Als der „Löwe von Münster“ am 9. Oktober 2005 zur Ehre der Altäre erhoben wurde, war dies für alle Christen ein Zeichen der Anerkennung durch die Kirche für sein und seiner Gläubigen beispielhaftes Zeugnis mannhaften Widerstandes gegen Ungeist und Verbrechen der braunen Diktatur. Noch bis zum 2. April 2006 gedenkt Münster ihrem großen Kirchenfürst in der Ausstellung „Kardinal von Galen. Triumph und Tod. Fotos seiner letzten Lebenstage“ im Stadtmuseum. Clemens August Graf von Galen wurde am 16. März 1878 als elftes von dreizehn Kindern des Ferdinand Heribert Graf von Galen und seiner Mutter Elisabeth, einer geborenen Reichsgräfin von Spee, auf Burg Dinklage im Oldenburgischen geboren. Der Vater war jahrzehntelang Reichstagsabgeordneter für den Wahlkreis Vechta-Delmenhorst. Das Elternhaus war tiefreligiös und erzog die Kinder in echt katholischem Geist. Clemens August war zeitlebens besonders seinem Bruder Franz verbunden, der Offizier wurde. Als das Zentrum 1933 das Ermächtigungsgesetz annahm, nahm dieser als Major i.G. seinen Abschied. Bald nach dem Abitur 1896 in Vechta regte sich in Clemens August der Wunsch, Priester zu werden. Die Studien absolvierte er in Innsbruck und wurde am 28. Mai 1904 im Dom zu Münster zum Priester geweiht. 1906 wurde er Kaplan zu St. Matthias in Berlin. Diese Gemeinde wird traditionsgemäß von Priestern des Bistums Münster betreut. In Briefen an seinen Bruder Franz schilderte er seine Seelsorgstätigkeit, die ihm trotz ständiger Enttäuschungen viel Freude bereitete. Besorgt stellte er fest, daß die Sozialisten „mit erschreckendem Erfolg“ für den Austritt aus der Kirche agitierten. Im März 1911 wurde Clemens August Kurat von St. Clemens in Berlin. Die Gemeinde mit etwa 3.000 Seelen lag in einer religiös etwas vernachlässigten Gegend zwischen Friedrichstraße und Potsdamer Platz. Für ihre Finanzen war die Hedwigskathedrale zuständig. Bei deren Kirchenvorstand setzte sich Galen für den Bau eines großzügigen, modernen Gesellenhauses ein. Es gehörte damals zu den größten und schönsten ganz Deutschlands. Für die aus dem Krieg heimgekehrten Soldaten hielt er im Februar 1919 eine kirchliche und weltliche Gemeindefeier und am folgenden Tag ein Requiem für alle Opfer des Krieges. In Berlin brachen damals öfter Unruhen und blutige Kämpfe aus: „Die armen enttäuschten Menschen, denen man mit der Revolution Republik, Sozialismus und das Paradies auf Erden versprochen hatte, wollen jetzt mit Gewalt Besitz und Genuß an sich reißen“, wie er seiner Mutter schrieb. Galen war besser als Priester denn als Prediger Von der außenpolitischen Entwicklung war er nicht überrascht, jedoch erschüttert, „wie kalt und selbstsüchtig die Gegner unsere Wehrlosigkeit ausnützen wollen: Neben den Gebietsabtretungen die raffiniert ausgedachten Bestimmungen, um uns dauernd wirtschaftlich an der Kette zu halten und jeden neuen Aufschwung zu verhindern. Wie recht hatten die, die davor warnten, Wilsons Gerechtigkeit zu trauen. (…) Vielleicht ist es eine heilsame Strafe für den Mammonsdienst der letzten Jahrzehnte.“ Am 21. Dezember 1919 wurde Galen als neuer Pfarrer von St. Matthias eingeführt. Dort wirkte er, bis er 1929 Pfarrer von St. Lamberti in Münster wurde. Galen war zwar kein wortgewaltiger Prediger, aber ein frommer, seeleneifriger Priester. Am 5. September 1933 wurde er zum Bischof von Münster ernannt. Wenn ausgerechnet ein katholischer Kirchenhistoriker in der FAZ vom 26. Februar 2005 behauptet, Galen sei für Münster „im wahrsten Sinn des Wortes, als Bischof dritte Wahl“, so zeugt dies entweder von profunder Unkenntnis oder der Anpassung an bestimmte „kirchenkritische“ Zeitgenossen, denen Galen zu patriotisch war. Immerhin hielt Adolf Kardinal Bertram Galen „nach christlicher Treue, Kenntnis der kirchlichen Verhältnisse