Die Julischen Alpen – benannt übrigens nach Julius Caesar – sind im Gegensatz zu ihren österreichischen und Schweizer Nachbargebirgen immer noch wenig bekannt. Heute gehören sie zu Slowenien und werden allmählich touristisch entdeckt. Fast vergessen ist allerdings, daß am Fuße dieses gewaltigen Massivs sich vor weniger als einem Jahrhundert – nämlich während des Ersten Weltkriegs – einer der blutigsten Kriegsschauplätze entwickelte; die italienische Armee versuchte hier, den Durchbruch durch die österreichischen Linien zu erzwingen und damit die strategisch wichtige „Laibacher Pforte“ zu gewinnen. Von hier aus wäre dann der Weg für die Eroberung von Wien oder Budapest offen gewesen. Die Österreicher, verstärkt durch Truppen aus dem „Reich“ – darunter vor allem das Württembergische Gebirgsbataillon mit dem Oberleutnant und späteren Feldmarschall Erwin Rommel -, traten dann zur Gegenoffensive an und warfen in der 12. Isonzoschlacht die Italiener weit zurück: die österreichisch-deutschen Verbände kämpften unter dem Operationsnamen „Waffentreue“, durchbrachen die gegnerischen Linien und stießen bis zum Fluß Piave vor. Der Isonzo, der auf slowenisch Soca heißt, rauscht zwischen Felsen zu Tal. Eine romantische, zugleich heroische Szenerie bietet sich auf der schmalen Gebirgsstraße dar, die zwischen Klüften und Felswänden abwärts führt. Weiter unten öffnet sich das Becken – und hier befinden wir uns bereits auf dem Schlachtfeld von einst. Das kleine slowenische Städtchen Bovec (deutsch: Flitsch) hatte damals eine wichtige strategische Bedeutung. Am Straßenrand steht ein Obelisk zu Ehren der Gefallenen. Die deutsche Inschrift, die bemerkenswerterweise die antideutschen Bilderstürme der kommunistischen Ära überstand, lautet: „Den gefallenen Helden des Flitscher Beckens 1915 bis 1917“. Der nicht weit davon entfernte große österreichische Soldatenfriedhof, der zu Zeiten Tito-Jugoslawiens verwahrlost war, wurde jetzt sehr schön wiederhergerichtet. Ins Bewußtsein der „Reichs-“ und späteren Bundesdeutschen sind die Isonzoschlachten des Ersten Weltkriegs deshalb kaum gedrungen, weil die Westfront mit ihren Materialschlachten – man denke an Verdun – näherlag. Nach 1945 geriet das Isonzo-Schlachtfeld erst recht in Vergessenheit. So ist weitgehend unbekannt, daß die Kämpfe am Isonzo zwischen 1915 und 1917 auf beiden Seiten über eine Million Tote und eine schier unüberschaubare Zahl von Vermißten, Verwundeten und Verkrüppelten forderten. Die Slowenen haben sich diese Ereignisse aus dem erster Weltkrieg viel tiefer verinnerlicht als etwa den Partisanenkrieg bis 1945. Bemerkenswert ist auch, daß die Slowenen, die damals zur österreichischen Monarchie gehörten, aber keinerlei eigene Staatlichkeit besaßen (was sie etwa von den Kroaten unterschied), mit ihren Sympathien noch heute auf der österreichisch-deutschen und nicht auf der italienischen Seite stehen. Gräber und Denkmäler haben die Tito-Zeit überstanden Das zeigt bereits die Anlage und Pflege der Soldatengräber und die Einrichtung von Museen des Ersten Weltkriegs etwa in der Stadt Kobarid (deutsch: Karbeit, italienisch: Caporetto). Das Museum hat wegen seiner vorbildlichen Anlage und Präsentation einen Preis des Europarats gewonnen. Ohne Beschönigung zeigen die Exponate, Fotos und Rekonstruktionen – etwa einer italienischen Kaverne (Gebirgsstellung) – die damalige Realität, als das Flitscher Becken für einen historischen Augenblick zum Angelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Italien, Deutschen, Magyaren und Slawen wurde, die an dieser Front auf österreichischer Seite kämpften. Das mag auch der Grund sein, warum die kommunistischen Herrscher die Soldatenfriedhöfe der Deutschen und Österreicher nicht plattgewalzt haben, denn die Isonzoschlachten waren zugleich auch ein Krieg zwischen Slawen und