Unterschiedlicher können Welten nicht sein. Auf der Regierungsbank im Bundestag sitzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er schreitet zum Rednerpult und stellt zum deutschen Gesundheitssystem und zur Lage der Krankenhäuser fest: „Wir haben als Bund in den letzten Jahren unsere Hausaufgaben immer gemacht.“
Draußen am Brandenburger Tor demonstrieren derweil Beschäftigte von Krankenhäusern gegen den drohenden Zusammenbruch des stationären Gesundheitssystems. Die Corona-Pandemie haben die Kliniken noch mit äußerster Kraftanstrengung überstanden. Doch Inflation und Energiekostensteigerung sowie höhere Löhne für das Personal, das ebenfalls Essen bezahlen und Heizkostenrechnungen begleichen muß, bringen das System nicht nur an die Belastungsgrenze, sondern darüber hinaus. Ein Teil der Krankenhäuser ist bereits in Konkurs, ein weiterer Teil wird folgen.
Gleichheit der Lebensverhältnisse hat Verfassungsrang
Und was macht Lauterbach? Statt für kurzfristige Stabilisierung zu sorgen, kommt er mit einem Transparenzgesetz daher, mit dem eine bundesweite Datenbank geschaffen werden soll. Dann können Patienten nach Kliniken suchen, die ihr Leiden am besten behandeln können. Sicher, wer einen chirurgischen Eingriff benötigt, der nicht eilbedürftig ist, kann einige Dutzend Kilometer zum Krankenhaus fahren. Doch in ländlichen Regionen – wo 70 Prozent der Deutschen leben – muß eine umfassende und flexible Versorgung gerade bei akuten Erkrankungen in unmittelbarer Nähe garantiert sein.
Die Gleichheit der Lebensverhältnisse hat Verfassungsrang. Dazu gehört auch eine ordentliche medizinische Versorgung und nicht eine Krankenhausreform, die kleineren Krankenhäusern einen Teil der Abteilungen streicht und nur noch Rumpf-Hospitäler übrigläßt, die sich zum Beispiel auf Darmerkrankungen spezialisiert haben und Herzinfarkte nicht mehr ausreichend behandeln könnten.
Während Lauterbach noch über mehr Transparenz in einem zusammenbrechenden System fabuliert und mit dem Internetportal ein „Bürokratiemonster“ (so der AfD-Abgeordnete Thomas Dietz) schaffen will, werden anderswo bereits Fakten geschaffen. Zwei Beispiele: Im bayerischen Schongau etwa soll das örtliche Krankenhaus geschlossen werden, die Leute sollen ins 25 Kilometer entfernte Weilheim fahren. Ein Patient, der mit einer Gehirnblutung ins Schongauer Krankenhaus kam und dort gerettet wurde, schilderte, daß er schon den Transport bis Weilheim aller Wahrscheinlichkeit nicht überlebt hätte.
Ein anderer Fall spielt sich im Münsterland in Nordrhein-Westfalen ab. Im Krankenhaus in Lüdinghausen steht die Notfallversorgung vor der Schließung. Patienten mit eiligst behandlungsbedürftigen Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Aortenaneurysma müssen künftig weite Transporte entweder ins Ruhrgebiet oder in die Nachbarstadt Dülmen in Kauf nehmen. Akut erkranken sollte man in Schongau oder Lüdinghausen nicht mehr. Das Dramatische ist: Dies gilt auch für Hunderte andere Städte und Gemeinden, die von der Notfallversorgung durch Klinikschließungen regelrecht abgehängt werden. Denn im Notfall zählt jeder Kilometer.
Rettungsdienst arbeitet an den Grenzen der Kapazität
Hinzu kommt: Der Rettungsdienst in ganz Deutschland arbeitet an den Grenzen der Kapazität. Es fehlt an Ärzten, Sanitätern und an geeigneten Fahrzeugen, die ausreichend ausgestattet sind. In einigen Landkreisen etwa hat der Notarzt ein Medikament an Bord, das bei Lungenembolien hilft, in anderen Landkreisen nicht. Das ist nicht hinnehmbar. Und was Lauterbach vermutlich noch gar nicht begriffen hat: Wenn die Fahrten für den Rettungsdienst zwei- bis dreimal länger werden, müssen mehr Fahrzeuge und Rettungsteams auf die Straße. Der Gesundheitsminister muß zusammen mit den Bundesländern hier für zusätzliche Kapazitäten sorgen und nicht mit einer zentralistischen Gesundheitsplanung einen Kahlschlag in der deutschen Krankenhauslandschaft herbeiführen.
Sicher ist: Das System Krankenhaus ist mit Lauterbachschen Vorhaltevergütungen und mit Fallpauschalen nicht zu retten. Diese erneute Reform wird genauso scheitern wie ihre Vorgänger. Denn die Krankenhäuser sind in den letzten Jahrzehnten kaputtgespart worden. Das begann schon unter einem Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU), setzte sich mit Ulla Schmidt (SPD) und Jens Spahn (CDU) fort und erreicht gerade mit Lauterbach einen traurigen Höhepunkt. Eine Voraussetzung für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem ist jedoch: mehr Geld.
Krankenhäuser können nicht privatwirtschaftlich organisiert werden
Mehr Geld bedeutet aber nicht, daß einfach die Geldschleusen geöffnet und Leistungen pauschal erhöht werden. Zunächst muß die unsägliche Privatisierung beendet werden. Ein Krankenhaussystem kann genausowenig privatwirtschaftlich organisiert werden wie die Deutsche Bahn. Die Entwicklung der Aktienkurse von Krankenhauskonzernen wie Fresenius (Helios Kliniken) in den letzten Jahren spricht Bände. Nachdem die letzten Reserven aus Häusern und Personal herausgepreßt wurden, um Dividenden auszuschütten, ist inzwischen nichts mehr zu holen. Der Kurs stürzt ab, die Anleger sind auf der Flucht. Zurück bleiben erschöpfte Ärzte und Pfleger sowie Patienten, die eine unzureichende Behandlung fürchten.
Bund und Länder müssen die Ausgaben für das Gesundheitswesen erhöhen – und zwar dringend. Dafür bedarf es nicht höherer Steuern, sondern Einsparungen an anderer Stelle. Der Staat hat kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem. Zuerst muß im überbordenden Staatsapparat ein Stellenabbau erfolgen – pauschal um mindestens zehn Prozent in allen Ministerien und im Bundestag. Überflüssige Zahlungen wie an Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungshilfe an Staaten, die sie nicht benötigen (etwa China), sind zu streichen. Und die EU-Nettobeiträge von mindestens 20 Milliarden Euro im Jahr gehören gekürzt. Es kann nicht sein, daß Deutschland als Sozialamt Europas fungiert und dann noch anderen Staaten, die sich in der Flüchtlingsfrage unsolidarisch zeigen, die Haushaltslöcher stopft, während hierzulande Patienten nicht behandelt werden können.