Deutschlands, Wachsamkeit, mutigem Auftreten und vornehmer Zurückhaltung“ für den besten Kandidaten, als der Berliner Bischofsstuhl 1935 besetzt werden mußte. Dabei war der Breslauer Kardinal ein ausgesprochener Intellektueller. Was wohl in keinem anderen Land möglich wäre – am Tag der Seligsprechung eines der bedeutendsten Deutschen des 20. Jahrhunderts durch einen miesen Film herabzusetzen -, glaubte sich der WDR leisten zu können. In seinem Beitrag „Kirchenfürst und Naziterror“ heißt es, Galen sei ein „umstrittener Seliger (…) dafür gibt es ‚Gründe'“. Zum Beispiel sei der „westfälische Adlige (…) kein Kriegsgegner“ gewesen. Dies bezieht sich auf Galens Einstellung zum Ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag. Natürlich durfte auch nicht „Kirchenkritiker“ Eugen Drewermann fehlen, der mit gewohnter Leichenbittermiene kommentierte: „Galen dachte deutsch-national“, seine Aussagen seien zum Teil „ungeheuerlich“. Die Nationalsozialisten erhoben nicht nur auf politischem, sondern auch religiösem Gebiet Totalitätsansprüche. Nicht wenige ließen sich aber durch die Reichstagsrede Hitlers vom 23. März 1933 täuschen: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen wichtigste Faktoren der Erhaltung unseres Volkstums.“ Neben geheimem Widerstand setzten sich die Kirchen gegen die Übergriffe des Regimes auch offen zur Wehr, nicht zuletzt durch den Bischof von Münster. Schon in seinem ersten Hirtenbrief vom Tag seiner Bischofsweihe, dem 28. Oktober 1933, ließ Galen durchblicken, daß Gefahr im Verzug sei. Er machte deutlich, daß die Pflicht zur Entscheidung über erforderliche Weisungen und Warnungen für seine Diözese allein auf ihm und seinem Gewissen laste. Niemand könne sie ihm abnehmen: „Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht soll mich jemals hindern, diese Pflicht zu erfüllen“ Gegenüber dem immer wieder erhobenen Vorwurf mangelnder nationaler Gesinnung stellte der Bischof fest: „Wir stehen nicht in verneinender Opposition gegen den Staat, gegen die jetzige Staatsgewalt“. Andererseits dürfe nicht geduldet werden, wenn heute die Liebe zum deutschen Volk und Vaterland, „eine berechtigte und von uns begrüßte und mitempfundene Besinnung auf deutsches Wesen und deutscher Art“, dazu mißbraucht werde, um die deutsche christliche Vergangenheit und unsere christlichen Vorfahren zu schmähen. Es sei nicht nur religiöse, sondern auch nationale Pflicht, dagegen zu protestieren. Im Hirtenbrief vom 19. März 1935 nahm Galen zur heidnischen Rassenlehre von Alfred Rosenberg und seinem „Mythus des Blutes“ als neue Religion Stellung. Gleich an den Anfang seines Hirtenbriefes stellte er die Tatsache: „Es gibt wieder Heiden in Deutschland, deutsche Volksgenossen, die sich Heiden nennen, ja sich rühmen, Heiden zu sein.“ Der Kriegsbeginn 1939 bot den Nationalsozialisten die willkommene Gelegenheit, Abwehräußerungen des Klerus gegen kirchenfeindliche Maßnahmen als Landes- und Hochverrat zu brandmarken. Hierdurch wurde die Verkündigung der christlichen Wahrheiten und Gebote wesentlich erschwert. Es bestand sogar die Gefahr, daß einzelne Pfarrer verhaftet und damit die Gemeinde ihres Seelsorgers beraubt wurde. Dagegen gewannen Person und Stimme der Bischöfe an Bedeutung. Im Reich wagten die Feinde der Kirche – im Gegensatz zu den besetzten Gebieten – noch nicht, sich an ihnen zu vergreifen, weil sie Unruhen unter der Bevölkerung befürchteten. Der Weimarer Republik stand er loyal gegenüber Der WDR-Film möchte den irreführenden Eindruck vermitteln, Galen habe erst 1941 sein „endgültiges Schweigen“ gebrochen. Tatsächlich wandte er sich bereits neun Tage nach seiner Inthronisation am 28. Oktober 1933 gegen das staatliche Vorhaben, Teile des Alten Testaments aus dem Religionsunterricht zu entfernen. Und sein Hirtenbrief vom 26. März 1934 war eine Generalabrechnung mit der Nazi-Ideologie. Der Gauleiter Karl Röver des Gaus Weser-Ems, zu dem weite Teile des Bistums Münster gehörten, schrieb an die Reichskanzlei, der Hirtenbrief des Bischofs von Münster übertreffe die Stellungnahmen anderer Bischöfe „bei weitem an Schärfe. Jeder Satz ist vom Haß gegen den Nationalsozialismus diktiert.