KAFF-RAMBEL. Vor dem Ausbruch der Revolution war Mohamed Ali al-Salloum (26) frisch gebackener Veterinärmediziner in Kaff-Rambel, Nord-Syrien. Er ist ein moderner und gebildeter Muslim, der betont, mit Extremisten nichts am Hut zu haben. Sein Traum: Ein Visum für Deutschland, um ein ergänzendes Genetik-Studium durchzuführen. Doch vorerst sieht der junge Mann seine Pflicht im Sturz des Systems von Baschar al-Assad. Als Anführer der 20köpfigen Rebellengruppe „Batallion der Adler Syriens“ (Khatiba Szuggur Surriya) steht er im Kampf um die Autobahn-Militäranlage Wadi Deph bei Maarat an-Numan an vorderster Front. Er gibt Einblick in die Gedankenwelt jener Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“.
Billy Six: Wie ist die aktuelle Lage?
Mohamed Ali al-Salloum: Wir belagern die Assad-Armee in Wadi Deph. Ihre Versorgung über die Straße ist seit Anfang Oktober nicht mehr möglich. So Allah will, werden wir siegen.
Ist es korrekt, daß Wadi Deph mittlerweile per Hubschrauber mit Nahrung und Munition versorgt wird?
Salloum: Ja. Allerdings können die Hubschrauber dort nicht landen. So kommt es also vor, daß Versorgungspakete jenseits der Linien herunterfallen. Und außerdem haben Sie ja gesehen, daß die Freie Armee einen Hubschrauber abgeschossen hat.
Wenn die Lage für die Assad-Armee so aussichtslos ist: Wie kommt es dann, daß selbst Kaff-Rambel seit einigen Tagen mit Mörsern beschossen wird?
Salloum: Nein, da verstehen Sie etwas falsch. Das sind keine normalen Mörsergranaten, sondern größere Mörserbomben. Und die werden nicht von Wadi Deph oder Hamedia abgeschossen, sondern von Khan Scheikh Hun, einer besetzten Stadt 20 Kilometer weiter südlich.
Was ist dagegen zu tun?
Salloum: Beten und kämpfen.
Erhält Ihre Gruppe Unterstützung aus dem Ausland?
Salloum: Das meiste kaufen wir Syrer selbst. Aber es gibt Spenden von muslimischen Brüdern aus Saudi-Arabien und Katar. Nicht von den Regierungen, sondern aus dem Volk. So können wir immerhin 3.500 Lira (rund 40 Euro) an Monatssold auszahlen, damit unsere Kämpfer ihre Familien ernähren können.
„Der Westen ist ein Feind“
Gibt es Hilfe aus Amerika?
Salloum: Nein. Wir brauchen Amerika und Europa nicht. Gerade Amerika haßt doch die Muslime, weil ihr System von Zionisten unterwandert ist. Die sind dafür verantwortlich, daß unsere Brüder in Palästina getötet werden.
Wenn Sie Amerika und Israel ablehnen: Wieso kämpfen Sie dann gegen Assad, der von beiden als Schurke gebrandmarkt wird?
Salloum: Nein, da verstehen Sie wieder etwas falsch. Die Assads sind Agenten der Zionisten. Hafis al-Assad hat von 1980 bis 1982 nicht nur 56.000 Syrer getötet, sondern auch unseren Golan an Israel verkauft und die Millionen für sich behalten.
Haben Sie dafür einen Beleg?
Salloum: Alle Leute wissen das.
Wie sollte eine syrische Israel-Politik aussehen?
Salloum: Wenn Baschar gestürzt ist, werden wir Israel zerstören und Al-Quds (Jerusalem) zur Hauptstadt des vereinigten „Bilad al-Schamm“ machen. Bilad al-Schamm ist die historische Region aus Syrien, Antakya, Libanon, Palästina und Jordanien. Unser Prophet Mohamed, mögen Allahs Segen und Frieden auf ihm sein, hat gesagt, daß die Gläubigen von Bilad al-Schamm ganz besonders gesegnet sind. Sie sind bessere Muslime als die auf der arabischen Halbinsel.
Wie will die Freie Syrische Armee denn gegen Israel militärisch bestehen?
