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„Uns geht die Puste aus“: Warum Kommunen nun im Schuldenberg versinken

„Uns geht die Puste aus“: Warum Kommunen nun im Schuldenberg versinken

„Uns geht die Puste aus“: Warum Kommunen nun im Schuldenberg versinken

Ein verfallenes ehemaliges Krankenhaus in Chemnitz: Viele Kommunen können wegen der hohen Schulden ihre Gesundheitsversorgung nicht mehr aufrechterhalten. (Themenbild/Symbolbild)
Ein verfallenes ehemaliges Krankenhaus in Chemnitz: Viele Kommunen können wegen der hohen Schulden ihre Gesundheitsversorgung nicht mehr aufrechterhalten. (Themenbild/Symbolbild)
Ein verfallenes ehemaliges Krankenhaus in Chemnitz: Viele Kommunen können wegen der hohen Schulden ihre Gesundheitsversorgung nicht mehr aufrechterhalten. Foto: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt
„Uns geht die Puste aus“
 

Warum Kommunen nun im Schuldenberg versinken

Es sind Milliarden Euro, die in den Budgets der Kommunen fehlen. Nun zieht der Deutsche Städte- und Gemeindebund Bilanz – und rechnet mit der Bundespolitik ab.
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Rottenburg am Neckar muß sich verschulden. „Uns geht die Puste aus“, räumt die grüne Stadtratsfraktion unumwunden ein. Was Stephan Neher, der CDU-Oberbürgermeister der württembergischen 45.000-Einwohner-Stadt als „Haushaltsoffensive“ ankündigt, bedeutet die erste Kreditaufnahme seit zehn Jahren. In Balve, einer Stadt im Sauerland, redet sich die CDU die Situation schön: „Krisen bieten auch Chancen.“ Nur 13 von 427 NRW-Kommunen konnten ausgeglichene Etats verabschieden. Laut KfW-Kommunalpanel sind sie insgesamt mit sieben Milliarden Euro verschuldet.

Selbst in Dresden, das 2006 seinen gesamten kommunalen Wohnungsbestand für fast eine Milliarde Euro an den US-Investor Fortress verkaufte, um schuldenfrei zu sein, wird über eine Neuverschuldung nachgedacht. Niedersachsens Städte fordern eine „Reform“ der Schuldenbremse. Die Kommunen erledigten 25 Prozent der staatlichen Aufgaben, erhielten aber nur 14 Prozent der Steuereinnahmen, kritisiert Jürgen Krogmann (SPD), Präsident des Niedersächsischen Städtetags und Oberbürgermeister von Oldenburg: „Es kann nicht sein, daß die kommunale Ebene sich immer weiter verschuldet, während Bund und Land sich der Einhaltung der Schuldenbremse rühmen.“

„Ausgepreßt wie eine Zitrone“

Das Finanzierungsdefizit der Kommunen betrage insgesamt mehr als 17 Milliarden Euro, der wahrgenommene Investitionsrückstand liege bei 186 Milliarden Euro, wobei sich dieser Wert in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt hat, warnt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB). „Wir steuern in verschiedenen Bereichen auf Kipp-Punkte zu, an denen ein bislang funktionierendes System irreversibel Schaden nimmt. Wenn Städte und Gemeinden nicht mehr handlungsfähig sind, steht unser demokratisches Gemeinwesen am Abgrund“, schreiben DStGB-Präsident Uwe Brandl und Hauptgeschäftsführer André Berghegger: „Wir leben seit dem Jahr 2002 von der Substanz. Der Werteverzehr bei der kommunalen Infrastruktur, also bei Schulen, Sportstätten oder Straßen, beträgt jeden Tag 13 Millionen Euro.“

Verschuldet sind auch die Landkreise. André Schröder, CDU-Landrat von Mansfeld-Südharz, fehlen selbst die 600.000 Euro, um das Deutschlandticket im Verkehrsverbund weiter anbieten zu können. Dabei ist der 55jährige eigentlich ein Profi im Auffinden von Geldquellen, er war bis 2019 Finanzminister von Sachsen-Anhalt. Der Deutsche Landkreistag (DLT) vermeldet für 2024 ein Rekorddefizit aller 294 Kreise von 2,6 Milliarden Euro. Man habe kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem durch gesetzlich verordnete Ausgaben.

„Alle Schrauben, an denen auf unserer Ebene gedreht werden kann, sind schon längst am Anschlag. Die Landkreise sind ausgepreßt wie eine Zitrone“, erklärte DLT-Präsident Achim Brötel in der Welt. „Insbesondere in unseren Sozialhaushalten reichen die Ansätze vielfach nicht aus“, so der CDU-Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises. Er verlangt eine Verdopplung des kommunalen Mehrwertsteueranteils von zwei auf vier Prozent (von 8,2 auf 17,5 Milliarden Euro), ein Ende des Bürgergeld-Bezugs für Ukrainer und eine Reform der Sozialleistungen – daß seit 2015 Millionen Kostgänger aus aller Welt nach Deutschland kamen, denen eine Vollversorgung zusteht, verschweigt Brötel.

