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Spitzel wider den Geist

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Daß der Entwicklung der DDR-Literatur von den Kulturplanern im SED-Politbüro ein hoher Rang eingeräumt wurde, braucht kaum begründet zu werden. Literatur galt als wichtiger Ideologieträger und diente der Erziehung der „werktätigen Bevölkerung“. Wie weit die Überwachung entstehender Literatur und staatskritischer Schriftsteller aber ausgedehnt werden sollte, kann man in einem als „vertrauliche Verschlußsache“ bezeichneten Rundschreiben vom 17. Dezember 1981 nachlesen, das Generalleutnant Rudolf Mittig (1925-1994), seit 1975 Stellvertreter Erich Mielkes im Ministerium für Staatssicherheit, an alle Bezirksverwaltungen verschickte. Dieser von verblendeten Fanatikern in der Ost-Berliner Normannenstraße ausgeheckte Plan trug den bürokratisch umständlichen Titel „Politisch-operative Erfordernisse zur Unterstützung der Durchsetzung vom Sekretariat des ZK der SED gefaßter Beschlüsse für die Arbeit mit bestimmten, auf literarischem Gebiet tätigen Personen“ und sah die Einrichtung von „Literaturzentren“ in jedem DDR-Bezirk vor, die der ideologischen Überwachung von Autoren dienen sollten. Verantwortlich für die „Erfassung und intensive Betreuung literarisch tätiger junger Bürger“ durch diese Zentren sollten die Abteilungen für Kultur in den 15 DDR-Bezirken sein, erfaßt werden sollten “ vorwiegend solche junge Schreibende“, die „weder durch die FDJ noch durch die Zirkel schreibender Arbeiter oder den Kulturbund der DDR betreut werden“. Staatskritisches Schreiben bedeutete Zuchthaus Es ging also bei diesem teuflischem Projekt, das auf viereinhalb Seiten festgehalten ist, um die restlose Aufspürung aller Schreibenden bis in den hintersten DDR-Winkel, um zu verhindern, daß „staatsfeindliche“ Gedanken aufgeschrieben und verbreitet werden! Verbunden damit war ein Verfahren, die „gesetzlichen Grundlagen zur Erlangung der Berufsbezeichnung ‚Schriftsteller‘ zu überprüfen und neu festzulegen“, was in der Praxis bedeutete, daß beileibe nicht jeder aufgebrachte DDR-Bewohner, der seinen Unmut über gesellschaftliche Mißstände und gesetzliche Willkür in einem Gedicht oder einem Prosatext äußern wollte, als „Schriftsteller“ zu gelten hatte. In Mittigs Text heißt es dazu eindeutig: „daß sich künftig als Schriftsteller nur bezeichnen darf, wer den Nachweis erbringt, daß er diese Tätigkeit auf der Basis einer Kandidatur im Schriftstellerverband oder einer vertraglichen Bindung zu einem Verlag, einer Redaktion oder an Massenmedien der DDR ausübt und über ein jährliches Mindesteinkommen von 6.000 Mark verfügt.“ Aktueller Anlaß dieser ideologischen Reglementierung junger Schriftsteller durch den Staat waren die literarischen Aktivitäten des Dichters Franz Fühmann (1922-1984), der aus einer anfangs staatsbejahenden Position mit zunehmendem Alter immer sozialismuskritischer und regierungsskeptischer geworden war und der nun, so der „Literaturexperte“ Mittig, „sogenannte talentierte Nachwuchsautoren“ förderte, die „eine verfestigte feindlich-negative Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung besitzen und teilweise politisch-negativ in Erscheinung getreten sind“. Mit dieser Autorengruppe „aus der Hauptstadt Berlin und den Bezirken Dresden, Erfurt, Halle, Leipzig und Potsdam“ plante der in Rochlitz/Böhmen geborene Fühmann, Mitglied der Deutschen Akademie der Künste seit 1961, eine Anthologie verbotener Texte, was das Ministerium für