Salloum: Nach unserem Sieg werden muslimische Wissenschaftler aus allen Teilen der Erde in das freie Syrien kommen, und wir werden moderne Raketen entwickeln, mit denen wir Israel zerstören können. Wir hatten einen guten Raketen-Fachmann in Kaff-Rambel: Mounir al-Hassan. Er ging nach Rußland zum Studieren, aber der KGB hat ihn mit einer Spritze getötet. Die Russen haben Angst vor starken Muslimen.
Und die syrische Regierung hat gegen diesen Vorfall nicht interveniert?
Salloum: Der Assad will nur seinen Stuhl. Alles andere ist ihm egal.
Krieg gegen die Assads währt schon Jahrzehnte
Ihre Männer verbindet eine besondere Beziehung zu Hafis al-Assad: Einige sind Verwandte von Abdul Hamid Dahmur, einem Attentäter von 1980.
Salloum: Dahmur selbst ist im Ausland. Aber einige seiner Vettern kämpfen bei uns.
Was ist 1980 genau geschehen?
Salloum: Abdul Hamid Dahmur war damals einer der Leibwächter von Präsident Hafis al-Assad. Er warf eine Bombe auf Hafis. Ein alawitischer Leibwächter schmiß sich auf den Sprengsatz, ein zweiter über ihn. Der erste Mann wurde völlig zerfetzt. Beim zweiten flogen nur die Arme und Beine durch den Raum. Hafis selbst wurde am Bein verletzt. Anschließend kam es zum Schußwechsel zwischen den fünf sunnitischen Helden und dem Rest der Leibwächter. Drei von unseren Männern wurden Märtyrer. Die beiden Überlebenden, darunter Abdul Hamid Dahmur, konnten mit Hilfe der Muslimbruderschaft fliehen.
Unterstützt Dahmur den aktuellen Krieg?
Salloum: Er hat seinen islamischen Heldendienst geleistet. Heute ist er ein alter Mann, und tut vom Ausland aus alles, um uns zu unterstützen. Was genau, weiß ich nicht.
„Die Ungläubigen sind zu unterwerfen“
Dieser Krieg wird mit Verbissenheit und Inbrunst geführt, sodaß man den Eindruck gewinnen kann, es ginge um mehr als nur um den Sturz des Staatsführers.
Salloum: Also erst einmal haben wir die ganze Welt gegen uns. Und diese Regierung holt sich sogar Scharfschützen aus dem Iran, um ihre eigenen Leute abzuknallen. Die Iraner sind Schiiten. Ihre Religion zwingt sie dazu, Sunniten zu töten. Sie glauben, daß sie dann direkt in den Himmel aufsteigen. Wenn ich in den Iran gehe, wird man mich nicht erschießen, sondern mir den Kopf abschneiden.
Wer ist für dieses Handeln verantwortlich: Regierung oder Volk?
Salloum: Das Volk, weil die Scheichs sie dieses lehren. Deshalb kann es mit den Iranern auch keinen Frieden geben.
Auch nicht, wenn die Vereinten Nationen sicherstellen würden, daß die Sunniten geschützt werden?
Salloum: Daran glauben wir nicht. Die Vereinten Nationen stehen immer nur mit den starken Ländern wie den USA, Israel, Iran oder Indien. Schwache Länder wie Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien oder Jemen sind immer die Opfer. Es geht gegen die Muslime insgesamt.
Haben wir es in Syrien mit einem religiösen Krieg zu tun?
Salloum: Unser Ziel ist es, Syrien, Libanon, Jordanien und Palästina unter dem Banner des Islam zu vereinigen – und von hier den weltweiten islamischen Staat aufzubauen. Das ist doch wohl klar, daß wir den Staat Israel beenden und die Juden unterwerfen werden. Das gebietet uns der Islam. Aber der Islam hat sehr gerechte Regeln. Wir werden den Juden und Christen erlauben, ihre Religion zu behalten. Sie müssen nur eine Sondersteuer an die Muslime bezahlen und unsere Scharia, das islamische Gesetz, achten. Und daran ist auch Allahs Gerechtigkeit zu erkennen: Denn die Muslime achten das islamische Gesetz ebenfalls, und müssen statt der Sondersteuer ihren „Zakat“ entrichten.
