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Bombenkrieg und Political Correctness

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Die Flächenbombardements des Zweiten Weltkriegs haben nicht nur Ruinen, sondern auch Erinnerungsstätten hinterlassen. Drei auffällige Akzente setzt ein 1998 gestalteter Gedenkraum des historischen Würzburger Rathauses. Der erste betrifft das Motiv des britischen Luftschlags vom 16. März 1945. Die Würzburger Stadtväter vermuten es im „Brechen des Durchhaltewillens der deutschen Zivilbevölkerung“ (sogenanntes „Morale Bombing“). Ob es unmittelbar vor Kriegsende noch viel „Durchhaltewillen“ gab, fragen sie nicht. Realistische Beweggründe wie unstillbarer Vergeltungsdrang, Demonstration von Vernichtungspotential an zuvor kaum beschädigten Orten, Verachtung deutscher Kulturstätten oder eine durch die NS-Tyrannei noch gesteigerte Germanophobie Winston Churchills werden ausgeklammert. Auch Prinzipien des Kriegsvölkerrechts und Würzburgs militärische Bedeutungslosigkeit kommen nicht zur Sprache. Konsequenter Exorzismus nationaler Identität Der zweite Akzent rankt sich um die Schuld am Würzburger Inferno. Liegt sie allein im „Krieg, den die Deutschen losbrachen“? Monokausale Erklärungen liefern auch die Textvorschläge eines „Friedenszentrum Braunschweig e. V.“ für zwei geplante Hinweistafeln in der Braunschweiger Innenstadt („Folge des Überfalls Deutschlands auf seine Nachbarländer“, „Opfer des von Deutschen entfesselten Zweiten Weltkriegs“). Sämtliche Formulierungen assoziieren den Polenfeldzug vom September 1939, der Großbritannien zur Kriegserklärung an das Deutsche Reich veranlaßte und somit eine nicht hinwegzudenkende Bedingung für die Luftangriffe auf Würzburg und Braunschweig ist. Warum aber attackieren die Autoren lediglich einen den Zerstörungen fünf Jahre vorauseilenden und in bezug auf diese völlig absichtslosen Kausalfaktor? Wo bleibt im Würzburger Rathaus die Empörung über den keinesfalls durch nationalsozialistische Schandtaten gerechtfertigten Luftangriff, mit dem Churchill und Harris die mainfränkische Metropole aus freiem Entschluß und detailliert geplant „pulverisieren“ ließen? Mit etwa 5.000 unschuldigen, wehrlosen Todesopfern: vor allem Frauen, Kindern, älteren Männern! Warum entrüstet sich das „Friedenszentrum Braunschweig“ nicht über die ebenso völkerrechtswidrige, militärisch kaum ertragreiche Bombenapokalypse in der alten Welfenresidenz? Leistungsstarken Bunkern und dem souveränen Handeln der Rettungskräfte ist es zu verdanken, daß der Feuersturm vom 15. Oktober 1944 „nur“ etwa 560 und der gesamte Luftkrieg in Braunschweig etwa 3.000 Menschenleben forderten. „Kein Unrecht, und mag es noch so groß gewesen sein, rechtfertigt anderes Unrecht“: eine Leitidee politischer Aufklärung in den Worten des Ex-Bundespräsidenten Roman Herzog. Greift man zum großen Kausalitätsmaßstab, dann wurden Dresden, Hamburg, Pforzheim und andere geschundene Städte auch Opfer der leidvollen, Jahrhunderte währenden europäischen Gegensätze. Zerstörerische Kriege aus imperialem Habitus sowie machtpolitisch instrumentalisiertem Konfessionswahn hatten ein explosives Gemisch aus Furcht und wechselseitiger Verachtung erzeugt. Eindringlich mahnt die gewaltige Metaphorik der NS-Gedenkstätte im Gelsenkirchener Stadtgarten (1950): „Zerstampft des Unrechts Drachensaat, zerstört den Haß von Staat zu Staat …“ Drittens offenbaren die politisch korrekten Geschichtsbilder von Würzburg und Braunschweig einen Identitätskonflikt. Die Autoren beschreiben das den Krieg auslösende Völkerrechtssubjekt weder juristisch exakt als das Deutsche Reich noch typifizierend als „nationalsozialistisches Deutschland“ (Gedenktafel des Pforzheimer Wallbergs). Vergröbernd attackieren sie „Deutschland“ oder die in diesem Zusammenhang amorphe Masse „der Deutschen“. Wer soll Kriegsschuld tragen? Womöglich alle, zumindest alle damals lebenden Landsleute? Obendrein sprechen die Autoren über ein Kollektiv, dem sie selber angehören, nicht in der ersten, sondern in der dritten Person Plural. Spontane Abwehrreflexe moralisch inspirierter Menschen, die sich ungern in jenes „Tätervolk“ einreihen möchten, das „den Krieg losgebrochen hat“? Neuartige Dialektik, die nach Hurra-Patriotismus und anschließender neurotischer Qual am Deutschsein nunmehr zum konsequenten Exorzismus nationaler Identität führt? „Have we chosen?