Nach getaner Arbeit reitet der Held einsam in den Sonnenuntergang. Der Colt ist abgekühlt, das geschundene Dorf aus den Fängen marodierender Banditen befreit, der Whiskey ausgetrunken, die Schönheit geküßt. Die Lamellentür des Saloons schwingt noch ein wenig nach, am Horizont kündet die Staubwolke vom Abgang des Retters. Abspann. So endet ein anständiger Western. Und so endete im Prinzip auch das Leben von Ronald Wilson Reagan aus Tampico/Illinois, dem 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der am 6. Februar hundert Jahre alt geworden wäre.
„Ich trete jetzt die Reise in den Sonnenuntergang meines Lebens an. Aber ich weiß, daß es für Amerika immer einen strahlenden Sonnenaufgang geben wird.“ Selbst im Verkünden seiner Demenzerkrankung 1994, mit dem er zehn Jahre vor seinem Tod von der öffentlichen Bühne abtrat, offenbarte er noch einmal sein rhetorisches Talent. Die meisten seiner Reden und Worte hatten andere für ihn verfaßt, sicher; aber die Art und Weise, wie er sie mit feinem Timbre vortrug, war sein ureigenster Beitrag, darin konnte er brillieren – durchaus nicht nur im Vergleich mit anderen Politikern. Er war eben ein gelernter Schauspieler.
Er war doch nur ein Schauspieler! Wie anders klang es vor dreißig Jahren, als Reagan im Januar 1981 ins Weiße Haus einzog. Denn glaubte man den deutschen Weltpolitik-Verstehern, hatten die Amerikaner den Falschen gewählt; den B-Western-Darsteller von den Republikanern (dessen Wirtschafts- und Soziologiestudium zu nennen man geflissentlich unterschlug), nicht den zurückhaltenden demokratischen Amtsinhaber Jimmy Carter (dem man indes nicht die Berufsbezeichnung „Erdnuß-Farmer“ anheftete).
Zuviel des Rechtsrucks
Carter hatte – innenpolitisch liberal, außenpolitisch schwankend – zwar nur 49 der 538 Wahlmänner von seinen Vorzügen überzeugen können, aber was hieß das schon angesichts eines Herausforderers, der als kraftmeierischer Idiot, verbohrter Antikommunist und konservativer „Hardliner“ verlacht wurde; über den zu Amtsbeginn – insbesondere aus den Redaktionsstuben in Europa – Hohn und Spott ausgeschüttet wurden, wie über der aktuellen Nummer eins die Vorschußlorbeeren (Nobelpreis inklusive): Reagan, der Obama mit umgekehrten Vorzeichen (und deutlich weniger Gefallenen); der 1966 die Demokraten-Hochburg Kalifornien als Gouverneur erobert hatte; in Sacramento die Todesstrafe wieder einführte und – erstmalig in der Geschichte – anläßlich von Studentenunruhen und gewaltsamen Anti-Vietnam-Protesten an der Universität Berkeley den Ausnahmezustand verhängte.
Daß dieser Westküsten-Pistolero zu allem Überfluß dann noch nicht einmal in einem Kopf-an-Kopf-Rennen das Amt eroberte, sondern erdrutschartig siegte und seine Partei nach 28 Jahren erstmals auch wieder im Senat die Mehrheit stellte, das war zuviel des Rechtsrucks.
„Treiben wir die Sowjets in die Enge“
„Brandreden gegen die Sowjets und Rüstungsprogramme in Milliardenhöhe“ machten den Kern seiner Politik aus, unkte der Spiegel, um dann zu dozieren: Ein Totrüsten der Sowjetunion wäre – „von den schon früher fühlbaren Negativfolgen im Westen abgesehen – für diesen Westen nur zum Preis des eigenen Todes zu haben, ein irres Konzept“. Irre?
Die deutsche Intelligenzija setzte sich unterdessen fernsehtauglich den Hintern vor Kasernentoren platt. Ein Großmeister im Kunstbetrieb für ranzige Fette, Joseph Beuys, wechselte gar ins lyrische Fach, indem er vor den beseelten Friedensaktivisten sein „Wir wollen: Sonne statt Reagan“ zum besten gab. Und Sozialdemokrat Erhard Eppler mokierte sich auf der Hofgarten-Demonstration in Bonn am 10. Oktober 1981 mit Blick auf die Reagan-Regierung über jene, die doch tatsächlich darüber nachdächten, „ob das Sowjetsystem demnächst mit einem Knall oder einem Winseln verenden wird“. Jene Frage also, die sich fast exakt zehn Jahre später akut stellen sollte. Das Herz schlug links, Reagan, der Rechte, hatte recht. Die Saat seiner Politik der Stärke – „treiben wir die Sowjets in die Enge, bis sie umkippen“ – war aufgegangen. >>
Natürlich fehlen die Einwände nicht, daß Reagans Anteil am Zusammenbruch des Ostblocks „umstritten“ sei. Nur ist sein Beitrag dazu – und in der Folge auch zu einer deutschen Wiedervereinigung „in Frieden und Freiheit“ – auf jeden Fall größer als der von manchem, welcher qua Grundgesetz dazu verpflichtet gewesen wäre. Und nichts gegen den Mut der Ost-Oppositionellen: Nur Kerzen vom Prenzlauer Berg bis Prag hätten die Sowjet-Despotie nicht zum Einsturz gebracht; ein paar Atomsprengköpfe in der Pfalz waren wohl doch von Nutzen. Michail Gorbatschow jedenfalls, der mit Reagan schließlich den ersten echten Abrüstungsschritt seit Beginn des Kalten Krieges wagte, nannte die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen rückblickend „ein unverzeihliches Abenteuer“.
Groll der einstigen Einheitstorpedierer
1985 hatte Reagan die deutschen Gutmenschen noch mit seinem Besuch auf dem Soldatenfriedhof von Bitburg provoziert, indem er die dort begrabenen deutschen Soldaten (unter Einschluß jener der Waffen-SS) ebenso als Opfer des NS-Regimes bezeichnete wie die in den Konzentrationslagern umgekommenen Häftlinge. Zwei Jahre später wandte er sich von Berlin aus direkt an denjenigen, den man im Westteil Deutschlands vorfristig schon als Friedensengel feierte. Der schlichte, doch folgenreiche historische Appell: „Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ – „Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder.“
Selbst angesichts dieses Gespürs für das, was die geschichtliche Stunde geschlagen hatte, will offenbar der Groll der einstigen Einheitstorpedierer West sowie der Einheitsverhinderer Ost, die gemeinsam den aktuellen Berliner Senat bilden, gegen den Jubilar nicht vergehen. Eine Reagan-Straße, gar ein Denkmal soll es in der deutschen Hauptstadt nicht geben. Und das ist vielleicht auch besser so: Man stelle sich die Zeremonie einmal vor, mit Klaus Wowereit bei der Enthüllung. Als würde das grelle Animiermädchen im Saloon unserem Helden einen Whiskey bezahlen; so etwas gibt es nicht – in einem anständigen Western!
JF 6/11