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Als Zentrum ideologischer Bewegungen ungeeignet

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Der Begriff „Weltrevolution“ war schon vor dem Ersten Weltkrieg geläufig – bei denen, die einen universalen Umsturz befürworteten ebenso wie bei denen, die ihn zu verhindern suchten. Vor allem der Marxismus hat die Erwartung genährt, seine Anhänger waren allerdings zerstritten über die Frage, ob man in absehbarer Zeit mit der großen Erhebung aller Unterdrückten rechnen könne oder ob nicht Parlamentarisierung, soziale Verbesserungen und das Bündnis mit dem fortschrittlichen Bürgertum eine Alternative wäre, um den „Zukunftsstaat“ zu erreichen. Die radikalen Sozialisten – von Lenin bis Mussolini – haben solchem „Reformismus“ selbstverständlich eine Absage erteilt, und Lenin war konsequent genug, im Ausbruch des Krieges die Chance zur eigenen Machtergreifung zu sehen. 1914 trat ein, was er vorausgesagt hatte – das Proletariat war zu den Fahnen geeilt und hatte den Klassenkampf vergessen, die Arbeiterparteien stimmten für die Kriegskredite und beteiligten sich fallweise sogar an Regierungen –, aber er hielt sich nicht mit moralisierenden Betrachtungen über diesen Verrat am Internationalismus oder der illusionären Forderung nach einem Militärstreik auf, sondern erklärte, daß es gelte, den „imperialistischen Völkerkrieg in einen revolutionären Bürgerkrieg“ zu überführen. Lenin hat wie wenige Analytiker des politischen Geschehens die Möglichkeit erkannt, durch ein Bündnis zwischen der äußersten Linken und den gerade entstehenden nationalen Befreiungsbewegungen Asiens und Afrikas die Fackel der allgemeinen Empörung zu entzünden. Es gab parallel zum bolschewistischen Konzept aber auch noch andere Erwartungen einer Weltrevolution, die man vereinfachend als die westliche und die deutsche bezeichnen könnte. Die westliche fußte auf Ideen, die seit dem Zeitalter der Aufklärung latent geblieben, aber phasenweise zurückgetreten waren. Sie spielten für die Propaganda der Entente von Anfang an eine Rolle, erhielten ihre eigentliche Bedeutung aber erst durch den Kriegseintritt der USA, die unter der Führung Woodrow Wilsons standen, eines Mannes mit messianischem Sendungsbewußtsein. Die außerordentliche Dynamik der „parole Wilsonienne“ (Albert Sarraut) war vielleicht nicht intendiert – Wilson hielt wenig von der Gleichberechtigung der Rassen –, führte aber dazu, daß auch die farbigen Völkern Anteil an der „neuen Freiheit“ begehrten, in einer Welt, die nach der Niederwerfung der Mittelmächte „sicher für die Demokratie“ sein würde, eben weil die demokratische Weltrevolution des Westens alle Widerstände gegen Emanzipation und Selbstregierung beseitigte. Vom offensiven Charakter der alliierten Kriegspropaganda sticht der defensive der deutschen ab. So weitreichend die militärisch-politische Zielsetzung sein mochte, sie war an kein Programm geknüpft, das einen universalen Anspruch erhob. Mancher empfand das Fehlen eines deutschen „Weltgedankens“ als Mangel, indes war die Hellsicht für die tatsächlichen Veränderungen, die der Weltkrieg bewirkte, in Deutschland größer als bei seinen Gegnern. 1917 veröffentlichte Paul Lensch ein Buch, in dem es hieß: „Der Krieg vollends, jener große Prüfer, der das Wesen aller Dinge klar und ohne Schminken ans Licht zieht, enthüllt das revolutionäre Wesen des Kapitalismus am schärfsten, und so erkennen wir, daß der Weltkrieg, diese Offenbarung des Weltkapitalismus, zugleich eine Revolution ist, die Revolution, die größte Revolution, die es seit der Völkerwanderung und den Hunnenstürmen je gegeben.“ Die Schrift von Lensch trug den Titel „Drei Jahre Weltrevolution“, was aber noch wichtiger war: Lensch entwickelte hier ausgehend von der Gleichung „Weltkrieg ist gleich Weltrevolution“ die These, daß es nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzung weder eine Restauration von Kapitalismus und bürgerlicher Gesellschaft noch einen Umschlag in die sozialistische Demokratie geben könne, sondern bestenfalls eine Art von Staatssozialismus in den entwickelten Ländern, die bei der Reorganisation ihre nationale Eigenart zum Ausdruck bringen würden. Als Reichstagsabgeordneter der Sozialdemokratie nahm Lensch eine Außenseiterposition ein. Das galt trotz der Abspaltung der linken Flügel, die sich seit 1916 zur USPD und zum Spartakus-Bund formierten. Der Rest, also die „Mehrheitssozialdemokratie“ (MSPD), hielt zwar noch am „Burgfrieden“ fest, geriet aber seit dem Beginn der Streikbewegung unter den Druck der eigenen Basis und in Konkurrenz zu den Radikalen. Das erklärt etwas von der Undeutlichkeit ihrer politischen Linie im Schicksalsjahr 1918, insofern die Parteiführung der Revolutionsforderung anfangs ablehnend, dann nur noch hinhaltend gegenüberstand – immer in Sorge, daß die Arbeiterschaft und die Masse der Soldaten gegen die MSPD auftreten könnten. In dieser Zwangslage überredete sich die Sozialdemokratie, den Zusagen Wilsons Glauben zu schenken, daß die eigenen Forderungen nach Verständigungsfrieden und demokratischer Reform aufgehoben sein würden im Rahmen der demokratischen Weltrevolution, die 1917 in Rußland