Staatssicherheit aufschreckte: „Wie die vorliegenden Texte erkennen lassen, stehen fast alle Autoren in ihren politischen, weltanschaulichen und poetologischen Positionen sowie den erkennbaren Darstellungsabsichten im wesentlichen außerhalb der durch die Kulturpolitik unserer Partei formulierten Erwartungen und Anforderungen an Literatur. Die Mehrheit der Beiträge widerspiegelt die Unfähigkeit der Autoren, mit Mängeln, auf die sie im gesellschaftlichen Leben gestoßen sind, fertigzuwerden und sie in einer der gesellschaftlichen Entwicklung förderlichen Weise zu behandeln. Sie bleiben im Negativen stecken.“ Um gegen diese unerwünschten Tendenzen, daß die Schriftsteller darüber schreiben, was sie sehen und hören, einschreiten zu können, drohte Mittig vier Schritte gegen diese dreißig oppositionellen Schriftsteller an: „keinerlei Veranstaltungen mit diesen Autoren … und die vorliegenden Texte nicht zu veröffentlichen“ ; „solche Autoren, die als loyale Bürger der DDR betrachtet werden können“, die also dem staatlichen Druck nachgeben, von Schriftstellern mit SED-Parteibuch „betreuen zu lassen“, um sie „als Kandidaten für den Schriftstellerverband zu gewinnen“. Die widerspenstigen Autoren aber, die nicht einlenken wollten, seien „durch die entsprechenden staatlichen Organe einer geregelten Arbeit zuzuführen und die Veröffentlichung ihrer ‚Werke‘ zu unterbinden“; und schließlich seien die schlimmsten Fälle, nämlich „asoziale und staatsfeindliche Elemente unter diesen Personen entsprechend den geltenden Gesetzen der DDR zu behandeln“. Das waren klare Worte: Wer weiterhin, trotz einladend ausgestreckter Hand der „Partei der Arbeiterklasse“, staatskritisch schrieb, sollte mit Zuchthaus und Arbeitslager bestraft werden! Ein solcher Zugriff auf Literatur benötigte literarisch und literaturwissenschaftlich versierte Genossen im offiziellen und inoffiziellen Sektor. Mittig jedenfalls wünschte sich nach „politisch-operativer Einflußnahme auf die kadermäßige Besetzung der Bezirksliteraturzentren politisch-ideologisch gefestigte, parteiverbundene und lebenserfahrene Mitarbeiter mit positivem erzieherischen Einfluß auf die zu betreuenden, sich literarisch betätigenden Bürger“, die fähig sein müßten, „in deren literarischen Arbeiten und ihrem Auftreten sich zeigende politisch-negative Haltungen zurückzuweisen und sich offensiv mit solchen Haltungen und Auffassungen auseinanderzusetzen“. Abschließend hieß es: „Es ist zu verhindern, daß feindlich-negative Kräfte auf die Bezirksliteraturzentren und deren Beiräte Einfluß gewinnen können.“ Auch zur Vermeidung solcher Zersetzung gab es schon einen Plan, nämlich den „Einsatz von geeigneten inoffiziellen Mitarbeitern in Schlüsselpositionen in den Bezirksliteraturzentren zur rechtzeitigen und vorbeugenden Verhinderung und Aufdeckung feindlich-negativer Haltungen und Aktivitäten“ und zur „Verhinderung des Eindringens politisch-negativer und von feindlich-negativen Kräften beeinflußter literarisch tätiger Personen in die Literaturzentren“ . Für die Besetzung des Direktorenpostens im schon 1971 gegründeten Literaturzentrum Neubrandenburg – weitere konnten bis zum Untergang des SED-Staates 1989 nicht mehr errichtet werden – hatten die literaturbeflissenen Genossen von der Staatssicherheit bald einen emsigen Mitarbeiter gefunden und ihn am 1. September 1971 als Leiter eingesetzt: Dr. Karl Thomas Crepon, geboren 1938 im vorpommerschen Demmin, der unter dem Decknamen „Klaus Richter“ zwischen 1972 und 1985 unermüdlich zunächst als