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Ausstellung „Aufbruch der Jugend“: Der Glaube an Erneuerung

Ausstellung „Aufbruch der Jugend“: Der Glaube an Erneuerung

Ausstellung „Aufbruch der Jugend“: Der Glaube an Erneuerung

Wandervögel von Otto Höger
Wandervögel von Otto Höger
Wandervögel von Otto Höger, 1916: Zerfall des Bindungsinteresses Foto: Germanisches Nationalmuseum
Ausstellung „Aufbruch der Jugend“
 

Der Glaube an Erneuerung

Die Ausstellung „Aufbruch der Jugend“ im Germanischen Nationalmuseum zeigt, wie der Wandervogel trotz seiner Vielgestaltigkeit vor dem Ersten Weltkrieg zu einem erstaunlich geschlossenen Ganzen wurde. Danach kehrte die alte Unbeschwertheit niemals wieder.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Die Ausstellung „Aufbruch der Jugend“ im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg, gruppiert sich um drei Zentralpunkte: den Eingangsbereich, den Mittelpunkt mit einem Fahnenkreis und die Kohte vor dem Schlußteil. Man könnte sie den Themen „Ursprung“, „Entfaltung“ und „Wirkung“ zuordnen, ohne dem Ganzen Gewalt anzutun, denn die Präsentation hält sich klugerweise an die Chronologie, um die Geschichte der deutschen Jugendbewegung darzustellen.

Der Besucher betritt die Ausstellung im Neubau des Nationalmuseums und steht unmittelbar vor dem großen Gemälde „Die Glut“ von Sascha Schneider, das eine Gruppe junger athletischer Männer zeigt, die eine Art Flammenschale emporstemmen, an deren Rand man ein Mädchen, aufgerichtet, mit gelöstem Haar sieht. Wesentlich sind die ausgebreiteten Arme, eine Geste, die am Ende des 19. und am Beginn des 20. Jahrhunderts zum festen Inventar der bildenden Kunst gehörte.

In Nürnberg werden deshalb auch noch zeitgenössische Werke von Max Klinger, Ernst Seger und Max Ackermann gezeigt, deren stilistische und inhaltliche Verwandtschaft mit dem Bild Schneiders unbestreitbar ist. Immer ging es um eine an antiken Vorbildern orientierte Darstellung, die allerdings etwas ganz Modernes zum Ausdruck bringen sollte: Erneuerungsglauben und Gottsuchertum.

Ein erstaunlich geschlossenes Ganzes

„Die Glut“ von Sascha Schneider, 1904: Ein erstaunlich geschlossenes Ganzes Foto: Germanisches Nationalmuseum
„Die Glut“ von Sascha Schneider, 1904: Ein erstaunlich geschlossenes Ganzes Foto: Germanisches Nationalmuseum

Die geistigen Strömungen des Wilhelminismus waren sehr stark durch das eine wie das andere bestimmt, und die Jugendbewegung hatte ihrerseits Teil an dieser Zeitstimmung. Das wird in Nürnberg auch deutlich gemacht unter Verweis auf die Lebensreform, deren Ziele und deren Habitus dem der Jugendbewegung in vielem so ähnlich war.

Daß es sich aber doch um ein selbständiges Phänomen handelte, wird dann durch jene Exponate geklärt, mit deren Hilfe man die Entwicklung der Urzelle, des Wandervogels, erläutert: Kleidung und Klampfe, Wimpel und Band, Zeitschrift und Liederbuch, Fotografie und Scherenschnitt.

Die Konzentration der Stücke zeigt auch, daß der Wandervogel trotz seiner Vielgestaltigkeit in der letzten Phase vor dem Ersten Weltkrieg zu einem erstaunlich geschlossenen Ganzen wurde. Daß das nicht frei von skurrilen Zügen war, ist unbestreitbar, unbestreitbar aber eben auch die fruchtbare Wirkung, die die Jugendbewegung früh auf Gesellschaft und Kulturleben, insbesondere Schul- und Erziehungswesen, ausübte.

Anleihen an kriegerischen Ausdrucksformen

Wie gut der Versuch gelingen konnte, etwas vom jugendbewegten Geist ins Erwachsenenalter zu retten, ohne im „ewigen Wandervogeltum“ steckenzubleiben, macht in der Ausstellung die Rekonstruktion des Wohnzimmers von Hans Breuer sinnfällig. Breuer gehörte neben Hermann Hoffmann, Karl Fischer und Hans Blüher zu den legendären Figuren der Gründergeneration. Er war der Herausgeber des „Zupfgeigenhansl“, des berühmtesten Liederbuchs der Jugendbewegung, aber noch mehr als das: Führer des Wandervogel – Deutscher Bund, einer der wichtigsten und maßgeblichen Gruppen, Arzt, Philanthrop und Kriegsfreiwilliger von 1914.