“ Schon in seiner Berliner Zeit hatte sich Galen für die katholische Schule und einen guten Religionsunterricht eingesetzt. 1937 verlieh die Theologische Fakultät von Innsbruck Graf von Galen den Ehrendoktor. Hiermit wollte sie seine Berliner Seelsorgstätigkeit würdigen und ihn moralisch unterstützen. Galen war zwar Monarchist, stand aber dem Staat von Weimar loyal gegenüber. Von seinen Gläubigen erwartete er „Ehrfurcht und Gehorsam“ gegenüber der republikanischen Regierung. Bei allem politischen Interesse bestimmten nicht politische Erwägungen Galens Haltung, sondern allein seelsorgliche Motive. Mehrmals nahm er zu Fragen der Gegenwart Stellung, so zur Reichsverfassung, dem Parlamentarismus und der „Pest des Laizismus“. Weil er als national eingestellter Mann galt, schien es manchen, seine Ernennung zum Bischof sei dem NS-System nicht unwillkommen gewesen. Aber schon sehr bald erwies er sich als einer ihrer gefährlichsten Gegner. Jedoch selbst bei seinen berühmten „Brandpredigten“ vom 13. und 20. Juli sowie vom 3. August 1941, worauf ihm die Bevölkerung den ehrenden Titel „Löwe von Münster“ gab, ging es ihm nicht um politische Auseinandersetzungen, sondern um die Wahrung der göttlichen Gebote und der Menschenrechte. Gleich in seinem ersten Hirtenbrief hatte er seinen Gläubigen versprochen, er wolle „niemals auch nur ein Jota abweichen von der Lehre der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche.“ Er versicherte ihnen: „Glaubt nicht, daß eure Bischöfe sorglos Gefahren übersehen, während ihr nach Wegführung verlangt! Seid versichert: Zentnerschwer lastet jeden Tag das Bewußtsein der Verantwortung für eure Seelen auf ihnen und sie wissen, daß sie ihre eigene Seele nicht retten können, wenn sie zur Unzeit schweigen oder sprechen.“ Predigten gegen Euthanasie und den Terror der Gestapo Im heutigen Urteil wird Galen jedoch auch anders bewertet. So schreibt vergangenes Jahr Hubert Wolf in der FAZ: „Natürlich hätte man sich gewünscht, Galen hätte sich in der Frage der systematischen Ermordung von Millionen Juden zu einem ähnlichen eindeutigen Protest (wie gegen den Massenmord an den Geisteskranken) durchgerungen. Er hat es nicht getan. Das bleibt eine seiner Grenzen. (…) Legt man heutige moralische und demokratische Maßstäbe (an Galen) an, so überwiegen für die Kritiker die Schattenseiten.“ Erstaulich an diesem Fazit ist schon allein die Tatsache, daß ein katholischer Kirchenhistoriker wie Wolf nicht weiß, warum Galen für die Juden nicht auf die Kanzel ging, obwohl ihn einige Juden darum gebeten hatten. Galen erklärte sich nämlich zu diesem Schritt bereit, verlangte aber von ihnen eine schriftliche Erklärung, ihm nicht zum Vorwurf zu machen, wenn die Nationalsozialisten wegen seines öffentlichen Protestes die Maßnahmen gegen die Juden verschärften. Nach reiflicher Überlegung hielten diese einen öffentlichen Protest des Bischofs von der Kanzel doch nicht für opportun. Nachträgliche läßt sich diese Haltung auch im Urteil der Betroffenen festmachen. Im Kondolenzschreiben zum Tode Galens des Ersten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinden der Nordrhein-Provinz vom 27. März 1946 an den Kapitularvikar von Münster heißt es: „Die deutschen Juden empfinden mit Ihnen die Schwere des Verlustes, der Sie getroffen hat, denn der Hingeschiedene war einer der wenigen pflichtbewußten Männer, der den Kampf gegen den Rassenwahn in schwerster Zeit geführt hat.