begonnen hatte und nun alle Staaten Mitteleuropas erfaßte. Damit erschien die Revolution gut und gerechtfertigt, denn das neue Licht, das auf sie fiel, erlaubte es, die nationale Niederlage als Sieg der linken Sache zu verstehen, den man Seite an Seite mit den Demokraten der Entente erfochten hatte. Das war angesichts der dramatischen innenpolitischen Lage eine gemäßigte Position, allerdings wußten die Verantwortlichen der MSPD, die seit dem November 1918 die Regierung führte, daß die eigene Basis kaum bereit war, bei Maßnahmen stehenzubleiben, die sie als vorläufig empfand. Die Sympathiebekundungen von Arbeitern, Soldaten und Matrosen für das bolschewistische Modell mochten diffus sein, als psychologischer Faktor durfte man sie nicht unterschätzen. In den revolutionierten Teilen von Heer und Marine kursierten schon seit dem Frühjahr 1918 Gerüchte – die die gegnerische Desinformation nach Kräften verstärkte –, daß es in den Entente-Ländern große Arbeitsniederlegungen gebe und dort der allgemeine Umsturz der Ordnung bevorstehe, was jede Fortsetzung des Kampfes absurd erscheinen ließ. Nach der Auslieferung der ersten deutschen Kriegsschiffe an Großbritannien äußerten sich Matrosen überrascht, die fest davon überzeugt gewesen waren, daß über der Flotte des Gegners längst die rote Fahne wehe und man mit ihr gemeinsam nach Deutschland zurückkehren werde, um die Revolution im Reich zu vollenden. Man hat die fatale Wirkung von Gerüchten auch in anderen Revolutionen beobachten können, mit Politik im eigentlichen Sinne hatte solche Erwartung der Weltrevolution allerdings nichts zu tun. Dasselbe wird man von der Aktivität jenes Teils der Linken sagen müssen, der sich der USPD angeschlossen hatte. Die Partei hielt zwar pro forma Distanz zum bolschewistischen Modell, arbeitete aber praktisch mit den Emissären des revolutionären Rußlands zusammen, das die Unabhängigen mit großen Summen versorgte. Die russische Botschaft in Berlin war weniger eine diplomatische Vertretung als eine konspirative Zentrale. Seit dem Sommer 1918 hat man dort versucht, die revolutionäre Situation zu verschärfen. Reichstagsabgeordnete der USPD dienten als Mittelsmänner und als Agenten. Auch wenn die Unabhängigen den Spartakusaufstand im Januar 1919 ablehnten, kann das nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihre Spitze in einer Mischung aus Naivität und Opportunismus dem bolschewistischen Umsturz in Deutschland den Weg bereiten wollte. Der war aus Sicht der neuen russischen Führung von zentraler Bedeutung, in vielem wichtiger als der Sieg in Rußland, wenn es darum ging, die Weltrevolution voranzutreiben; noch im Frühjahr 1919 schrieb der Außenkommissar Sinowjew: „Der Sieg des Kommunismus in ganz Deutschland ist durchaus unvermeidlich. In nächster Zeit wird es noch vereinzelte Niederlagen geben. Die schwarze Farbe wird vielleicht noch hier und da zeitweilig die rote besiegen. Der endgültige Sieg aber wird trotz alledem der roten Farbe bleiben. Und das in den nächsten Monaten, vielleicht sogar Wochen. Die Bewegung geht so schwindelerregend vorwärts, daß man mit Gewißheit sagen kann: Nach Jahresfrist werden wir bereits zu vergessen beginnen, daß es in Europa einen Kampf für den Kommunismus gegeben hat, denn nach einem Jahre wird ganz Europa kommunistisch sein. Und der Kampf für den Kommunismus wird sich bereits auf Amerika, vielleicht auch auf Asien und die anderen Erdteile hinüberwerfen.“ Sinowjews Prognose war falsch, die Verankerung von Deutsch als Verkehrssprache in der Kommunistischen Internationale verfrüht, Berlin wurde nicht zum Zentrum der bolschewistischen Weltrevolution. Die aus dem Spartakus hervorgegangene KPD hielt zwar bis 1923 an der Hoffnung auf einen „Deutschen Oktober“ fest, unternahm auch mehrere, wenngleich gescheiterte Revolutionsversuche, sah sich aber in der Folge auf einzelne Gewaltakte, unter Einschluß politischer Morde, und Subversion beschränkt. Das waren indes nur Behelfsmaßnahmen, Vorbereitungen auf den großen Schlag, der irgendwann in der Zukunft erfolgen sollte. Statt dessen wurde Deutschland 1933 zum Zentrum der „antimarxistischen Machtübernahme“. Die Formulierung stammt von Ernst Nolte, der nicht nur auf den reaktiven Charakter dieser „nationalen Revolution“ hingewiesen hat, die sich gegen die demokratische wie die bolschewistische Weltrevolution richtete, der aber jede universale Ambition fehlte. Der Nationalsozialismus hatte nicht einmal Strahlkraft im Sinne jener „deutschen Weltalternative“ (Alfred Weber), die während des Ersten Weltkriegs entwickelt werden sollte. Faktisch hat Hitler den Zusammenprall der beiden weltrevolutionären Konzepte, die nach 1919 an ihrer Realisierung vorläufig gescheitert waren, nur für eine gewisse Zeit verzögert. Nach 1945 würden deren Vormächte, die USA und die Sowjet­union, ihre Projekte wieder aufnehmen, unbehelligt von störenden Dritten. Deutschland war kein selbständiger Faktor mehr, nicht einmal mehr Hauptkampfplatz der Weltrevolution. Foto: Gerhard Bonzin „Der Weg der Roten Fahne“, Mosaik 1969, Kulturpalast in Dresden: Statt Weltrevolution bestenfalls Staatssozialismus

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