Kommunen müssen 80 Milliarden Euro für Soziales ausgeben

Mehr Mehrwertsteuer für die Kommunen bedeutet weniger für Bund und Länder. Doch deren Finanzierungsdefizit lag in den ersten drei Quartalen des Jahres 2024 bei 58,2 bzw. 7,3 Milliarden Euro. Daran können auch Richter nichts ändern. Dennoch hat das Oberverwaltungsgericht Magdeburg den Haushalt des Mansfeld-Südharz-Kreises für rechtswidrig erklärt, da den Städten und Gemeinden „eine finanzielle Mindestausstattung“ bleiben müsse.

Mansfeld-Südharz und der Salzlandkreis haben inzwischen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie berufen sich dabei auf Artikel 28 und ihr Recht auf Selbstverwaltung. Andere Kreise haben sich der Klage angeschlossen. Das Thema ist für Karlsruhe aber nicht neu. 2019 haben der Kreis Kaiserslautern und die Stadt Pirmasens eine ähnliche Verfassungsbeschwerde eingereicht, über die noch nicht entschieden wurde.

Den kommunalen Unmut hat der DStGB nun in einem Forderungskatalog an die künftige Bundesregierung unter dem Slogan „Starke Kommunen möglich machen“ kanalisiert. Immer neue Aufgaben, hohe Standards und Fachkräftemangel überfordern die Ressourcen, heißt es darin. Ursachen seien eine überbordende Bürokratie, ausgelöst von Vorschriften der EU, des Bundes und der Länder, sowie immer mehr Aufgaben, die den Kommunen übertragen würden, ohne daß es eine Gegenfinanzierung gebe. Allein bei den Sozialausgaben gebe es jährliche Anstiege im zweistelligen Prozentbereich. „Wir werden im Jahr 2025 erstmals mehr als 80 Milliarden Euro für diesen Bereich aufwenden müssen“, rechnen die DStGB-Funktionäre Brandl und Berghegger vor.

Lauterbachs Reform gefährdet zahlreiche Kliniken

Die Sozialleistungen müßten „zielgenauer und effizienter“ gestaltet werden. Die Tatsache, daß „kaum noch finanzielle Kapazitäten verbleiben, um die Infrastruktur in Deutschland zu sanieren, geschweige denn zu modernisieren, sollte deutlich mehr Alarmbereitschaft auf allen politischen Ebenen hervorrufen“. Überall, von der Straße über die Schulen bis hin zu den Sportstätten, mache sich der Substanzverlust bei der technischen und bei der sozialen Infrastruktur deutlich bemerkbar.

Zu letzterem gehören auch die kommunalen Kliniken. Diesbezüglich hatte Bayerns Landkreistagspräsident Thomas Karmasin, seit 1996 CSU-Landrat von Fürstenfeldbruck, kurz vor Weihnachten seinen Ministerpräsident Markus Söder vor einer „dramatischen Unterversorgung“ gewarnt. Das CSU-geführte Gesundheitsministerium erkenne nicht im Ansatz die „politische Sprengkraft“, die vom Überlebenskampf etlicher Kliniken im Freistaat ausgehe. Doch die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) passierte dank Unionsstimmen im November 2024 auch den Bundesrat. Das Netz der etwa 1.700 Krankenhäuser in Deutschland dürfte damit in den kommenden Jahren spürbar kleiner werden.

„Streichen, kürzen, schließen“ oder höhere Gebühren

„Es braucht eine Rückbesinnung auf Kernaufgaben, mehr Eigenverantwortung und eine kritische Überprüfung bestehender Standards, um Vertrauen in den Staat und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern“, verlangt der DStGB. Forderungen, die auch Bundeskanzler Olaf Scholz vertraut sind. Im Dezember hatte er sich die Klagen von zwei Dutzend Oberbürgermeistern in seinem Amtssitz angehört. Auf über 154 Milliarden Euro hätten sich 2023 die Schulden der Gemeinden und Gemeindeverbände summiert, berichteten diese. Scholz versprach, die am stärksten verschuldeten Kommunen von ihren Altschulden zu befreien. Doch die Finanzausstattung der Kommunen ist Ländersache.

Inzwischen kommt weiteres Ungemach auf die Kommunen zu. Die Gewerkschaft Verdi und der Beamtenbund verlangen acht Prozent mehr Einkommen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, mindestens aber 350 Euro pro Monat. Dazu unter anderem drei zusätzliche freie Tage und einen weiteren für Gewerkschaftsmitglieder. Dies würde entweder zu Stelleneinsparungen führen oder man müsse „streichen, kürzen, schließen bei den kommunalen Angeboten“, sagte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer der Bild.

Es gibt aber auch noch eine andere Alternative, auf die Götz Ulrich, Präsident des Landkreistages Sachsen-Anhalt aufmerksam macht: „Höhere Gebühren, die der Bürger für Verwaltungsleistungen zahlen muß – zum Beispiel für einen Personalausweis, für die Autozulassung oder die Abfallentsorgung.“

Aus der JF-Ausgabe 04/24.

Ein verfallenes ehemaliges Krankenhaus in Chemnitz: Viele Kommunen können wegen der hohen Schulden ihre Gesundheitsversorgung nicht mehr aufrechterhalten. Foto: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt
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