KIEL. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, hat mehr Unterstützung für die Ukraine und eine höhere Erwerbstätigkeit bei älteren Personen gefordert. „Wir haben viel zu lange getrödelt“, kritisierte der 50jährige die kürzlich beschlossenen Mehrausgaben für Verteidigung.
„Die erste Zeitenwende war im Nachhinein betrachtet nicht einmal eine Zeitlupenwende“, sagte Schularick dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Trotz aller Rhetorik ist unsere Unterstützung für die Ukraine mickrig, wir reden aktuell von etwa 0,15 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts.“ Dies sei „eher ein Rundungsfehler als ein klares Bekenntnis für die Ukraine“.
Erst der Eklat im Weißen Haus zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sowie die Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz hätten höhere Rüstungsausgaben in Deutschland ermöglicht.
Schularick fordert mehr Investitionen in Rüstung
Im Ersten Golfkrieg habe Deutschland den USA und ihren Alliierten „in einem Jahr das Fünffache“ bereitgestellt. Er verstehe daher die heutige Aufregung in der Bevölkerung nicht und machte die schlechte Kommunikation von Politikern dafür verantwortlich. Investitionen in Verteidigungstechnologie böten aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers Chancen.
Es wäre verkehrt, „gedanklich in die Zeiten des Kalten Krieges und zu Panzerarmeen“ zurückzukehren, da die Welt nicht stehengeblieben sei, führte Schularick aus. „Auf die Bundesrepublik trifft das vielleicht sogar ein wenig zu, aber wir sehen im Nahen Osten oder in der Ukraine, daß vieles nicht mehr so ist, wie es mal war.“ Der IfW-Präsident sieht im Verteidigungssektor für Europa Aufholmöglichkeiten, die im zivilen Bereich verloren gegangen seien.
Dazu gehörten der militärische Ausbau der Künstlichen Intelligenz, Raketentechnologie und Robotik. Später komme die Entwicklung der Technologien dem zivilen Sektor zugute. „KI-gestützte Robotik beispielsweise könnte einer alternden Gesellschaft in vielen Bereichen helfen“, sagte der Volkswirt. „Und wir werden auch so etwas wie Starlink bauen müssen.“ Starlink ist das von Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX entwickelte Satellitennetzwerk, das einen weltweiten Internetzugang anbietet.
IfW-Präsident: Deutschland soll seine Wirtschaft mehr spezialisieren
Schularick betonte: „Starlink hat mit all den tausenden Satelliten, die da oben sind, etwas mehr als zehn Milliarden Dollar gekostet. Der zusätzliche S-Bahn-Tunnel, der gerade in München gebaut wird, wird mehr kosten.“ Dies zeige, daß nicht nur hohe finanzielle Mittel notwendig seien, solche Projekte umzusetzen. Die Vereinigten Staaten profitierten von der „Abschreckung durch Stärke“, die viele wirtschaftliche Projekte absichere. „Daß wir in Europa in Unsicherheit und in Angst leben, ist insofern unsere Entscheidung“, schlußfolgerte Schularick. Zudem könnten Verteidigungsausgaben zu ökonomischem Wachstum führen, was „den Sozialstaat stabilisieren kann“.
Um Deutschlands Wirtschaft zukunftssicher zu machen, plädiert der 50jährige unter anderem für eine Spezialisierung der Chemieindustrie – weg von einer Produktion der Grundstoffchemie. Da Deutschland bald beim klassischen Maschinenbau von China überholt werde, sollten Fortschritte in der Biotechnologie und Hochpräzisionsmedizintechnik genutzt werden. Es brauche allerdings nicht nur Geld, sondern auch Entbürokratisierung und Deregulierung. Andernfalls, prognostizierte Schularick, „bleibt es bei einem Strohfeuer“.
Alte Leute würden zu wenig arbeiten
Zudem warnte der Wirtschaftsexperte vor einer Belastung der jungen Generation, etwa durch eine Wehrpflicht. Er ist der Meinung, „junge Leute sind sowieso schon die Leidtragenden eines Bruchs des Generationenvertrages“. Dies zeige die aktuelle „zutiefst ungerechte Umverteilung von Jung nach Alt“ bei der Rentenversicherung. Das Problem sei laut Schularick nicht eine faule junge Generation, sondern „die geringe Erwerbsbeteiligung bei den Alten“.
Vorbild seien skandinavische Länder, in denen „die Erwerbsbeteiligung bei den über 60jährigen um gut zehn Prozentpunkte“ höher liege. Auch Frauen, „die in Teilzeit beschäftigt sind“, würden aus Sicht des IfW-Präsidenten zu wenig arbeiten. „Das liegt auch an der fehlenden Infrastruktur bei der Kinderbetreuung, weswegen man da genauer hingucken muß.“ Erschwerend käme das Ehegattensplitting hinzu, das ebenso ein Fehlanreiz für weniger Arbeit darstelle. (rsz)