Die Vogelgrippe (Geflügelpest) breitet sich in Deutschland so rasant aus wie selten zuvor. Bundesweit sind laut Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) Dutzende Geflügelbetriebe betroffen. Während Experten die Pandemiegefahr betonen, protestieren Bauernverbände gegen eine verschärfte Stallpflicht für Freilandhühner. Ersten Erhebungen zufolge mußten rund 400.000 Hühner, Enten, Gänse und Puten gekeult und entsorgt werden (JF berichtete). Die größten Verluste gab es im Nordosten: Allein in zwei Legehennenbetrieben in Vorpommern wurden fast 150.000 Hühner getötet, im Landkreis Märkisch-Oderland mußten weitere 130.000 Tiere beseitigt werden. Aber auch in Niedersachsen, Bayern, Thüringen, NRW und Baden-Württemberg kam es bereits zur vorsorglichen Tötung Tausender Stück Geflügel.
Beim Vogelgrippe-Ausbruch 2020/21 wurden über zwei Millionen Tiere getötet. Das FLI schließt nicht aus, daß die Seuche erneut ähnliche Ausmaße annimmt und warnt: Der Höhepunkt des herbstlichen Vogelzugs – Haupttreiber der Infektion – stehe noch bevor, so daß die Einschleppungsgefahr in Geflügelbestände weiterhin groß sei.
Mit dem Vogelzug hat das Infektionsgeschehen in diesem Jahr ungewöhnlich früh Fahrt aufgenommen, und erstmals sind auch Kraniche in bislang unbekanntem Ausmaß betroffen. Vor allem im Linumer Teichland in Nordwest-Brandenburg gibt es ein massenhaftes Kranichsterben. Erkrankte Wildvögel gelten als Hauptüberträger der Geflügelpest, da sie das Virus auf Rastplätzen ausscheiden und so in Hühner- oder Putenställe eintragen können.
Muß den Kranichen Einhalt geboten werden?
Der Bauernbund Brandenburg macht den strengen Schutz der Kraniche mitverantwortlich für die Seuche. „Wenn eine Population sich in einer Kulturlandschaft mit schier unbegrenztem Nahrungsangebot völlig ungehindert ausbreitet, erfolgt die natürliche Regulierung irgendwann durch Seuchen“, erklärt Bauernbund-Vorstand Hans-Jürgen Paulsen mit Blick auf die gewachsenen Kranichbestände. Nach dem aktuellen „Seuchenzug“ müsse man darüber nachdenken, wie Kraniche künftig wirksamer von landwirtschaftlichen Flächen ferngehalten werden können, so Paulsen. Die stark gestiegene Kranichpopulation sei Ausgangspunkt der Vogelgrippe-Welle, die den Geflügelhaltern im Land schweren Schaden zufüge.
Von den Behörden erwartet der Bauernbund eine volle Entschädigung für die betroffenen Betriebe – trotz strenger Hygienemaßnahmen kann eine Viruseinschleppung nie ganz ausgeschlossen werden. Scharfe Kritik übt Paulsen an den Aufstallungsgeboten für Freilandgeflügel: Dieser „nutzlose Aktionismus“ bringe kaum zusätzlichen Schutz: „Für das Risiko der in den großen Ställen hoffentlich gut geschützten Tiere ist es unerheblich, ob im Freiland drumherum zusätzlich zu den unzähligen Wildvögeln noch ein paar Legehennen oder Weihnachtsgänse rumflattern“, moniert Paulsen.
Die Unterbringung von Hühnern aus Freilandhaltung in nicht dafür ausgelegten Ställen sei seit Jahren „Tierquälerei“. Viele kleinere Betriebe hätten diese Haltungsform daher bereits aufgegeben.
