MAARAT AN-NUMAN. Wie konnte es so weit kommen in einer Region, in der die örtlichen Beduinenstämme hinsichtlich ihrer Positionierung zur Regierung in Damaskus zerstritten sind? Nach übereinstimmenden Berichten hätten die Soldaten der Armee ausschließlich in die Luft geschossen, als sich ab Oktober 2011 doch Unmut in den Straßen von Abu Duhur abzeichnete.
Anschließend wären die Streitkräfte, darunter angeblich auch iranische Einheiten, zurück in den „Matar“, die Luftwaffenbasis, gezogen und hätten der Dinge geharrt. Das Rätsel von Abu Duhur bleibt ein einzelner Mann, der Ende August 2012 mit einer unbekannten Waffe in Richtung Flugplatz gefeuert haben soll, so die Darstellungen von Rebellen und Einheimischen. Niemand könne diese Figur einordnen. Der Vorfall hatte weitreichende Folgen: Sechs Tage lang hätten Kampfflieger vom Typ Mig21, Mig23 und Suchoi sowie die Hubschrauber MI8 und MI26 Abu Duhur zu Teilen in Schutt und Asche gelegt. Die Bevölkerung habe bereits am ersten Tage die Flucht ergriffen.
Rebellen kamen aus der gesamten Umgebung
Überall aus dem Nordwesten Syriens seien jedoch Aufständische herbeigeeilt, um „unsere Brüder zu verteidigen“. Zahlen sind wie immer mit Vorsicht zu genießen: Mal ist von 200, später von 500 oder gar 800 Kämpfern die Rede.
Dieselben Informanten ändern mitunter auch ihre Darstellungen – je nach Tageslaune. Einig sind sie sich nur darüber, daß Jamal Mahrouf aus den fernen Sawija-Bergen ihr offizieller Anführer ist, eine Belohnung dafür, daß er eroberte Kampfpanzer ins Schlachtfeld gebracht hat. Doch nur gut die Hälfte der Bewaffneten, so ist zu vernehmen, würde sich der Struktur der Freien Syrischen Armee einordnen. Die Zahl der Einzelakteure, stets im Sinne Allahs versteht sich, ist ungewöhnlich hoch. Ist es da noch Zufall, daß die meisten Krieger abgezogen und Jamal Mahrouf in die Türkei gereist sein soll?
Zurückgeblieben ist eine kaputte Stadt und Flüchtlinge, die von der verschont gebliebenen Bevölkerung des Umlandes versorgt werden.
Hilfe von außen ist nirgends zu erblicken: Weder humanitär, noch militärisch. Die angegebenen Opferzahlen: 70 bis 100 aus der Zivilbevölkerung, fünf unter den Rebellen. Ob dieses Verhältnis stimmt, läßt sich nicht nachprüfen. Ebenso wenig wie die „unglaublich vielen“ Toten der Gegenseite. Einzig ein Bild auf dem Mobiltelefon zeigt zwei Leichen in Uniform, die auf dem Grasland zwischen Stadt und Flughafen in den Prozeß der Verwesung übergegangen sind.
Assad hat auch Unterstützer aus dem Volk
Wie wenig sicher die Lage in der „von Rebellen gehaltenen Stadt“ ist, stellt nicht nur eine Armee-Leuchtkugel unter Beweis, die zu später Stunde Abu Duhur grell erhellt. In einer Nebenstraße hat sich ein gutes Dutzend Kämpfer zur Beratung versammelt. Sie zeigen einen Ring, ausgestattet mit eingebauter Technik: „Dieses Ding hat irgendein Verräter vor unser Haus geworfen, damit die Flugzeuge uns orten können“, so die Männer.
Der Ring läßt sich aufschrauben. Darin ist ein Sender. Schwer einzuschätzen, ob er tatsächlich diesem Zweck dienen sollte – zumal in einem Kulturkreis, in dem die Erzählungen über Geheimdienste geradezu blühen. Klar ist nur eines: Die Lage ist aussichtslos. Für beide Seiten. Oder, um es mit den Worten von Yasene, früher Student, jetzt Kämpfer, auszudrücken: „Niemand kann diesen Krieg gewinnen. Unser Land ist am Ende.“