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Infrastruktur: Das Dilemma mit den Schuldenregeln

Infrastruktur: Das Dilemma mit den Schuldenregeln

Infrastruktur: Das Dilemma mit den Schuldenregeln

Der Bundestag lockert die Schuldenbremse und legt einen neuen Infrastrukturfonds auf. Studien warnen: Die Neuverschuldung übersteigt die zulässigen EU-Grenzen deutlich. Eine neue Schuldenkrise droht – und der Kapitalmarkt könnte schneller reagieren als Brüssel. Baustelle vor Berliner Reichstag: Darf aus dem Infrastrukturfonds doch kein Euro fließen? Foto: IMAGO / Kirchner-Media
Der Bundestag lockert die Schuldenbremse und legt einen neuen Infrastrukturfonds auf. Studien warnen: Die Neuverschuldung übersteigt die zulässigen EU-Grenzen deutlich. Eine neue Schuldenkrise droht – und der Kapitalmarkt könnte schneller reagieren als Brüssel. Baustelle vor Berliner Reichstag: Darf aus dem Infrastrukturfonds doch kein Euro fließen? Foto: IMAGO / Kirchner-Media
Baustelle vor Berliner Reichstag: Darf aus dem Infrastrukturfonds doch kein Euro fließen? Foto: IMAGO / Kirchner-Media
Infrastruktur
 

Das Dilemma mit den Schuldenregeln

Der Bundestag lockert die Schuldenbremse und legt einen neuen Infrastrukturfonds auf. Studien warnen: Die Neuverschuldung übersteigt die zulässigen EU-Grenzen deutlich. Eine neue Schuldenkrise droht – und der Kapitalmarkt könnte schneller reagieren als Brüssel.
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In seiner letzten Sitzung am 21. März 2025 lockerte der alte Bundestag die grundgesetzliche Schuldenbremse, die bislang nur ein strukturelles, d.h. konjunkturbereinigtes Haushaltsdefizit des Bundes von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) vorsah. Neu hinzugekommen sind verteidigungs- und sicherheitsbezogene Ausgaben oberhalb von einem Prozent des BIP, die keiner Kreditobergrenze unterliegen. Außerdem wurde ein außerbudgetärer Schuldenfonds für zwölf Jahre mit eigener Kreditermächtigung in Höhe von 500 Milliarden Euro für zusätzliche Infrastrukturinvestitionen geschaffen. Zudem haben die Bundesländer zusammen einen Kreditspielraum von maximal 0,35 Prozent des BIP erhalten.

Die Nutzung der neuen Verschuldungsspielräume könnte jedoch an den EU-Fiskalregeln scheitern. Ausgehend von einem jährlichen nominalen Wachstum des BIP von drei Prozent (zwei Prozent Inflation, ein Prozent reales Wachstum), Ausgaben für Rüstung von vier Prozent des BIP (3,5 Prozent für Verteidigung, 0,5 Prozent für die sonstigen „verbundenen Zwecke“ inklusive Unterstützung der Ukraine) und der vollen Ausnutzung weiterer verfassungsmäßiger Kreditspielräume ergeben Berechnungen von Bernd Lucke (Uni Hamburg) und eigene Berechnungen im Zeitraum 2025 bis 2036 eine Nettoneuverschuldung von Bund und Ländern von jährlich 4,7 Prozent des BIP – deutlich mehr als die maximal drei Prozent, die nach den Fiskalregeln der EU zulässig sind.

Damit läge die Schuldenstandsquote 2036 bei 89 Prozent gegenüber derzeit etwa 63 Prozent und somit weit oberhalb der zulässigen 60 Prozent. Nach Auslaufen der Kreditermächtigung für das Sondervermögen Infrastruktur 2036 würde die jährliche Nettoneuverschuldung (Defizitquote) unter den getroffenen Annahmen immer noch rund 3,7 Prozent betragen und langfristig in eine Schuldenstandsquote von 127 Prozent münden – ähnlich hoch wie Italien mit aktuell 135 Prozent. Eine Studie von Armin Steinbach und Jeromin Zettelmeyer (Brussels European and Global Economic Laboratory/Bruegel) kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Für nominale Wachstumsraten zwischen zwei und drei Prozent jährlich und Sicherheitsausgaben von 2,5 bis 3,5 Prozent des BIP geben sie langfristige Schuldenstandsquoten von 62 bis 143 Prozent des BIP an.