Damit und mit seinem Tod im Feld war er repräsentativ für den Wandervogel insgesamt, dessen Welt durch das Kriegserlebnis nachhaltig verändert wurde. Die alte Unbeschwertheit kehrte niemals wieder.

Die neue Generation und der neue Stil – das „Bündische“ – mußten nach Kriegsende und Niederlage zu einer massiven Veränderung führen. Man kann das zuerst an den Fahnen ablesen, die in Nürnberg eindrucksvoll in einem großen Kreis aufgestellt wurden. Das Spektrum reicht vom älteren, bunten Wandervogelwimpel mit dem „Greif“ bis zum riesenhaften Pfadfinderbanner in Schwarz mit einer streng gezeichneten Speerspitze in Weiß, aber wichtiger als das ist noch die Akzentverschiebung, weg vom spielerischen Umgang mit den Symbolen im Wandervogel, hin zum Fahnenkult der Bündischen Jugend, die auch sonst so viele Anleihen an kriegerischen Ausdrucksformen genommen hat.

Der Traum vom „Hochbund“

Die Veränderung im Habitus ließen die noch in der Endphase der Weimarer Republik geschaffenen Elitebünde – Nerother, Graues Corps, dj 1.11 – deutlicher erkennen als die Massenorganisationen, die in den zwanziger Jahren begannen, für ihre Jugendarbeit in Partei, Gewerkschaft oder Kirche die Muster der Bündischen zu kopieren.

Wie scharf die Auslesevorstellungen (auch in bezug auf die Physiognomie) von Führern wie den Brüdern Oelbermann, Eberhard Koebel – tusk oder Fred Schmid war, ist an dem an prominenter Stelle aufgehängten Gemälde „Der Fahnenträger“ Oskar Justs ablesbar. Das Bild hat man so angebracht, daß der Weg des Besuchers in einer Richtung zur Abteilung über die Hitler-Jugend, in der anderen zu den Exponaten führt, die sich auf den Jugendwiderstand in der Zeit des NS-Regimes beziehen. Zu Recht wird betont, wie sehr sich die HJ bemühte, Konzepte der Jugendbewegung nutzbar zu machen, und auch daß das bündische Ethos genauso zu der Illusion führen konnte, daß der Traum vom „Hochbund“ endlich in Erfüllung gegangen sei, wie zu der Entschlossenheit, als einzelner den Kampf gegen die staatliche und ideologische Übermacht aufzunehmen.

Else Vogel beim Musizieren mit Wandervögeln, um 1920: Die alte Unbeschwertheit kehrte niemals wieder Foto: Germanisches Nationalmuseum
Else Vogel beim Musizieren mit Wandervögeln, um 1920: Die alte Unbeschwertheit kehrte niemals wieder Foto: Germanisches Nationalmuseum

Man hätte sich an dieser Stelle in der Wertung der von Jugendlichen getragenen Opposition etwas mehr Differenzierung gewünscht, aber die Verzeichnungen sind doch nur marginal. Man sieht sich jedenfalls vorbereitet auf das, was dann noch kommt: die kurze Renaissance der Bünde in der Nachkriegszeit, die Krise bei Entstehung einer ganz neuartigen „Jugendkultur“ seit den fünfziger Jahren, der Bruch mit der „Jugendrevolte“ der sechziger Jahre.

Die alte Unbeschwertheit kehrte niemals wieder

Dabei hat das Erbe des Wandervogels sogar noch auf ’68 eingewirkt, etwa im Zusammenhang des Singewettstreits auf Burg Waldeck. Trotzdem war der Einschnitt unverkennbar. Er hat die Bünde nicht vollständig verschwinden lassen. Die Kohte, in Nürnberg prominent plaziert, nutzen bis heute zahlreiche Guruppen, und mittlerweile haben sich viele auch von Subversion und Politisierung erholen können. Ihre eigentliche Gefährdung liegt auch nicht mehr in der Politisierung, sondern im Zerfall des Bindungsinteresses und der Bindungsfähigkeit der Jugendlichen.

Die letzte Installation in Nürnberg zeigt alle möglichen Formen von Freizeitgestaltung, die Heranwachsenden in der Gegenwart zur Verfügung stehen, und die trotz aller Verschiedenheit gemeinsam haben, was ganz im Gegensatz zur Leitidee der Jugendbewegung steht: Isolation, Bewegungsarmut, Ichbezogenheit.

JF 52/13-01/14

Wandervögel von Otto Höger, 1916: Zerfall des Bindungsinteresses Foto: Germanisches Nationalmuseum
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