Für Bio-Eier gilt eine Ausnahmeregelung
Der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft forderte hingegen strengere Maßnahmen: „Wenn wir nicht handeln, riskieren wir nicht nur Tiergesundheit, sondern auch die Versorgungssicherheit.“ Regional fordern Geflügelhalter eine bundesweite Stallpflicht, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat unterdessen Schritte zur Entlastung der Betriebe angekündigt: Ressortchef Alois Rainer (CSU) will die Entschädigungsobergrenze für gekeulte Tiere von 50 auf 110 Euro anheben lassen. Schon jetzt bedeutet etwa die Keulung eines großen Legehennenbetriebs einen Verlust von rund einer halben Million Euro.
Als eines der ersten Bundesländer hatte das Saarland im Oktober eine landesweite Stallpflicht für Geflügel verhängt. Das Umweltministerium begründete den Schritt mit dem erhöhten Risiko durch den Vogelzug und Nachweisen von Geflügelpest in Nachbarregionen. „Die Aufstallung dient dem vorbeugenden Schutz unserer Geflügelbestände“, erklärte eine Sprecherin. Ähnliche Maßnahmen gelten inzwischen auch in Teilen von Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern.

Freilandeier dürfen gemäß EU-Vermarktungsnorm bei behördlich angeordneter Stallpflicht bis zu 16 Wochen lang weiterhin als „Freiland“ verkauft werden; dauert die Aufstallung länger, müssen die Eier als „Bodenhaltung“ gekennzeichnet werden. Für Bio-Eier gilt eine Ausnahmeregelung: Solange die Stallpflicht behördlich vorgeschrieben ist, behalten sie ihren „Bio“-Status.
„Eine gute Pandemieplanung ist die beste Vorbereitung“
Die Vogelgrippe-Welle weckt Erinnerungen an die Corona-Zeit: Wieder kursiert ein Virus mit weltweitem Gefahrenpotential. Zwar sei das Infektionsrisiko für Menschen bislang „extrem gering“, betont Virologe Klaus Stöhr, doch H5N1 habe „prinzipiell alles, um eine Pandemie auszulösen“. Durch die globale Verbreitung unter Wildvögeln gebe es „unendlich mehr Möglichkeiten der Übertragung und Anpassung an den Menschen“, warnt der frühere Leiter des WHO-Influenza-Programms.
Diese Gefahr sei nicht zu unterschätzen. „Wir haben es mit einem Virus zu tun, das sich schnell verändern kann. Jede neue Infektion birgt die Gefahr einer Mutation, die auf den Menschen überspringt“, so Stöhr. „Pandemien hat es immer gegeben, eine gute Pandemieplanung ist die beste Vorbereitung.“ Entscheidend seien Überwachung der Tierbestände, Entwicklung neuer Impfstoffe und globale Pandemiepläne.
Wird die Geflügelpest eine neue Menschheitsseuche?
Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät Personen mit engem Tierkontakt zu einer Grippe-Impfung. So soll eine Doppelinfektion mit saisonaler und Vogelgrippe vermieden werden – ein Szenario, in dem Experten einen Entstehungsweg für eine neue Virusvariante sehen. Die Gesundheitsbehörden raten, tote Vögel oder verendetes Geflügel keinesfalls zu berühren. „Wer ein totes Tier findet, sollte Abstand halten, seinen Hund zurückrufen und das zuständige Veterinäramt informieren“, heißt es aus dem Ministerium. Kleider und Schuhe, die in Kontakt mit toten Wildvögeln gekommen sein könnten, sollten sorgfältig gereinigt werden.
Der direkte Kontakt mit infiziertem Material gilt als Hauptansteckungsquelle bei den wenigen bekannten menschlichen Fällen weltweit. Die Hoffnung bleibt, daß aus der Geflügelpest keine neue Menschheitsseuche wird: „Wachsamkeit ist geboten, aber Panik fehl am Platz“, meint Stöhr. „Wir haben gelernt, was ein globaler Erreger anrichten kann. Jetzt gilt es, vorbereitet zu sein.“






