Nach den mageren Corona-Jahren 2020/21 ging es bei Mercedes-Benz schnell wieder aufwärts: Der globale Autoabsatz stieg 2022 von 2,32 auf 2,45 Millionen, der Umsatz von 133,9 auf 150 Milliarden Euro, und der Gewinn vor Zinsen und Steuern (Ebit) kletterte von 16 auf 20,5 Milliarden Euro – und das nicht nur wegen der Inflation und trotz Lieferengpässen und Rußlandsanktionen.
Voriges Jahr kam die Ernüchterung: Absatz (2,49 Millionen Pkw) und Umsatz (153,2 Milliarden Euro) stiegen nur marginal. Der lukrative US-Absatz stagnierte 2023 bei 342.240 Fahrzeugen – und der Konzerngewinn fiel auf 19,7 Milliarden Euro. Derzeit scheint es noch schlechter zu laufen: Von Januar bis April 2024 wurden in Deutschland nur 85.656 Mercedes-Pkws neu zugelassen – das waren 7,1 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Fokussierung auf E-Autos ist schuld an Mercedes-Misere
Das erinnert an den Sanierungsfall Ford: Der US-Autobauer setzte nur noch 33.959 Pkws ab (-7,6 Prozent). An der Autokonjunktur liegt es nicht: Mercedes-Hauptkonkurrent BMW legte beim heimischen Absatz um 16,5 Prozent auf 75.175 Fahrzeuge zu, Škoda um 15,9 Prozent auf 64.343. Weltmarktführer Toyota (globaler Autoabsatz 2023: 10,3 Millionen), der in Deutschland wegen seines reduzierten Modellangebots nur im Mittelfeld agiert, steigerte seine Verkäufe (einschließlich Lexus) um 23,2 Prozent auf 30.871 Stück.
Hauptursache für die Mercedes-Misere ist die künstliche Fokussierung auf die Elektromobilität (JF 9/24). Die entwickele sich langsamer als erwartet, klagte Konzernchef Ola Källenius. Daher werde nun auf die für 2028 geplante neue Plattform MB.EA für die elektrischen Mercedes-Spitzenmodelle (S- und E-Klasse) verzichtet. „Die Annahme, daß Elektroautos schnell die dominierende Antriebsform sein würden, hat sich – Stand jetzt – als zu optimistisch erwiesen“, konstatierte auch das Ingenieurmagazin VDI-Nachrichten.
Verbrennungsmotoren spielen noch länger als geplant eine Rolle
Neun von zehn Mercedes-Neuwagen sind immer noch Benziner oder Diesel – zunehmend allerdings ergänzt um einen Hybrid-Antrieb. Um Kosten zu minimieren, will Mercedes für seine künftigen E-Luxusmodelle nun teure Elemente wie Produktionsanlagen im Fahrzeugrohbau von der bereits bestehenden EVA2-Plattform übernehmen, statt alle Teile und Maschinen neu zu entwickeln. Toyota, dessen Konzernführung die europäische E-Euphorie nie teilte, arbeitet schon seit Jahren ähnlich. Der Deutsch-Schwede Källenius ist nun unter Druck. 2021 hatte er im Greta-Zeitgeist und angesichts der CO₂-Panik in der EU („Green Deal“; Flottenverbrauch) sowie bei wichtigen Aktionären (Stichwort: grünes ESG) dem Mercedes-Konzern seine „Electric only“-Strategie aufgezwungen. Doch im Februar räumte Källenius erstmals ein, daß sein grünes Ziel, bis 2030 komplett auf E-Autos umzusteigen, unrealistisch ist. Die Nachfrage nach E-Autos hinke hinter den Erwartungen her.
