Bildung ist kein Luxus, sondern ein Exportartikel. Diese Einsicht hat das Handeln einiger Professoren an der Technischen Hochschule in Aachen bestimmt, im fernen Thailand eine Zweigstelle zwecks Ausbildung künftiger Führungskräfte in Elektrotechnik zu gründen. Finanziert wird dieser Sprung nach Asien durch das Bundesforschungsministerium (BMFB), aber vor allem durch Siemens, Bayer und ABB. Diese Großunternehmen sehen Thailand als Einfallstor für den pazifischen Markt, und da kann es nicht schaden, die „Entscheider“ von morgen quasi im eigenen Haus auszubilden. Ähnlichen Erwägungen gehorcht das privatwirtschaftliche Engagement der TU München, die in Singapur eine „Tochterfirma“ TU München-Tech GmbH gründete, um im Mekka der chemischen Industrie Asiens einen Fuß in die Tür zu bekommen. Gefördert vom BMFB und der Regierung Singapurs bieten die Bayern komplette Studiengänge an, und da man mit der National University of Singapore kooperiert, gilt der Abschluß als gemeinsamer akademischer Grad beider Hochschulen. Im Unterschied zu ihren thailändischen Kommilitonen müssen die Studenten des Stadtstaates allerdings zahlen: Studiengebühren bis zu 25.000 Euro jährlich, wie Heiko Schwarzburger in seinem Vergleich der rheinischen und der bayerischen akademischen Expansion in der Deutschen Universitäts-Zeitung (DUZ), Heft 1-2/03 hervorhebt. Die USA als ungeliebte Bildungssupermacht Allem PISA-Gerede zum Trotz hält die Bildungsnation Deutschland mithin doch noch Weltniveau und manche vermeintlich im Elfenbeinturm verkapselten Akademiker tun etwas für die positive Außenhandelsbilanz. Wo also liegt hier das Problem? Darin, daß etwa in Thailand US-Amerikaner und Australier „auf der Matte stehen“ (Schwarzburger), um den Deutschen den Wettbewerbsvorteil im dortigen Ausbildungssystem streitig zu machen. Ebenso ist es der Harvard Universität und dem Massachusetts Institut of Technology in Singapur gelungen, mit der TU München in Konkurrenz zu treten. Damit zeichnet sich in Südostasien eine Konstellation ab, deren Brisanz und bildungspolitische Folgen für Deutschland und Europa kaum zu überschätzen sind. Die USA sind nämlich auch in Sachen Bildung eine Supermacht. Das mag nicht die Bildung sein, die dem von tausend Jahren Lesekultur geprägten Alteuropäer gefällt. Der französische Bildungsminister Claude Allagre hat, so zitiert ihn Christiane Krüger in der angeführten DUZ-Ausgabe, denn auch schon von einer „Katastrophe“ gesprochen, wenn es den USA gelingen sollte, ihre Universitäten, die alle nach dem gleichen Muster gestrickt seien, bis in den letzten Winkel der Erde zu exportieren. Da klingt bereits ein gewisser gallischer Hochmut an, der vielleicht weniger auf den starken Verschulungsgrad – der auch Frankreichs Elite-Schmieden prägt – im akademischen US-System mit Verachtung herabsieht, als auf dessen bedingungslose Unterwerfung unter das Diktat praktischer Verwertbarkeit, seine „platte“, ökonomisch kalkulierende Funktionaliät und der aus europäischer Sicht als inhuman empfundene Mangel an „Tiefe“. Das gilt auch für den gesamten Sektor der Erwachsenen- und Weiterbildung, wo private Institute alles anbieten, was den individuellen „Marktwert“ zu steigern verspricht, vom PC-Training bis zur Einführung in die Grundlagen der chinesischen Sprache. Insgesamt nimmt dieses Bildungsangebot mit einem Volumen von 10 Milliarden Dollar bereits den fünften Rang in der US-Exportwirtschaft ein. Nein zur Liberalisierung des Hochschulsektors Geht es nach den Vorstellungen der „Liberalisierer“ und „Globalisierer“ der Bush-Administration, soll noch viel mehr Geld in die Kasse kommen. Bushs Handelsbeauftragter Robert Zoellick erwartet sich von der Ausweitung dieser Art „Dienstleistungen“ „wirtschaftliches Wachstum, neue Jobmöglichkeiten, steigenden Lebensstandard“ – allerdings vornehmlich in den USA. Dabei gibt es aus Washingtons Sicht ein gravierendes Problem: die leidigen Handelsbarrieren. Deshalb drängt Zoellick die Europäer, ihr Liberalisierungsniveau im Bildungsbereich zu erhöhen. Hebel dafür sind die anstehenden Verhandlungen im Rahmen des „General Agreements on Trade in Services“ (GATS), für die die Bundesregierung in Abstimmung mit Hochschulrektorenkonferenz und Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung soeben, wie Christine Prußky in der DUZ skizziert, ihre Marschroute festgelegt hat ( www.blk-bonn.de/gats.htm ). Demnach steht das deutsche Nein zu einer weiteren marktwirtschaftlichen Öffnung des Hochschulsektors fest. Fraglich ist nur, ob sich die Emissäre des federführenden Wirtschaftsministeriums damit in Brüssel durchsetzen werden. Denn auch für diese Materie hat Berlin seine Kompetenz an die EU-Kommission abgegeben, wo Ende März unter dem zuständigen Kommissar Pascal Lamy entschieden wird, wie die Europäer den USA und ihren Verbündeten, Japan und (sehr befremdlich) Brasilien, in den GATS-Verhandlungen gegenübertreten werden. Was Deutschland für den Fall zu erwarten hätte, daß Lamy dem radikalen Globalisierer Zoellick nicht gewachsen ist, scheinen sich auch bildungspolitische Experten hierzulande noch nicht vorstellen zu können. Der Kasseler Politikwissenschaftler Christoph Scherrer, von Prußky als einer der wenigen deutschen GATS-Experten befragt, deutet nur an, daß der „Schutzwall um die staatlichen Hochschulen“ dann wohl einstürze. Die staatliche Kontrolle und die Sicherung von Qualität in Forschung und Lehre würden der Geschichte angehören. Selbstverständlich sei es auch mit der öffentlichen Hochschulfinanzierung zu Ende, die als wettbewerbsverzerrende Subvention gelten würde. Daher empfehle sich deren Abschaffung, da sonst jene Privathochschulen oder andere Bildungseinrichtungen nach US-Strickmuster, die ihre „Dienstleistungen“ auf dem ihnen mehr oder weniger freiwillig geöffneten deutschen „Markt“ anbieten, eine entsprechende Förderung einklagen könnten. Auch für die Arbeitsbedingungen an Hochschulen sieht Scherrer für den Fall eines GATS-Erfolg der USA schwarz. Bildung und Kultur sollten keine Handelsgüter sein Neben der „Aufweichung der tariflichen Beschäftigung“ erwarte die Dozentenschaft eine erhebliche Einschränkung ihrer Mobilität: „Konkurrenzbeziehungen und profitorientierte Kooperationsbemühungen werden dominieren. Die Hochschulen werden versuchen, exzellenten Wissenschaftlern lediglich Mobilität innerhalb der eigenen Dependancen anzubieten.“ Thomas Fritz, der GATS-Experte der Anti-Globalisierungsbewegung „Attac“, fordert angesichts unkalkulierbarer Verhandlungsrisiken zusammen mit 12.000 Unterzeichnern einer Resolution die Bundesregierung deshalb auf, „Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge“ wie Bildungs- und Kulturdienstleistungen überhaupt aus den GATS-Verhandlungen herauszunehmen ( www.attac-netzwerk.de/index.php ). Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) lehnte dies Ansinnnen erwartungsgemäß als unrealistisch ab: Eine deutsche „Blockadehaltung“ sei nicht sinnvoll. Obwohl auch Bulmahn gegen eine weitere Liberalisierung im Hochschulsektor ist, landet sie mit ihrem ostentativen Realismus dort, wo im bundesdeutschen Parteienspektrum die einzigen Befürworter der US-Offensive sitzen: bei Guido Westerwelles Freien Demokraten, für die Kultur und Bildung bekanntlich vor allem Spaß machen sollen. Foto: EU-Kommissar Pascal Lamy: Letzter Schutzwall um die staatlichen Hochschulen in Deutschland
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