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Algerienkrieg 1962: Mit der Gewalt am Ende

Algerienkrieg 1962: Mit der Gewalt am Ende

Algerienkrieg 1962: Mit der Gewalt am Ende

Spuren von Artilleriebeschuß: Algerien versank 1962 in Gewalt Foto: picture alliance/AP Images | Uncredited
Spuren von Artilleriebeschuß: Algerien versank 1962 in Gewalt Foto: picture alliance/AP Images | Uncredited
Spuren von Artilleriebeschuß: Algerien versank 1962 in Gewalt Foto: picture alliance/AP Images | Uncredited
Algerienkrieg 1962
 

Mit der Gewalt am Ende

Algerien war für Frankreich mehr als nur eine Kolonie. Der Weg des Landes in die Unabhängigkeit war in den 1960er Jahren auch von Krieg und Massakern gekennzeichnet, die von Franzosen und Algeriern verübt wurden. Die Vorgänge spielten auch eine Rolle für die Islamisierung Frankreichs.
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Algerien war für Frankreich mehr als nur eine Kolonie. Bereits 18 Jahre nach der Eroberung Algiers wurde der nördliche Teil des früheren Barbaresken-Staates im November 1848 zum integralen Bestandteil Frankreichs erklärt. Dem folgte die Errichtung von am Ende 15 Départements. In diesen ließen sich zahlreiche Siedler nieder, welche nicht nur aus Frankreich, sondern auch aus Italien und Spanien kamen. Bis 1954 wuchs deren Zahl auf etwa 984.000. Sie belieferten den französischen Markt mit immensen Mengen von Wein, Getreide, Tabak und Obst.

Darüber hinaus hatte Algerien eine erhebliche militärische Bedeutung für Frankreich. Neben großen Militärstützpunkten wie der Flottenbasis in Mers-el-Kébir am Golf von Oran wurden hier später auch zwei Atomtestzentren der Force de dissuasion nucléaire française in Reggane und In Ekker eingerichtet. Dort zündete Frankreich am 13. Februar 1960 auch seine erste Kernwaffe. Dazu kamen die Startrampen des Centre interarmées d’essais d’engins spéciaux in Colomb-Bechar und Hammaguir, von denen aus ab 1952 diverse Versuchsraketen abhoben.

Vor diesem Hintergrund war Paris lange Zeit um eine kompromißlose Niederschlagung der algerischen Nationalbewegung bemüht, die ab Mai 1945 forderte: „Algerien den Arabern!“ Dabei zeitigten die Repressionen zunächst Erfolg, bis dann im März 1954 mit ägyptischer Unterstützung die marxistisch-nationalistische Front de Libération Nationale (FLN) mitsamt ihres bewaffneten Arms Armée de Libération Nationale (ALN) entstand. Die FLN/ALN verübte am 1. November 1954 siebzig Terroranschläge, welche sich sowohl gegen die französischen Sicherheitskräfte als auch algerienfranzösische Zivilisten und mit der Kolonialmacht kollaborierende Algerier richteten.

Frankreichs Regierungschefs stürzten über Algerienkrieg

Damit begann der Algerienkrieg, an dessen Ende die Unabhängigkeit des Landes von Frankreich stand. Während dieses Konflikts gelang es dem Militär des Mutterlandes zunächst im Verein mit algerischen Hilfskräften, den sogenannten Harkis, die Oberhand zu behalten – allerdings um den Preis massenhafter Menschenrechtsverletzungen, unter denen oftmals auch Unbeteiligte litten. Das brutale Vorgehen der Franzosen resultierte dabei nicht zuletzt aus dem Massaker von Philippeville (heute Skikda) am 20. August 1955, bei dem auf Geheiß der FLN-Kommandeure Youssef Zighout und Lakhdar Ben Tobbal 123 Europäer und mit diesen kooperierende Algerier niedergemetzelt wurden.