Bruegel-Studie sieht keinen Spielraum für Infrastrukturfonds

Nach den gerade reformierten EU-Fiskalregeln ist Deutschland gemäß seiner Schuldentragfähigkeitsvorgabe zudem verpflichtet, einen jährlichen Primärüberschuß von mindestens 0,06 Prozent des BIP bis 2028 zu erwirtschaften. Das heißt, die Differenz aus Steuereinnahmen und staatlichen Ausgaben von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen muß leicht positiv sein. Der Unterschied zur Defizitquote besteht darin, daß Zinsausgaben im Primärsaldo unberücksichtigt bleiben, da sie nicht zu den Kernausgaben zählen. Um die Staatsschulden insgesamt zu senken, müßte der Primärüberschuß folglich größer sein als die Zinsausgaben. Die Bruegel-Studie kommt zum Ergebnis, daß demnach aus dem 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturfonds kein Euro fließen darf.

Die Aufrüstungspläne und die angekündigten zusätzlichen Infrastrukturinvestitionen drohen insofern an den Schuldenregeln auf europäischer Ebene zu scheitern. Doch die EU-Kommission hat bereits Hilfestellung in Aussicht gestellt. Auf Antrag dürfen die Mitgliedstaaten die sogenannte nationale Ausweichklausel (NEC) ziehen. Zwölf Staaten, darunter Deutschland, haben diese Lockerung beantragt. Sie ermöglicht bis 2028 zusätzliche Verteidigungsausgaben von jährlich 1,5 Prozent des BIP, die nicht auf die nationalen Schuldenstandsquoten angerechnet werden.

Doch auch hier droht Ungemach, denn die europäisch definierten Verteidigungsausgaben sind enger gefaßt als die durch die Bundesregierung und die Nato angegebenen. Zudem gibt die Bruegel-Studie auch unter dieser gewährten Lockerung keine Entwarnung. Vielmehr müßte im Bundeshaushalt 2025 an anderer Stelle gespart werden, um die geplanten Verteidigungsausgaben oberhalb der NEC-Klausel von 1,5 Prozent des BIP zu stemmen.

Es droht eine neue europäische Schuldenkrise

Strukturreformen wären der Königsweg, um mehr reales Wachstum zu erzeugen. So sieht der Internationale Währungsfonds im Länderbericht für Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Staaten Effizienzpotentiale im Gesundheitswesen, einen überdurchschnittlichen Anteil an Sozialausgaben, mögliche Einsparungen von einem Prozent des BIP bei umweltschädlichen Subventionen, Mehreinnahmen durch Steuern auf Waren und Dienstleistungen (Verbrauchsteuern) sowie der Schließung von Schlupflöchern bei der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Demgegenüber gehen die Vorschläge seitens verschiedener Mitgliedstaaten in Richtung von EU-Gemeinschaftsschulden für Rüstung und Infrastruktur.

Diese würden nicht auf die nationalen Schuldenquoten angerechnet, erhöhten aber gerade für Deutschland die Haftungsrisiken. Des weiteren könnten die EU-Schuldenregeln generell gelockert werden, so beispielsweise der Referenzwert für die Verschuldung von 60 auf 90 Prozent des BIP angehoben werden. Auch könnte der Rückführungspfad bei Überschreiten der 60-Prozent-Grenze zeitlich gestreckt werden. Doch während die Bewilligung der NEC-Klausel lediglich eine Stimmenmehrheit benötigte, wäre für die geänderten Maastricht-Kriterien Einstimmigkeit erforderlich.

Die Lockerungen würden tendenziell die staatlichen Defizite erhöhen beziehungsweise die Primärsalden verschlechtern. Die Schuldentragfähigkeit und Solvenz der Länder wären noch gefährdeter als sie es derzeit bereits für einige Länder sind. Letztendlich würde der Kapitalmarkt in Höhe der Anleihezinsen das Ausfallrisiko bewerten, bis schließlich der Kreditzugang für insolvenzbedrohte Schuldenstaaten verloren geht und in eine erneute Euro-Staatschuldenkrise münden könnte. Gegen den Markt kann sich auch die EU nicht stellen.


Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Aus der JF-Ausgabe 20/25.

Baustelle vor Berliner Reichstag: Darf aus dem Infrastrukturfonds doch kein Euro fließen? Foto: IMAGO / Kirchner-Media
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