Sie sprechen vom Dhimmi-Status der Inhaber des Buches, also Juden, Christen, Sabäer und Zoroastrier. Wie jedoch soll mit den Schiiten verfahren werden?
Salloum: Schiiten sind keine Muslime, sondern „Kafir“ (Ungläubige). Aber wir werden sie nicht töten, der Islam ist menschlich. Wir werden ihnen die Möglichkeit geben, in den Islam einzutreten.
Und wenn die Schiiten unwillig sind?
Salloum: Wenn sie nicht wollen, so erhalten sie die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Wir Muslime werden ihnen sogar die Reise bezahlen.
Aber wenn eines Tages der islamische Staat seine weltweite Gültigkeit entfaltet: Wohin sollen die Schiiten dann noch auswandern?
Salloum: Dann werden wir sie zum Islam einladen.
Und wenn sie nicht wollen?
Salloum: Dann werden wir sie töten müssen. Und vergesse nicht die Weisheit und Weitsicht Allahs: Er wird Jesus auf die Erde zurückschicken, um die „Kafir“ zu töten. Allah ist gütig und verzeihend. Er wird uns nicht mit dieser schweren Aufgabe alleinlassen. Er schickt uns einen Anführer. Und anders als die Christen lehren, ist ja Jesus noch am Leben. Er ist der einzige Prophet, den Allah lebend zu sich geholt hat, und ich weiß nicht, warum die Christen diese großartige Erkenntnis des Islam nicht als Beweis dafür akzeptieren, selber in den Islam einzutreten.
Warum sprechen Sie von Jesus – und nicht vom arabischen Ausdruck Issa?
Salloum: Ich möchte, daß Sie verstehen, wovon ich spreche.
Was hat es also mit Jesus im Islam auf sich?
Salloum: Er wurde nicht gekreuzigt. Das ist eine Lüge. Allah änderte das Gesicht eines anderen Mannes, sodaß es aussah wie das von Jesus – und dann töteten die Juden einen falschen Mann. Sie haben niemals Jesus getötet. Alle anderen Propheten sind tot, nur nicht Jesus. Jesus wird von Allah für den Endkampf gegen die Ungläubigen geschickt werden.
Wie wird dieser Endkampf aussehen?
Salloum: Es wird einen König der Ungläubigen geben. Sein Name: A-Ur Dadschal. Er ist ein gefährlicher, böser Magier – er wird überall auf der Welt sein, außer in Mekka und Medina. Jesus wird eine Armee mit Soldaten aus „Bilad al-Schamm“ anführen, und die „Kafir“ überall töten.
Auch die Frauen und Kinder?
Salloum: Nein, das verbietet uns der Islam. Wir werden sie davon überzeugen, den Islam anzunehmen.
Und wenn sie nicht wollen?
Salloum: Dann werden wir sie töten müssen. Der Islam läßt uns keine Wahl.
Folgendes erscheint nicht ganz klar: Nach islamischer Überlieferung ist Isas Krieg gegen die Ungläubigen die letzte Schlacht von allen. Wie ist es möglich, daß ungläubige Frauen und Kinder überleben, und die Chance erhalten, sich für den Islam zu entscheiden – oder auch nicht?
Salloum: Ich weiß nicht, wie es ablaufen wird. Aber ich glaube, weil Mohamed, sallalla alleihi wassalem, mir das sagt. Und Allah hat eine Lösung für das Problem.
Islam ist tief verwurzelt
Wer hat Ihnen den Islam beigebracht?
Salloum: Mein Vater. Meine Mutter. Und einige Lehrer.
War es den Lehrern im säkularen Syrien nicht verboten, über Religion zu sprechen?
Salloum: Einige haben es getan.
Welche Rolle haben die Scheichs bei Ihrer muslimischen Erziehung gespielt?
Salloum: Als Junge war ich jeden Tag in der Moschee und habe den Islam gelernt. Wir haben gemeinsam den Koran und die Hadithe gelesen.
Wollen Sie einen islamischen Staat in Syrien?
Salloum: Es geht nicht darum, was ich will, sondern um die Frage, was Allah will.