Von Golo Mann stammt das Diktum, die Weimarer Republik sei im wesentlichen eine Fortsetzung der wilhelminischen Verhältnisse vor 1914 gewesen, besonders, was das Personal anging. Erst mit dem Januar 1933 seien neue Gesichter gekommen, „keine schönen, aber neue“.
Zuvor aber machte die Republik eine Phase durch, in der die Schwächen der wilhelminischen Ära noch einmal besonders erkennbar wurden. Im Vorfeld des 30. Januar 1933 ging es unter anderem um die Frage, wie eine Hofkamarilla klassischer Art das Staatsoberhaupt, in diesem Fall den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, zu einer bestimmten Entscheidung in der Personalfrage Reichskanzler bewegen könnte und welchen Preis sie dabei für sich selbst verlangen würde.
Die Abhängigkeit des Kanzlers von den Neigungen des Staatsoberhaupts, die bei dem besonderen Verhältnis zwischen Wilhelm I. und Bismarck einmal eine große Stärke des preußisch-deutschen Regierungssystems gewesen war, trug hier zum wiederholten Mal zu dessen Schwächung bei.
Hindenburg regierte seit 1930 praktisch selbst
Die Namen sind bekannt. Der Parteichef der NSDAP, die zugleich die stärkste Fraktion des deutschen Reichstags stellte, drängte auf die Übernahme der Regierungsgeschäfte als Kanzler, und zwar durch ihn selbst. Der Reichspräsident seinerseits, der erst wenige Monate zuvor gegen einen Gegenkandidaten Adolf Hitler wiedergewählt worden war, hielt davon wenig. Da parlamentarische Mehrheiten fehlten, regierte er seit 1930 mit Hilfe der flexiblen Weimarer Verfassung (Notverordnungsrecht nach Artikel 48) gezwungenermaßen selbst. Die Namen der Kanzler hatten dabei gewechselt.
Dem intellektuellen und nationalistischen Zentrumspolitiker Heinrich Brüning folgte im Sommer 1932 der von niemanden wirklich respektierte Franz von Papen, der im Spätherbst 1932 dann durch den wendigen General Kurt von Schleicher abgelöst wurde. Wie Papen konnte auch Schleicher als Repräsentant der Kamarilla um Hindenburg gelten.
Es waren diese Umstände, unter denen Anfang Januar 1933 zwei Herren im Hause Joachim von Ribbentrops in Berlin vorsprachen: Heinrich Himmler und Wilhelm Keppler. Sie hatten den Auftrag Hitlers, den Hausherrn um Vermittlung eines Kontakts zum Kreis um Hindenburg zu bitten, da Ribbentrop von Papen aus der gemeinsamen Zeit im Generalstab im Nahen Osten während des Ersten Weltkriegs kannte.
Gespräche in Ribbentrops Villa
Dadurch sollten Verhandlungen mit diesem und Oskar von Hindenburg, dem Sohn des Reichspräsidenten, mit dem Ziel einer nationalsozialistischen Regierungsbeteiligung möglich werden. Die Gespräche fanden auf diese Initiative hin tatsächlich statt, mit Beteiligung Hitlers, Papens, Oskar von Hindenburgs und wegen der erwünschten Geheimhaltung stets in Ribbentrops Villa. Hitler wurde gegebenenfalls bei Dunkelheit durch den Garteneingang in das Haus geführt.
Trotz oder wegen der etwas konspirativen Bedingungen bestand zunächst nur wenig Aussicht auf Einigung. Hitler wollte nichts anderes als das Kanzleramt unter führender Beteiligung der NSDAP akzeptieren. Papen, der selbst auf eine erneute Kanzlerschaft hoffte, wollte davon nichts wissen. Man ging auseinander, und als nach einigen Zwischengesprächen schließlich Papen am 23. Januar beim Reichspräsidenten doch einen Kanzler Hitler ins Gespräch brachte, lehnte nun Hindenburg selbst diese Möglichkeit wie erwartet ab.
Es bedurfte weiterer Nachverhandlungen bei Ribbentrop, damit einen Tag später jene Formel gefunden werden konnte, mit der die Widersprüche zu überbrücken waren: Zur Unterstützung Papens bei einem erneuten Versuch der Bildung einer „nationalen Front“ wurde beschlossen, Hindenburg die Zustimmung zu einer Kanzlerschaft Hitlers abzunötigen.
Durch ein Zusammengehen mit den Deutschnationalen unter Alfred Hugenberg, die einen weiteren Teil der Kamarilla um Hindenburg bildeten, sollte diese Front hergestellt werden. Das hatte Hitler ursprünglich abgelehnt, und so stellte dieser in seiner Abwesenheit am 24. Januar gefaßte Entschluß einen gewissen Aufstand seiner Untergebenen dar. Dies hatte Folgen: „Hier und nirgendwo anders wurde das Dritte Reich geboren. Papen war dabei und Ribbentrop, und Göring und Frick“, stellte Heinz Höhne später zu Recht fest.
Reichskanzler von Schleicher wurde ausgebootet
Für den Augenblick erhielt am 30. Januar 1933 scheinbar jeder der Beteiligten, was er gefordert hatte. Ausgebootet wurde lediglich General von Schleicher. Ein Jahr später sollte dieser dann während des „Röhm-Putsches“ von Häschern der neuen Machthaber ermordet werden. Hitler wurde Kanzler, die Mehrheit der Minister waren keine Nationalsozialisten, und für Franz von Papen blieb immerhin der Vizekanzler als Rolle übrig. Mit der republikanischen Verfassung hatte dies alles nur noch am Rande zu tun, worüber sich niemand Illusionen machen konnte.
Trotz der Tatsache, daß nun erstmals seit Jahren ein Kabinett zusammengestellt war, das einen ansehnlichen parlamentarischen Rückhalt hatte, sollte nicht auf dieser Basis regiert werden. Hitler ließ Hindenburg vor seiner Ernennung explizit ausrichten, die für das Frühjahr 1933 geplanten Neuwahlen würden „die letzten“ sein.
Aus der nationalen Front entwickelte sich bald die „nationale Erhebung“, die von niemandem aus der wilhelminischen Ära mehr kontrolliert wurde. Reichskanzler Hitler wurde zum Staatschef und Führer, allerdings umgeben und beeinflußt von seiner eigenen Kamarilla. Macht wurde auf Vertrauensbasis ohne institutionelle Kontrolle verteilt, daran änderten auch die neuen Gesichter nichts.