Sprich: Verbrennungsmotoren werden weiter gebaut. Man gehe nun davon aus, daß bis zum Ende des Jahrzehnts nur die Hälfte der verkauften Autos elektrifiziert sein werde, erklärte Källenius auf der Mercedes-Hauptversammlung. Als Reaktion auf die enttäuschenden Verkaufszahlen und wegen der „Wünsche unserer Kundinnen und Kunden“ kündigte er eine Überarbeitung der Modelle EQS und EQE an. Dennoch werde der Stuttgarter Autokonzern ab 2039 in der Gesamtbilanz der Neuwagen „klimaneutral“ sein: „Das steht fest“, versprach Källenius, die gewollte „Transformation könnte aber länger dauern als gedacht“.
BMW sieht sich bestätigt
Die geplante Umstellung auf MB.EA-Large sollte ermöglichen, von großen und hohen Akkus auf flachere Energiespeicher zu wechseln. Die Mercedes-Batterie sollte wie bei Tesla direkt in Unterboden und Fahrgestell integriert werden. Damit sollte Platz für zusätzliche Energiekapazität geschaffen werden, um die im Vergleich zu Verbrennern bescheidene Fahrzeugreichweite erhöhen zu können. Gleichzeitig steht Mercedes vor der teuren und äußerst komplexen Aufgabe, Verbrenner- und E-Autos gleichzeitig auf dem neuesten Stand zu halten. Konzerninsider berichten dem Handelsblatt von „maximaler Nervosität“, hoher Arbeitslast und kurzen Fristen – und all das bei sinkenden Gewinnen und auch Absatz, wenn die A- und B-Klasse wirklich auslaufen sollten.
Nicht nur die E-Skeptiker Toyota und Mazda, auch BMW ist mehrgleisig gefahren. In Sachen Umstellung auf die E-Mobilität sind die Münchner eher zurückhaltend gewesen. BMW-Chef Oliver Zipse hat das EU-Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 sogar als naiv bezeichnet. Dafür habe man „viel Gegenwind“ bekommen, „nun aber öffnen sich bei vielen die Augen“, erklärte Zipse in der FAZ. „Jeder internationale Wettbewerber, jeder Lieferant weiß: Die sind abhängig von einer einzigen Technologie. Damit hebeln Sie Marktmechanismen aus und machen zum Beispiel die dafür benötigten Rohstoffe deutlich teurer.“
China liegt auf dem Weltmarkt vorne
VW ist in einer ähnlichen Lage wie Mercedes. Der im Sommer 2022 geschaßte Vorstandschef Herbert Diess verordnete die politisch gewollte „Electric only“-Strategie schon 2018 – mit verheerenden Folgen auch für die Premium-Marke Audi. Bei den bewährten Benzinern, Dieseln und Hybriden – sie machen 85 Prozent des Absatzes aus – wurde gespart, was Kunden vergrault hat. Gleichzeitig können die vollelektrischen Fahrzeuge der ID-Reihe mit BMW und Mercedes aus unterschiedlichen Gründen nicht mithalten. Und die VW-Fertigungsqualität war zu Anfang ähnlich schlecht wie bei Tesla – doch der US-Konzern hat ein besseres Image und ergebene Fans wie das iPhone. Der für 1,2 Milliarden Euro zur reinen E-Auto-Fabrik umgebaute VW-Standort Zwickau mit seinen einst 9.000 Beschäftigten ist nicht ausgelastet – das Benzin-/Diesel-SUV Tiguan, der Golf Variant oder der VW Multivan haben hingegen Neuwagen-Wartezeiten von über einem halben Jahr.
Auf dem durch Subventionen und Verbote wachsenden Weltmarkt für E-Autos etabliert sich die chinesische Konkurrenz schneller als westliche Hersteller. Inzwischen ist BYD der größte E-Autobauer der Welt, vor Tesla und VW. „Gerade deutsche Autobauer müssen mindestens so viel innovativer und besser sein, wie sie teurer sind“, mahnt das Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Auf dem deutschen Markt gilt das aber noch nicht: BYD konnte von Januar bis April bei uns nur 576 E-Autos absetzen; MG Roewe, die Marke von SAIC Motor aus Shanghai, immerhin 4.001 – fast so viel wie die einstige US-Kultmarke Jeep (4.144).