Mit dem Pfingstfest enden in Schleswig die Veranstaltungen aus Anlaß des 500. Jahrestags der Fertigstellung des „Bordesholmer Altars“. Sie haben die Existenz eines der ungewöhnlichsten und schönsten Kunstwerke Norddeutschlands wieder ins Gedächtnis gerufen. Die „Großtat“ (Horst Appuhn) des Holzbildhauers Hans Brüggemann erhebt sich auf einer Höhe von mehr als zwölfeinhalb Metern. In einem aufwendigen architektonischen Rahmen zeigt der Altar 392 aus Eiche geschnitzte Figuren. Zu seinen Besonderheiten zählt, daß er niemals farbig gefaßt wurde. Solche Monochromie war ein Stilmittel, das seit dem 15. Jahrhundert einige Künstler – der bekannteste dürfte Tilman Riemenschneider gewesen sein – anwendeten, und das dazu zwang, besonders sorgfältig und detailliert zu arbeiten und dem Material selbst alles an Ausdrucksmöglichkeiten abzugewinnen.
Der Bordesholmer Altar war aber nicht nur in formaler Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf das Bildprogramm ungewöhnlich. Sein Name erklärt sich daher, daß er ursprünglich durch Herzog Friedrich I. von Schleswig-Holstein, nachmals König von Dänemark und Norwegen, für die Kirche des Augustiner-Chorherrenstifts Bordesholm gedacht war und erst 1666 an den Dom in Schleswig kam. Sicher darf man annehmen, daß der Herzog beziehungsweise sein geistlicher Berater, aber auch die Mönche die Gestaltung mitbestimmt haben.
Tradition und Übergang
Dabei dürfte die Tatsache von Bedeutung gewesen sein, daß sich Bordesholm 1490 der sogenannten „Devotio moderna“ angeschlossen hatte, einer Frömmigkeitsbewegung, der es vor allem um die Verinnerlichung des Glaubens und die Schärfung des Gewissens ging. Man hat zu recht darauf hingewiesen, daß durch die Devotio moderna bestimmte religiöse Ideen vorbereitet wurden, die dann in der Reformation zum Durchbruch kamen. Tatsächlich erreichte Luthers Lehre rasch Schleswig-Holstein, darunter auch Bordesholm, das in der Folge als Kloster aufgehoben wurde.
Der Bordesholmer Altar markiert durch den Zeitpunkt seiner Entstehung einen Übergang. Aber dasselbe gilt auch im Hinblick auf die Komposition seiner einzelnen Elemente. Die Anlage der Szenen war zwar der Tradition verpflichtet, aber schon die Übernahme von Vorlagen aus Albrecht Dürers Werken, etwa der „Kleinen Passion“, signalisierte eine Verschiebung. Besonders deutlich wird das an Brüggemanns Darstellung von Adam und Eva nach dem Sündenfall, die im Hinblick auf Proportionen, Haltung und Mimik ganz Dürers Konzept entsprechen.
Die beiden flankieren die Spitze des Altarkorpus mit Maria als Himmelskönigin. Es handelt sich um besonders große Einzelfiguren, die auch noch aus der Entfernung zu erkennen sind. Das gelingt weniger leicht, wenn man das Urpaar zu Füßen des Weltenrichters ausmachen möchte, wo es klein, knieend, in anbetender Haltung unter Christus verharrt. Der thront, wie in der Offenbarung berichtet, auf dem Regenbogen, die Erde als seinen Schemel nutzend, vom Kopf zwei Schwerter ausgehend.
Gnade Gottes ins Bewußtsein gerückt
Es wird durch diese Zusammenstellung daran erinnert, daß auch Adam und Eva durch das Blut Christi erlöst wurden. Sein Kreuz bildet das Zentrum des Bordesholmer Altars, während die meisten der übrigen Felder das Geschehen von Passion und Auferstehung nacherzählen. Dazu gehört auch das Thema der „Höllenfahrt“ Christi und der Befreiung der Verstorbenen, zu denen bei Brüggemann klar erkennbar neben Mose und Abraham auch Adam und Eva zählten.
Ein Motiv, das das Mittelalter in zahlreichen Variationen immer wieder dargestellt hat. Umso bemerkenswerter, daß ein anderer Aspekt der Überlieferung – das Ausmalen der Qualen für die Verdammten – am Bordesholmer Altar fehlt, während die Predella sich mit vier Bildern dem Abendmahl widmet, also den Aspekt der Gnade Gottes nachdrücklich ins Bewußtsein rückt.
Legenden um Brüggemann
Welchen Einfluß Hans Brüggemann im Einzelnen auf sein Werk hatte, wissen wir nicht. Auch sonst fehlen Details im Hinblick auf seine Biographie. Wahrscheinlich wurde er um 1480 in Walsrode bei Hannover geboren. Es spricht einiges dafür, daß er aus Niedersachsen über Osnabrück in die Niederlande ging, dort Bekanntschaft mit den bedeutenden Künstlerschulen machte und zuletzt nach Norddeutschland kam. Von seinen Werken hat sich wenig erhalten.
Immerhin kann man im Schleswiger Dom auch Brüggemanns große Figur des Heiligen Christophorus bewundern und im Kopenhagener Nationalmuseum den Drachentöter St. Jürgen, der ursprünglich in der Husumer Marienkirche stand. So gering die Zahl der Fakten, so groß ist die Zahl der Legenden, die sich um Brüggemann rankten. Dazu gehörte auch, daß er von den Bordesholmer Augustinern geblendet wurde, als sie hörten, er wolle für die Stadt Lübeck einen noch schöneren Altar schaffen. Das immerhin dürfte reine Fabel sein. Vermutlich starb er etwa 1540, wahrscheinlich in Husum, wo sich seine Werkstatt befand.