“ heißt es in einem abstrakten Denkmal vor dem Kasseler Regierungspräsidium. Die Frage gilt dem Feuersturmangriff vom 22. Oktober 1943, der über 8.000 Menschen in den Tod gerissen und der einst prachtvollen hessischen Fachwerkidylle architektonisches Frankenstein-Format beschert hat. „Have we chosen?“; das läßt mehrere Deutungen zu, denen hier nicht im einzelnen nachgegangen werden kann. Energisch widersprochen sei aber der politisch korrekten Interpretation: Weder Krieg noch Gewaltherrschaft haben wir Deutsche bewußt „gewählt“. Sechzig Jahre nach der NS-Barbarei verbieten sich penetrante deutsche Selbstanklagen ebenso wie Schönfärbereien der menschenverachtenden Moral-Bombing-Doktrin. Kriegsopfer werden zum Instrument einer gegen das eigene Volk gerichteten Kollektivschuldideologie. Sie ist moralisch und rechtlich abwegig, weil der geisteswissenschaftliche Schuldbegriff die Willensbildung von Individuen beschreibt. Sogar bei gemeinschaftlichem Tathandeln muß die Schuld individuell ermittelt werden; unbeteiligte Personen aus dem Umfeld der Täter bleiben außer Betracht. Es gibt keine Sippenhaftung. Vielfach mündet jene Ideologie in das Dogma von der kollektiven deutschen Verantwortung. Es korrespondiert mit der wahnhaften Vorstellung, Abermillionen Deutsche seien Mitwisser und Befürworter der Judenvernichtung oder gar „Hitlers willige Vollstrecker“ gewesen. Für vertiefende Analysen bleibt hier kein Raum. Der Verdacht, die Holocaust-Debatte des politischen Raums produziere Leerformeln oder gewichtig klingende Binsenweisheiten, ist freilich schwer zu entkräften. So läßt sich „kollektive Verantwortung“ am sinnvollsten noch ethisch deuten. Als unscharf formulierte Moralkategorie könnte sie eine Grundpflicht aller Gesellschaften (nicht nur der deutschen) bezeichnen, sich mit der Shoa sowie anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auseinanderzusetzen und nachfolgende Generationen strikt im Geiste der Humanität zu erziehen. Warum verwenden wir solche Wortschablonen, die ernsthafte Dialoge über schuldhafte Verstrickung und eine Verarbeitung des Holocaust im nationalen Bewußtsein unnötig erschweren? Kollektivschuld-Phrasen sind international unheilvoll Auch international entfalten Kollektivschuld-Phrasen unheilvollen Einfluß. Sie fördern Zerrbilder europäischer Geschichte und lenken Deutschlands einstige Kriegsgegner von richtungweisenden Debatten über eigene Horrortaten ab. Zudem schwächen sie deutsches Selbstwertgefühl im Ringen über Beitrags- und sonstige Zahlungen, über Militäreinsätze, Flüchtlingsquoten und die Machtverhältnisse in supranationalen Organisationen. Aufrichtige Erinnerungskultur muß die herrschende „Vergangenheitsbewältigung“ ablösen, bei der Kriegsverbrechen der Anti-Hitler-Koalition entweder ignoriert, als unausweichliche Folge der NS-Herrschaft umgedeutet oder gar in furchtbarer Weise verherrlicht werden („Bomber Harris, Do It Again“: Spruchband „antifaschistischer“ Demonstranten in München). Aufrichtiges Erinnern verlangt nach Ethik. Wir brauchen ausgewogene, aber unmißverständliche Verurteilungen des Brandkriegs gegen deutsche Städte, die befreiende Versöhnung nicht verhindern, eventuell sogar verheißen. Betrachten wir eine steinerne Anklage von genialer schöpferischer Kraft: die monumentale Figurengruppe des Bildhauers Gerhard Marcks für 40.000 Opfer der Hamburger „Operation Gomorrha“ (Friedhof Ohlsdorf)! Oder jene seltenen Mahnworte gegen den Bombenfrevel, die sich unverbindlichen Floskeln und kollektivem Selbsthaß verweigern: „Wie viele starben? Wer kennt die Zahl? An Deinen Wunden sieht man die Qual der Namenlosen, die hier verbrannt im Höllenfeuer aus Menschenhand“ (Heidefriedhof Dresden); „Euch Lebende mahnen 3.330 Opfer des Bombenterrors“ (Parkfriedhof Berlin-Marzahn); „Wehrlose Opfer der Willkür“ (Nordfriedhof Hildesheim); „Father Forgive“ (Domruine Coventry)! Foto: Figurengruppe des Bildhauers Gerhard Marcks für die 40.000 Opfer der „Operation Gomorrha“ auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg: Aufrichtige Erinnerungskultur statt „Vergangenheitsbewältigung“

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