Die Viertkläßlerin schrieb: „Liba Fata ales gute zum Fatatag. Ich hab dich lib.“ Als der brandenburgische CDU-Abgeordnete Henryk Wichmann diese Sätze von seiner Tochter zu lesen bekam, dämmerte ihm, daß etwas faul ist mit dem Rechtschreibunterricht in unserem Staat. In vielen Grundschulen lernen die Kinder zunächst mit Hilfe einer sogenannten „Anlauttabelle“, so zu schreiben, wie sie es hören. Fehler verfestigen sich, weil sie anfangs kaum verbessert werden. So versorgt der Staat die pädagogische Nachbesserungsindustrie mit neuer Kundschaft. Im September stellte Wichmann daher eine Kleine Anfrage an die Landesregierung. Diese fand jedoch nichts zu beanstanden. Wichmanns Tochter geht nun auf eine Privatschule.
Wie schlimm muß es mit unserem Bildungssystem stehen, wenn Eltern oft nur noch den Ausweg sehen, ihr Kind von der staatlichen Schule zu nehmen? Jahrzehntelang haben die Kultusministerien dem Druck von Interessenverbänden nachgegeben und Neues eingeführt, ohne es zuvor ausreichend geprüft zu haben. Die Folgen dieser undurchdachten Dauerreformen sind verheerend.
„Richtig schreiben lernen trotz Schule“
Das zeigt sich besonders deutlich im Verfall des Rechtschreibwissens, verursacht vor allem durch die Rechtschreibreform und den Irrweg des Schreibens nach Gehör. Diese beiden Reformen erschütterten am tiefsten die Rechtschreibsicherheit mehrerer Schülerjahrgänge. Von „orthographischer Verwahrlosung“ spricht der Schweizer Sprachwissenschaftler Rudolf Wachter, wenn er auf die Folgen der Neuregelung sieht. Für seinen Frankfurter Kollegen Günther Thomé hat die Methode „Lesen durch Schreiben“ zu einer „Rechtschreibkatastrophe“ geführt. Er sagt: „Die Schüler, die richtig schreiben lernen, tun dies trotz der Schule.“
Mehrere Untersuchungen haben den Niedergang des Rechtschreibwissens nachgewiesen. Eine wissenschaftliche Studie ergab im Jahr 2007, daß nur noch 20 Prozent der Neuntkläßler in Deutschland die Rechtschreibung einigermaßen sicher beherrschen. In einer weiteren Untersuchung fand der Sprachwissenschaftler Wolfgang Steinig heraus, daß Viertkläßler im Jahr 1972 nur rund neun Fehler auf hundert Wörter machten. 2002 waren es hingegen zwölf, und 2012 bereits 16. Warum haben dann Schüler im Schnitt heute kaum schlechtere Noten? Die Antwort ist einfach: Die Bewertungsmaßstäbe wurden heruntergesetzt. So versucht man, Versäumnisse zu verstecken.
Rechtschreibreformer sind „krachend gescheitert“
Der Germanist Uwe Grund hat nun mehrere solcher Rechtschreib-Untersuchungen ausgewertet und kommt zu dem Schluß, daß gerade die reformierten Bereiche der Orthographie die Zahl der Rechtschreibfehler erhöhen. Die Reformer hatten noch in den 1990er Jahren versprochen, daß das Schreiben einfacher und damit die Zahl der Fehler sinken werde. Mit diesem Ziel sind sie „krachend gescheitert“, wie Dankwart Guratzsch in der Welt treffend bemerkte. Sowohl in der neugeregelten Getrennt- und Zusammenschreibung als auch in der Groß- und Kleinschreibung haben sich nämlich demnach bei Sechstkläßlern die einschlägigen Fehler verdoppelt. Selbst die scheinbar so logische neue s-Regel hat keine Verbesserung gebracht, sondern dort die Fehlerzahlen um 20 bis 30 Prozent steigen lassen.
Dennoch legt der Rat für deutsche Rechtschreibung, der die Reform und ihre Nachbesserungen zu verantworten hat, die Hände in den Schoß. Man untersucht ein bißchen hier, ändert ein, zwei Wörtchen dort, trifft sich immer wieder zu Sitzungen, doch den Kern der Reform tastet man nicht an. Dieser Minimalismus wurde selbst seinem Mitglied Peter Eisenberg zuviel. Darum trat er jetzt aus dem Rechtschreibrat aus. Damit verliert das Gremium den einzigen Reformer, der sich mühte, die mißlungene Neuregelung einigermaßen glattzubügeln.
Eine im besten Sinne konservative Bildungspolitik
Doch die Beharrungskräfte waren stärker. Der Rat hat damit gezeigt, daß er seiner Aufgabe nicht gewachsen ist. Guratzsch fordert nun „eine neue internationale Rechtschreibkonferenz, die dem unerträglichen Wirrwarr ein Ende setzt“. Das könnte ein Ausweg sein. Dabei sollten solch konstruktive Kräfte wie etwa die Schweizer Orthographische Konferenz einbezogen werden.
Bleibt die Frage, ob es eine Lösung sein kann, nach dem Vorbild von Henryk Wichmann die Kinder von der staatlichen Schule zu nehmen? Wie wäre es mit einer anderen, solideren, im besten Sinne konservativen Bildungspolitik? Doch leider interessiert sich Wichmanns Partei, die CDU, offenkundig weder dafür, eigene, konservative Vorstellungen in der Schulpolitik zu entwickeln, noch dafür, diese dann auch durchzusetzen. Die CDU stellt nämlich keinen einzigen Kultusminister. Fast alle Inhaber dieses Ressorts gehören der SPD an.
Außerhalb der Schule bleibt die alte Rechtschreibung gültig
Nur in Bayern gibt es mit Ludwig Spaenle (CSU) einen letzten Kultusminister aus der Union; der – immerhin – nun für mehr Kontinuität und Verläßlichkeit in der Bildungspolitik plädiert und angekündigt hat, daß Rechtschreibfehler wieder früher als bisher korrigiert werden sollen. In erster Linie jedoch haben wir eine Bildungskatastrophe von links.
Um so wichtiger ist es, daß es auch außerhalb der Parteien Vorreiter des gesunden Menschenverstands gibt, die nicht jede Reform einfach mitmachen. Unabhängige Medien wie die JUNGE FREIHEIT leisten es sich, selbst zu bestimmen, welcher Rechtschreibung sie folgen wollen, und wählen selbstverständlich die qualitativ bessere, bewährte Schreibweise.
Denn die traditionelle Rechtschreibung ist weiterhin richtig und gültig. Daß die Neuregelung lediglich für die Schulen rechtsverbindlich ist, geht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1998 hervor: „Personen außerhalb dieses Bereichs sind rechtlich nicht gehalten, die neuen Rechtschreibregeln zu beachten und die reformierte Schreibung zu verwenden. Sie sind vielmehr frei, wie bisher zu schreiben.“ Wer traditionell schreibt, zeigt damit also auch, daß er frei ist.
JF 50/13