Die Kriegsereignisse hatten erheblichen Einfluß auf die französische Innenpolitik. Sie führten zum Sturz mehrerer Regierungschefs, zwei Putschen des Militärs und dem Ende der Vierten Republik 1958. Das lag unter anderem an den immer mehr ausufernden Kosten des Konflikts, welche eine massive Erhöhung des Staatsdefizits und nachfolgende Abwertung des Franc bewirkten. Späterhin kam es auch zum Streit über den zukünftigen Status der Départements in Algerien: Den Befürwortern einer zumindest teilweisen Autonomie standen nach der Erhaltung des Status quo strebende Hardliner gegenüber. Aufgrund der wachsenden Unpopularität der „Operationen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Nordafrika“ stimmten aber schließlich am 8. Januar 1961 bei einem von Staatspräsident Charles de Gaulle initiierten Referendum drei Viertel aller Franzosen dafür, den Weg für Verhandlungen über „die Selbstbestimmung der algerischen Bevölkerung“ freizumachen.

Generalamnestie für sämtliche Übergriffe während des Konflikts

Diese begannen am 20. Mai 1961 und führten schließlich am 18. März 1962 zum Abkommen von Évian-les-Bains. Als Unterzeichner für die französische Seite fungierten dabei der Staatsminister für algerische Angelegenheiten Louis Joxe, der Minister für öffentliche Arbeiten und Transport Robert Buron sowie der Staatssekretär für die Sahara Jean de Broglie. Für die Gegenseite unterschrieb Krim Belkacem im Auftrag des bereits seit September 1958 bestehenden Gouvernement provisoire de la République algérienne (GPRA).

Die Übereinkunft sah vor, daß die Kampfhandlungen am 19. März mittags enden sollten. Außerdem vereinbarten die beiden Kriegsparteien eine Generalamnestie für sämtliche Übergriffe während des Konflikts. Gleichzeitig versprach Paris großzügige Aufbauhilfen, wofür es im Gegenzug weiter auf die Bodenschätze des nordafrikanischen Landes zugreifen und seine Atom- und Raketentestanlagen in der Sahara sowie den Stützpunkt in Mers el-Kébir noch für einige Jahre nutzen konnte.

Der wichtigste Teil der Abmachungen war freilich die vereinbarte Volksabstimmung unter den Algeriern über die komplette Unabhängigkeit von Frankreich. Diese fand am 1. Juli 1962 statt und ergab 99,72 Prozent Ja-Stimmen. Daraufhin proklamierte die GPRA am 5. Juli die Demokratische Volksrepublik Algerien. Durch das Vertragswerk von Évian-les-Bains endete die französische Kolonialherrschaft über den Maghreb. In dem seit 1954 geführten Befreiungskrieg waren mehr als 25.000 französische Soldaten und rund 50.000 Harkis sowie bis zu 6.000 europäische Siedler und möglicherweise an die 1,5 Millionen Algerier ums Leben gekommen.

Allerdings setzte sich das Gemetzel auch nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands fort. Verantwortlich hierfür zeichneten algerische Milizen sowie die französische Untergrundbewegung Organisation de l’armée secrète (OAS), welche die Unabhängigkeit der Kolonie um jeden Preis verhindern wollte. Durch den algerischen Terror gegen die Europäer – beim Massaker in Oran am 5. Juli 1962 wurden bis zu 3.500 christliche Europäer ermordet – verließen mehr als 900.000 Algerienfranzosen und um die 250.000 Harkis Algerien. Darunter litt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der neugegründeten Republik, weil fast alle Akademiker und Vertreter des Mittelstandes abwanderten. Zum anderen gingen die geflohenen Harkis in der Regel ins „Mutterland“, was die Islamisierung Frankreichs beschleunigen und später zu Konflikten und Integrationsproblemen mit den Neuankömmlingen führen sollte.

JF 12/22

Spuren von Artilleriebeschuß: Algerien versank 1962 in Gewalt Foto: picture alliance/AP Images | Uncredited
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