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Volksverhetzung: Meinungsfreiheit unter Strafe

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Volksverhetzung
 

Meinungsfreiheit unter Strafe

Das Bundesverfassungsgericht hat den Volksverhetzungspragraphen 130 des Strafgesetzbuches für verfassungskonform erklärt. Die JUNGE FREIHEIT kommentiert die wichtigsten Passagen der Entscheidung.
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Der Volksverhetzungsparagraph: Ein Gesetz mit weitreichenden Folgen Foto: Pixelio/Gerd Altmann

Dem Rechtsanwalt Jürgen Rieger waren, nachdem der Volksverhetzungsparagraph 130 Strafgesetzbuch (StGB) im Jahr 2005 um einen Absatz 4 verschärft worden war, seine jährlichen Heß-Gedenkkundgebungen in Wunsiedel aufgrund dieser neuen Bestimmung verboten worden.

Seine dagegen gerichtete Klage war im Juni 2008 in letzter Instanz vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) abgewiesen worden, wogegen er unter anderem wegen grundgesetzwidriger Einschränkung seiner Meinungsfreiheit Verfassungsbeschwerde erhoben hatte.

Diese hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem am 4. November veröffentlichten Beschluß zurückgewiesen (1 BvR 2150/08). Die wichtigsten Eckpunkte dieser umstrittenen Entscheidung werden hier in bündiger Kürze vorgestellt und erläutert. 

Paragraph 130 Absatz 4 StGB: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, daß er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.“ 

Aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 2009: 

„Geschützt sind von Art. 5 Abs. 1 GG auch Meinungen, die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen … Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG heraus.“ (Ziffer 50 des Beschlusses) 

Kommentar: Das BVerfG hält die Meinungsfreiheit seit eh und je hoch. Das „Lüth-Urteil“  von 1958 nennt sie den „unmittelbarsten Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit“ und „eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt“; der ungehemmte Kampf der Meinungen sei „das Lebenselement einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung“; daran haben das Gericht selbst und die Rechtswissenschaft festgehalten. Deshalb ist das obige Zitat an sich nichts Überraschendes; tausend ähnliche ließen sich ihm zur Seite stellen.

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„Indem § 130 (4) StGB an die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft anknüpft und sie …unter Strafe stellt, greift die Vorschrift in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein.“ (Ziffer 51 des Beschlusses) 

Kommentar: Dieser Satz ist weniger selbstverständlich, als er klingt, denn zu Paragraph 130 (3) StGB (Verbot der sogenannten Auschwitzlüge) wird immerhin die Meinung vertreten, dieses richte sich nur gegen die Verbreitung unzutreffender Tatsachen, keineswegs etwa „falscher Meinungen“. Hier konstatiert das BVerfG also (wie übrigens zuvor schon das Bundesverwaltungsgericht), daß die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird.

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„§ 130 (4) StGB ist kein allgemeines Gesetz im Sinne des Art 5 (2) GG.“ (Ziffer 53 des Beschlusses) 

Kommentar: Dieser knappe Satz hat es in sich, denn nach der Verfassung findet die Meinungsfreiheit ihre Grenzen in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, und das sind nur solche meinungsneutralen Inhalts, die also nicht auf  bestimmte – etwa politisch unliebsame, unerhörte, falsche oder sonst verpönte – Meinungen zielen. Das entwickelt der Senat in mehreren Textziffern – durchaus überzeugend.

Paragraph 130 (4) StGB stellt aber Meinungsäußerungen unter Strafe, die eine bestimmte Haltung zum Nationalsozialismus ausdrückten (Ziff. 61), keine vergleichbaren anderen auch, wozu der Beschluß (in Ziff. 59, 63) auch an das 1994 in Art. 3 (3) GG eingefügte Verbot erinnert, wegen seiner politischen Anschauungen jemanden zu „diskriminieren“.

Dies alles mag selbstverständlich klingen; dennoch scheinen diese Feststellungen hier deshalb fundamental zu sein, weil das Bundesverwaltungsgericht seine angegriffene Entscheidung (in seinen Textziffern. 19 bis 21) just damit begründet hatte, daß Paragraph 130 (4) StGB ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 (2) GG sei. Da er diese Meinung mit Recht verwirft, wird – so sollte man erwarten – der Senat die Verfassungswidrigkeit des fraglichen Gesetzes nun feststellen.

„§130 (4) StGB ist auch als nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 (1) und (2) GG vereinbar. Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, ist Art. 5 (1) und (2) GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes in den Jahren zwischen 1933 und 1945 Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent.“ (Ziffer 64 des Beschlusses)

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Kommentar: Hier tritt an die Stelle der Argumentation ein politischer Kommentar, der ihre Richtung abrupt umdreht.

In verstehbarer Sprache besagt er: An sich sind „meinungbezogene“ – nichtallgemeine – Verbote als „Sondergesetze“ nach Art. 5 GG verfassungswidrig. Das gilt aber nicht für den Sonderfall der „Gutheißung“ des NS-Regimes, weil dergleichen so verfassungswidrig ist, daß es noch nicht einmal eigens im Grundgesetz stehen muß.

Denn dieses Verbot – als Einschränkung der Meinungsfreiheit – ist der Verfassung schlechthin „immanent“. Diese politische Auslassung wird dann wiederholt (etwa Ziff. 65, 66, 81, 85) und zu einer geradezu dramatischen Tonlage gesteigert: „Die Befürwortung dieser Herrschaft ist in Deutschland ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens nach innen mit friedensbedrohendem Potential.

Insofern ist sie mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar und kann nicht zuletzt auch im Ausland tiefgreifende Beunruhigung auslösen…“. Das Verbot eines Sondergesetzes, das bisher unstreitig galt, „kann für diese die geschichtsprägende Identität der Bundesrepublik betreffende … einzigartige Konstellation keine Geltung beanspruchen“ (Ziff. 66).

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„… Auch die … Ausnahme vom Allgemeinheitserfordernis meinungsbeschränkender Gesetze aufgrund der Einzigartigkeit der Verbrechen der historischen NS-Gewalt- und Willkürherrschaft … öffnet hierzu (erg.: zum staatlichen Zugriff auf Gesinnung, Ziff. 67) keine Türen, sondern beläßt die Verantwortung für die notwendige Zurückdrängung solch gefährlicher Ideen der Kritik in freier Diskussion … “ (Ziffer 68 des Beschlusses) 

Kommentar: Dies ist einer der Versuche des Senats, den Strom von Verboten, der durch die nun weit geöffneten Schleusentore strömen könnte, wieder zu bändigen und die Entscheidungsfolgen nicht völlig aus der Hand zu verlieren (dazu auch  Ziff. 72, 74, 77, 85). Systematik und Gehalt der hin- und herpendelnden Grund-, Neben- und Gegensätze bleiben einstweilen aber unergründlich.

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Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

JF 49/09

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