Der Wind dreht sich. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika bekommen das augenblicklich nicht nur im meteorologischen oder – angesichts von in diesen Tagen gemeldeten über 2.000 Toten im Irak – im außenpolitischen Sinne zu spüren. Denn auch der kulturelle „Leuchtturm“ USA wankt, da die vielgerühmten Labors und Institute zwischen Harvard und Stanford ihre Spitzenstellung auf dem internationalen Wissenschaftsmarkt verlieren. So sieht es jedenfalls die bei der Süddeutschen Zeitung für Außenpolitik zuständige Redakteurin Jeanne Rubner in einem Beitrag für das Magazin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (Humboldtkosmos, 85/2005). Rubner, die kurioserweise den „Niedergang der deutschen Wissenschaft“ auf die „Vernichtung der Juden“ und nicht etwa, was auch noch erheblich zu kurz greifen würde, auf die Exilierung jüdischer Wissenschaftler zurückführt, konstatiert, daß „der Spitzenreiter an Boden verliert“. Dies sei eine Folge der Abschottung nach dem 11. September 2001. Arabische Studenten und Gastwissenschaftler bleiben aus, weil die Visahürden fast unübersteigbar wurden. Nicht weniger abgeschreckt zeigen sich allerdings Europäer und Asiaten, ein Phänomen, das Rubner nicht mehr mit der „Terror“-Prävention erklären, sondern nur hilflos als Faktum wahrnehmen kann. 2004 sei nämlich zum ersten Mal auf breiter Front die Zahl der ausländischen Studierenden in den USA zurückgegangen. Im Vergleich mit 2001 kamen statt fast 800.000 nur noch 625.000 Studenten ins Land. Aus diesem Potential haben die USA aber stets geschöpft, um sich wissenschaftlich an der Weltspitze zu behaupten. Allein ein Drittel der deutschen Stipendiaten sind bisher dauerhaft im Land geblieben, ein schmerzlicher Aderlaß und ein Armutszeugnis für den „Wissenschaftsstandort“ Bundesrepublik. In ähnlicher Weise hätten die USA vom Zugang aus anderen europäischen Nationen und vor allem aus Ostasien profitiert. Gerade die Hälfte der graduierten Studenten in Physik ist in den USA geboren: „Ohne Ausländer könnten Harvard, Stanford und MIT ihre naturwissenschaftlichen Departments dicht machen.“ Ungleichheit und Kriminalität als US-Standortnachteil Trotz dieser Abhängigkeit tut Washington alles, um Ausländer abzuschrecken. Wie Rubner selbst anführt, sind daneben jedoch retardierende Tendenzen zu beobachten, die unabhängig von der Visapolitik sind. Die Zahl der Nobelpreisträger für Physik, Chemie und Medizin gehe zurück, ebenso die Zahl der von US-Labors und Firmen angemeldeten Patente. Zudem werde signifikant weniger publiziert, was jedoch mit dem seit 2001 atemberaubend anwachsenden Anteil militärischer, Geheimhaltungsvorschriften unterliegender Forschung zusammenhängen könne. Da zur Zeit die Hälfte des Forschungsbudgets in Rüstungsprojekte fließe, leidet indes die Ausstattung der zivilen Labors und damit ihre Anziehungskraft für Ausländer. Wenn die EU mit ihren Plänen jetzt ernst mache und ihre Forschungsausgaben erhöhe, „könnte sie sich zum ernsthaften Konkurrenten der USA entwickeln“. Die Ausgangsvoraussetzungen dafür waren auch unter anderen Aspekten nie günstiger, wie man dem Humboldtkosmos-Interview mit dem Harvard-Historiker Sven Beckert entnimmt, der 1987 als Stipendiat in den USA blieb und nun als temporärer „Heimkehrer“ und Bessel-Forschungspreisträger in Konstanz wieder „Lust auf Europa“ bekam und die Stärken der deutschen wie europäischen Wissenschaftslandschaft nicht genug zu rühmen weiß. Vor allem sei es die „Lebensqualität“, mit der die hochkapitalistische US-Klassengesellschaft nicht konkurrieren könne. Da es hier entschieden weniger „soziale Ungleichheit“ gebe als drüben, biete „viel öffentlicher Raum“ Bewegungsfreiheit, womit Beckert die allgegenwärtige Kriminalität in den USA recht höflich umschreibt. Daher könnten Beckerts Kinder in Konstanz „alleine in die Stadt gehen, alleine Ball spielen – Dinge, wie sie in Amerika völlig ausgeschlossen sind“. Das breite Angebot öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen, ihre noch relativ preiswerte Zugänglichkeit fielen als „weiche Standortfaktoren“ ins Gewicht, die in den Staaten fehlten, denn: „Natürlich kann man in den USA auch sehr angenehm leben. Aber man braucht verdammt viel Geld dafür.“