Italienern. Unter dem Banner Österreichs kämpften Slowenen, Kroaten, bosnische Moslems. Daneben auch noch Ungarn, Tschechen, Slowaken. Die bosnischen Truppen trugen einen roten Fes und waren bei den Italienern gefürchtet, weil sie beim Sturmangriff keinen Nahkampf scheuten. Die slowenischen Landwehr-Regimenter hatten nicht den gleichen martialischen Ruf, aber auch sie sahen in den angreifenden Italienern eine gewisse Bedrohung. Ein italienischer Sieg hätte eine Verschlechterung ihres nationalen Status bedeutet. Im k.u.k-Reich wurden die Slowenen nicht daran gehindert, ihre Sprache zu sprechen, wohl aber später in Italien, das für zwei Jahrzehnte das obere Isonzotal annektierte, bis der Zweite Weltkrieg die italienische Grenze nach Süden und Westen an den Unterlauf des Isonzo verschob. In der Ortschaft Log unterhalb des Mangart-Massivs steht auf dem Soldatenfriedhof ein interessantes Denkmal. Es zeigt einen österreichischen, vermutlich Tiroler Gebirgsschützen Seite an Seite mit einem (moslemischen) Bosniaken, der den orientalischen Fes auf dem Kopf trägt. Die österreichische Armee am Isonzo stand unter dem Befehl eines gebürtigen Serben (ungeachtet der Tatsache, daß sich Serbien im Kriegszustand mit Österreich befand). Dieser „k.u.k.-Serbe“ orthodoxer Konfession hieß Svelozar Boroevic von Bojna, hatte den Beinamen „der Löwe vom Isonzo“ und wurde bis zum Feldmarschall befördert. Seine Erinnerung wird zwischen Flitsch, Karbeit und Tolmein noch heute in Ehren gehalten. Und auch das gehört zu den seltsam verschlungenen Zeitläufen: Als nach dem Zusammenbruch und dem Auseinanderfallen Österreich-Ungarns Serbien (später: Jugoslawien) zu den Siegern zählte, erhielt der „Löwe vom Isonzo“ aus Belgrad das Angebot, als Inspekteur oder Berater eine führende Stellung in der serbischen (jugoslawischen) Armee zu bekleiden. Boroevic lehnte mit der Bemerkung ab, er habe dem Kaiser und Österreich den Fahneneid geschworen und gedenke nicht, diesen zu brechen. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges starb der „Löwe vom Isonzo“ unter ärmlichen Verhältnissen in Wien. Die Täler im Karst waren übersät mit toten Soldaten Folgt man dem Isonzotal weiter in südlicher Richtung, kommt man nach Gorizia (Görz) – eine Stadt, die während der Isonzoschlachten heftig umkämpft und von den Italienern zeitweilig erobert wurde. Durch die Vororte verläuft seit 1947 die Staatsgrenze zwischen Österreich und Slowenien, neben dem italienisch gewordenen „Gorizia“ gibt es östlich „Nova Gorica“. Auf der italienischen Seite sieht man das Beinhaus von Oslavia – ein eindrucksvolles Totenmonument für die zahlreichen italienischen Opfer. Die italienischen Gedenkstätten erscheinen wuchtiger und pathetischer als die auf slowenischem Gebiet. Hier beginnt der Karst – das kaum bewaldete Gebirge oberhalb von Triest. Ein slowenischer Autor schrieb kurz nach den damaligen Kämpfen: „Ich sah Gräber, mit denen alle Täler im Karst übersät waren. In geraden Reihen ruhten die Angehörigen der österreichisch-ungarischen Völker. Wer soll all diese Hügel zählen? Jedes Tal, jede Fläche ist eine Grabstätte – Slowenen neben Ungarn, Österreicher, Kroaten, Tschechen, Slowaken, Rumänen, Polen, Ruthenen – alle sind Brüder.“ Das Isonzotal mit den kleinen Städtchen, seinen felsigen Gipfeln im Norden und Weinbergen im Süden liegt nur einige Dutzend Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. Eine Reise durch dieses Tal dauert nur wenige Stunden, kann aber zur lehrreichen Exkursion werden. Hier erschließt sich eine zusätzliche historische Dimension, und manche Vorurteile und herrschenden Meinungen erledigen sich im Angesicht der stummen Zeugen von selber. Fotos: Major Sprosser und Oberleutnant Rommel (re.), Isonzoschlacht 1916: „Alle sind Brüder“ Gedenkstein bei Flitsch: Mehr als eine Million Gefallene zu beklagen