einfacher IM, später aber auch als „Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung der Konspiration und des Verbindungswesens“ (IMS) und als „Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz“ (IME) – was einen Karrieresprung bedeutete – tätig war. Der Kandidat übertraf die Erwartungen seiner Auftraggeber, da er sich schon 1957, als er sich freiwillig für drei Jahren zum „Ehrendienst“ in der 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee (NVA) verpflichtet hatte, als staatstreu erwiesen hatte. Später studierte er Anglistik und Germanistik, war Lehrer in Teterow und wurde 1971 mit einer Arbeit „Zur Volksverbundenheit in unserer Literatur“ am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED promoviert. Was zweierlei Aussagen zuläßt: Die Arbeit ist von nur geringem wissenschaftlichen Wert, und der IM-Kandidat hatte schon im Alter von 33 Jahren eine enorm positive Kaderentwicklung hinter sich! In Joachim Walthers Buch „Sicherungsbereich Literatur“ (1996) wird sein Name dreimal genannt. So kann man im „Auskunftsbericht zum Reisekader Crepon, Thomas“ der Bezirksverwaltung Neubrandenburg vom 24. September 1989 lesen: „Dr. Crepon erhielt 1971 den Parteiauftrag, ein Literaturzentrum zur Förderung der sozialistischen Gegenwartsliteratur in Neubrandenburg zu gründen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Autorenbetreuung zu sammeln.“ Verständnis für Wünsche der Stasi-Offiziere Die Staatssicherheit meldete sich ein Jahr später, am 22. September 1972, im Dienstzimmer des Kandidaten. Der Offizier, der die Anwerbung betrieb, blieb zwei Stunden. Bei dieser ersten Begegnung, nachdem der Direktor des Literaturzentrums, das heute „Brigitte-Reimann Literaturhaus“ heißt, schon während des Studiums in Ost-Berlin und als Lehrer in Teterow Kontakte zur „Firma“ hatte, wurde, wie später noch mehrmals, jede konspirative Vorsicht mißachtet. Die Begegnung mit dem aufgeschlossenen Kandidaten, der durchaus Verständnis hatte für die Wünsche und Bedürfnisse der „Genossen von der Sicherheit“ (Wolf Biermann), schrieb der anwerbende Offizier in seinem „Bericht über die durchgeführte Gewinnung“ am 26. September 1972 nieder: „Am 22. 9. 1972 wurde die Gewinnung des Kandidaten Dr. Tom Crepon … für die Zusammenarbeit mit unserem Organ vorgenommen … In der Unterhaltung erläuterte ich dem Kandidaten die Aufgaben des Ministeriums für Staatssicherheit und die Aufgaben auf der Linie Kultur, wie sie durch die Vl. Tagung des ZK festgelegt wurde. Sehr ausführlich sprachen wir über die Durchsetzung der westlichen Ideologie durch die einzelnen westlichen Institutionen und Massenmedien gegenüber unseren Kulturschaffenden. Der Kandidat brachte im Gespräch nochmals seine positive Einstellung bezüglich der Unterstützung zum Ausdruck. Ich erläuterte dem Kandidaten, daß es gewisse Unterschiede bezüglich einer Unterstützung gibt, wobei ich darauf einging, daß unsere weiteren Kontakte einen konspirativen Charakter tragen müßten. Mein Anliegen verstand der Kandidat sofort …“ Mehr über Thomas Crepon und die bespitzelte Literaturszene lesen Sie in der nächsten JF-Ausgabe. Foto: Im Schrankspiegel spiegeln sich Bücher der Brigitte-Reimann-Bibliothek: In der Ost-Berliner Normannenstraße ausgeheckter Plan Dr. Jörg Bernhard Bilke war Chefredakteur des Pressedienstes Kulturpolitische Korrespondenz und Vizepräsident des Freien Deutschen Autorenverbandes (FDA). Von 1961 bis 1964 war er politischer Häftling in der DDR.

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