Praktischer Wertnihilismus hat Tradition. Er bedeutet im Sinne von Max Webers Wertfreiheitspostulat einen weltanschaulich-politisch leidenschaftslosen Zugang zu den Wissenschaften. Für eine Kritik an der vorherrschenden politischen Ökologie hieße das darzulegen, wo aus politischen oder gesinnungsethischen Gründen ökologischem Sachverstand nicht entsprochen wird oder dieser zu Lasten anderer Aspekte unzulässig vereinseitigt wird.
Die Überhöhung der Bedeutung der Wind- und Sonnenenergie macht der Autor des Buches „Öko-Nihilismus“ als zu teuer aus. Auch die Reduzierung der ökologischen Frage auf den Treibhauseffekt ist ein mit ökologischer Sachlichkeit nicht zu erklärender Tatbestand, sondern hat mit Bedürfnissen nach der Reduktion von Komplexität – nicht zuletzt bei den Medien – zu tun. Doch statt das differenzierend darzustellen, wirft Edgar Gärtner anderen ein „Treibhaus der Phantasie“ vor und heizt ihm auf seine Weise selber ein, wenn er glauben macht: da die Sonne Fleckenzyklen habe, würde es auf der Erde momentan wärmer werden. Doch nach dem Wissensstand durch die Sonnenfleckenaufzeichnungen seit dem 19. Jahrhundert und die seit 1975 erfolgenden direkten Messungen der Intensität der Sonnenhelligkeit müßte das Weltklima kälter und nicht wärmer werden. Da war bei Gärtner der Wunsch die Mutter des Gedanken, nicht wissenschaftliche Nüchternheit. Auch die Sprache Gärtners ist alles andere als nüchtern, in den Kapitelüberschriften ist von „Dummheit“ und „Eiertanz“ die Rede.
Auf dem Buchdeckel heißt es, die „berühmt-berüchtigte Studie Grenzen des Wachstums“ habe Gärtner bereits in den 1970er Jahren in der linken Zeitschrift Konkret als mit „menschenverachtenden Konsequenzen“ behaftet dingfest gemacht. Daß er das an so prominenter Stelle plaziert, zeigt, daß Gärtner darauf stolz ist. Aber entweder ist den Computermodellen des Club of Rome wissenschaftlich etwas abzugewinnen – etwa daß Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum den Planeten wirklich plündern – oder aber nicht. Grenzen des Wachstums gibt es natürlich immer, die Frage ist nur, wo und wie variabel sie sind. Der damalige Club-of-Rome-Bericht bietet nur ein Modell oder Schema an, das Vorgänge verständlich macht. Aber ein Modell an hineingelesenen praktischen Konsequenzen zu messen und das als eine besondere Leistung herauszustellen, stellt die Wissenschaft auf den Kopf. Den damaligen Konkret-Artikel im Anhang anzufügen, wäre aufschlußreich gewesen. Denn vermutlich hat Gärtner nur die Polit-Ökonomie gewechselt, an der er sein Bild vom falschen Ökologiebewußtsein abzieht – gestern links, heute pseudoliberal.
Der harsche Ton und die pauschalisierende Kritik am Ökologiethema erhellt sich, wenn man Gärtners Ausführungen über die „68er“ liest, die er gut zu kennen scheint. Zu wenig sei über die 68er-Bewegung und ihre Folgen geforscht worden, etwa den damit heute verbundenen Etatismus. Die zehn Gebote wurden von der antiautoritären Welle überrollt und als neue Richtschnur der „Zwang der political correctness“ aufgestellt, der eine „geistige Umweltverschmutzung“ sei. „Augenfällig wird die virenartige Verselbständigung des Christusbildes durch den Kopf eines Mörders (Che Guevara) auf T-Shirts. Es ist eben leichter, Krankheiten zu verbreiten als zu heilen“, schreibt Gärtner.
Das Ökologiethema identifiziert Gärtner mit den Post-68ern. Andere umweltbewegte Strömungen mit vielleicht mehr Sachverstand erwähnt er nur beiläufig. Gärtner, der sich als einstiger Weggefährte des jetzigen Bremer Umweltsenators Reinhard Loske (Grüne) bezeichnet, hat diese Zeit offenbar noch nicht ganz verwunden. Neue Freunde dürfte Gärtner bereits gefunden haben, etwa Gunnar Sohn, der sich einst als „Grüner-Punkt“-Lobbyist mit einem ähnlichen Buch hervortat und über den „Öko-Nihilismus“ kürzlich eine begeisterte Rezension geschrieben hat.
Mittlerweile ist Gärtner Direktor des Umweltforums des „Centre for the New Europe“, das sich selbst als ein Forum darstellt, „in dem die der EU-Politik zugrundeliegenden Ideen und ihre praktischen Implikationen diskutiert werden“. Eine Denkfabrik will ihre Ansichten ins Gespräch bringen – mit Gärtner ist hierfür sicher eine kämpferische Natur am Werk, der eine Lust an Polemik nicht abzusprechen ist. Das hat aber mit praktischem Wertnihilismus nicht viel zu tun. Ein paar nette Popper- und Hayek-Zitate können darüber nicht hinwegtäuschen. Aus dem Thema hätte man mehr machen können.
Edgar L. Gärtner: Öko-Nihilismus. Eine Kritik der Politischen Ökologie, TvR Medienverlag, Jena 2007, broschiert, 284 Seiten, 24,50 Euro