits ein Jahr altes und zuvor unbeachtetes Buch aufgrund einer Sportveranstaltung hervorzukramen und die gewohnte Worthülsen-Suada in die Tastatur zu hacken, ist schon eine Groteske eigener Art; daß sie gleichwohl ihre dankbaren Abnehmer findet, die in gewohnter Weise die Kommentarspalte zur Publikation ihrer Säuberungsphantasien nutzen, spricht Bände über das, was wohl irgendwann einmal so etwas wie ein „linksliberales“ „Bürgertum“ dargestellt haben mag.
Quellenkritisch kolossal lächerliche Zeit
Autorin Sarah Pines jedenfalls sollte vielleicht lieber bei der jungle world bleiben und sich mit Torten in Waffenform befassen – obwohl die Verbindung von Frauen mit Lebensmitteln sicher nicht gendergerecht und damit kein Diskussionsgegenstand für die dortige Redaktion wäre. Oder sie sollte sich in Zukunft bei ernsthafteren Themen zumindest grundlegend über das Objekt ihrer Betrachtung belesen, dann kommt nämlich auch keine Lachnummer dabei heraus wie die Jünger-Besprechung, die verzweifelt dazulegen sucht, „wie er in der schönen Natur das Schlachtfeld witterte“.
Denn würde dort „nur“ versucht, jedwede ästhetisierende Sprachfigur auf Teufel komm raus in einen Ausdruck vulgärer Militanz umzudeuteln, wäre es fast eine Wohltat. Wenn dann aber zur Untermauerung des kalten Blicks von rechts auf die Gewalt als höchste Schönheit die altbekannte Burgunderszene aus den „Strahlungen“ hervorgezerrt wird, entblößt die… naja: Rezensentin?… das volle Ausmaß ihrer Unkundigkeit des Jüngerschen Textkorpus ebenso wie ihre bundesrepublikanischen Assoziationsreflexe: „Wenn ihm also in Brasilien der Flug eines Kolibris als ‘jähe Schwängerung’ und ‘Lustraub’ erscheint, so ist dies nicht nur eine Vorwegnahme seiner Strahlungen (1949), in denen Jünger bekanntermaßen bei Burgunder mit Erdbeeren die Stadt Paris unter dem Anflug der deutschen Bomber als Blütenkelch erschien […].“
Ich weiß nicht, wer in der Zeit-Redaktion für die Veröffentlichung dieses peinlichen Buchstabenhaufens verantwortlich zeichnet, aber für Herrn/Frau/Wasauchimmer Redaktx – so oder so ähnlich ist das ja anscheinend jetzt zu schreiben: Erstens macht man sich literaturwissenschaftlich und quellenkritisch kolossal lächerlich, wenn man bei Tagebüchern von einer unverfälschten Abbildung subjektiv empfundener Realität ausgeht. Ein Germanist lernt das im Zuge der Auseinandersetzung mit Autorschaft schon im ersten Semester, weil er sonst nämlich nicht einmal sein erstes Proseminar bestehen würde. Und auch, wenn man nur ein dahergelaufener Feuilletonist ist, darf man das sehr wohl beachten.
„Doch hassen die Blinden jene, die für sie im Lichte tätig sind“
Für Ernst Jünger gilt dies im Besonderen, da – wie wir unter anderem von Armin Mohler wissen – seine Tagebücher seit den „Stahlgewittern“ immer mit dem Augenmerk auf einen späteren Abdruck verfaßt (und häufig überarbeitet) worden sind. Zweitens ist die Szene vom 27. Mai 1944, mit dem Bombardement, das Jünger „bekanntlich“ weintrinkend beobachtete, ebenso „bekanntlich“ eine Erfindung. Kann man schon mal aus den Augen verlieren, natürlich. Das ist ja auch erst seit knapp zehn Jahren belegt; in wenig belesenen Zirkeln wird noch heute ein Glas auf den nicht vorhandenen Jahrestag gehoben. Drittens: Wir hatten es ja gerade erst mit Ringelpiez in der Normandie, von daher dürften noch einige im Hinterkopf haben, daß die Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944 stattfand.
Nach Frau Pines Lesart hat nun also die deutsche Luftwaffe eine zu diesem Zeitpunkt noch fest in deutscher Hand befindliche Stadt bombardiert. Respekt für diese beachtliche Leistung; so ahnungslos und umerzogen muß man erst mal sein, bei (ich wiederhole: kontrafaktischen!) Bomben auf Paris ungeachtet der Kriegslage sogleich Hakenkreuze auf den Leitwerken der Flieger zu sehen.
Da hat sich die Zeit wirklich ein schönes Kuckucksei ins Nest legen lassen. Ein Witzblatt war und ist sie natürlich ohnehin, aber sowas? Meinungslenkung ging schon mal besser. Und zum Abschluß wird es denn noch ganz obskur, wenn Pines den zuvor ausgiebig Gescholtenen als irgendwo doch ganz ulkigen Märchenonkel rehabilitieren will – inklusive des schalen Oxymorons von „brutale[r] Milde“. Vielleicht ein bißchen viel an der „schwarzen Milch der Frühe“ genascht und womöglich neidisch auf das abenteuerliche Herz eines erfolgreichen Schriftstellers? Manche Sichtung Jüngers steht weiter vor Augen: „Doch hassen die Blinden jene, die für sie im Lichte tätig sind.“ (22. Juli 1944)