“ Die Predigten vom Juli/August 1941 wurden unzählige Male vervielfältigt und sogar von den Alliierten als Flugblätter abgeworfen. Sie wandten sich gegen den Terror der Gestapo und die Enteignung von Ordenshäusern. Die Predigt vom 3. August 1941 geißelte die Euthanasieverbrechen, denen zahllose unschuldige Menschen zum Opfer fielen. „Wehe den Menschen, wehe unserem deutschen Volke, wenn das heilige Gottesgebot: ‚Du sollst nicht töten‘ nicht nur übertreten wird, sondern wenn diese Übertretung sogar geduldet und unbestraft ausgeübt wird!“ Diese Predigt Galens steigerte die Wut der Nationalsozialisten ins Maßlose. Hohe Parteifunktiönäre forderten, dem Bischof einen Schauprozeß zu machen und ihn auf dem Domplatz von Münster öffentlich zu hängen. Doch Goebbels und Hitler erkannten klar, daß sie mit einem solchen Vorgehen nicht nur die Bevölkerung Münsters, sondern auch ganz Westfalens für die Dauer des Krieges abschreiben müßten. Die Abrechnung sollte nach dem „Endsieg“ erfolgen. Als die Alliierten 1945 Sendenhorst besetzten, wo der Bischof Zuflucht gefunden hatte, als sein Münstersches Palais den Bomben zum Opfer gefallen war, wollten sie ihn zum Oberpräsidenten von Westfalen machen. Galen lehnte jedoch ab – Politik sei nicht sein Metier. Dennoch setzte er sich bei der Besatzungsmacht mit Nachdruck für die deutschen Kriegsgefangenen und internierten Deutschen ein, kritisierte die Vertreibung der Deutschen, die Demontagepraxis, die Einschränkung der Pressefreiheit sowie die katastrophale wirtschaftliche Versorgung. Hoffnungsträger des politisch ohnmächtigen Volkes Anläßlich der alljährlichen Wallfahrt nach Telgte am 1. Juli 1945 kritisierte Galen erstmals auch öffentlich die alliierte Besatzungspolitik und wandte sich energisch gegen die These von der Kollektivschuld als „unwahre und ungerechte Beschuldigung“. Diese umfaßte natürlich auch eine Verurteilung der deutschen Soldaten. Galens entschiedene Worte vom 5. Juni 1945, also nur wenige Wochen nach der Kapitulation über die deutschen Soldaten dokumentieren dies allzu deutlich: „Wir wollen auch innig danken unseren christlichen Soldaten, jenen, die in gutem Glauben, das Rechte zu tun, ihr Leben eingesetzt haben für Volk und Vaterland und auch im Kriegsgetümmel Herz und Hand rein bewahrt haben von Haß, Plünderung und ungerechter Gewalttat. Gott, der Herr, der Herzen und Nieren durchforscht, richtet nicht nach dem äußeren Erfolg, sondern nach der inneren Gesinnung und Gewissenhaftigkeit und wird das Gute belohnen und das Böse bestrafen nach Verdienst.“ Galen wurde zum Hoffnungsträger des politisch ohnmächtigen und gedemütigten deutschen Volkes. Bei Verhandlungen mit der Besatzungsmacht, zu der er nach seinen Angriffen „förmlich zitiert“ wurde, weigerte er sich, auch nur ein Wort zurückzunehmen. Seine Ernennung zum Kardinal – in der 1.200jährigen Geschichte des Bistums Münster einmalig – charakterisierte die Neue Westfälische Zeitung vom 28. Dezember 1945 zutreffend „als eine Ehrung des mannhaften Verteidigers der christlichen Wahrheit und der unveräußerlichen Menschenrechte.“ Mit der Seligsprechung vom 9. Oktober 2005 stellte die Kirche Clemens August Kardinal Graf von Galen als Vorbild für ein christliches Leben heraus. In seiner Ansprache am Ende des Gottesdienstes zur Seligsprechung wies Papst Benedikt XVI. auf die ungebrochene Treue und innige Gottverbundenheit des Seligen hin und mahnte, sich nach seinem Vorbild unbeeindruckt von Menschenlob und Menschenfurcht für die Gebote Gottes und die Würde des Menschen einzusetzen. Pater Lothar Groppe SJ war Militärpfarrer und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr sowie zeitweise Leiter der deutschen Sektion von Radio Vatikan. Foto: Clemens August Graf von Galen (1878-1946): „Nicht gegen den Staat, gegen die jetzige Staatsgewalt“