Die aggressive Gesundheitspolitik der Großen Koalition hat jetzt eine adäquate Antwort erhalten: weg von der Vielfalt der Krankenversicherungen hin zu einer faktischen Einheitsversicherung. Die Bettelei dem Berliner Gesetzgeber gegenüber, man möge doch der Privaten Krankenversicherung (PKV) nicht die Geschäftsgrundlage durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz (WSG) mit dem Gesundheitsfonds (JF 5/08) entziehen, ist einem radikalen Gegenentwurf des Präsidiums des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gewichen. Die großen börsennotierten Versicherungsgesellschaften wie Allianz, Münchner Rück und Axa haben in einem vorab der Presse zugespielten – und inzwischen nach Protesten kleiner Gesellschaften teilweise redigierten – Diskussionspapier unter dem Titel „Soziale Sicherung 2020“ Reformvorschläge vorgelegt, die ebenfalls auf ein Ende des Geschäftsmodells der PKV hinauslaufen. Der Angriff der Großen Koalition auf die PKV würde mit den Vorschlägen der großen Drei im Versicherungslager ins Leere laufen. Zur Zeit sind 8,6 Millionen Bürger privat krankenvollversichert, 19,8 Millionen haben eine private Zusatzversicherung. Die privaten Krankenversicherungen werden künftig verpflichtet, diejenigen, die ihrer Versicherungspflicht bei einem PKV-Unternehmen nachkommen wollen, mindestens im neu eingeführten Basistarif ab Januar 2009 anzunehmen. Durch die damit erzwungene teilweise Abschaffung des am Risiko orientierten Versicherungsprinzips wird die Krankenvollversicherung kaum noch ein lukratives Geschäft für die großen Aktiengesellschaften sein. Es bietet sich deshalb an, die Vollversicherung aufzugeben und die bisher in der PKV Versicherten ihrem Schicksal zu überlassen: Mitglied in der Gesetzlichen Einheitsversicherung zu werden. Der Planungsstab in Ulla Schmidts Gesundheitsministerium muß – wie Wissenschaft und Wirtschaft – ein mittleres Erdbeben verspürt haben. Wenn die Schwergewichte der PKV einen medialen Versuchsballon dieser Art steigen lassen, muß davon ausgegangen werden, daß dahinter eine langfristige Strategie steckt. Auch die politischen PKV-Brandstifter im SPD-geführten Ministerium wissen, daß ein kurzfristiger Wegfall der Privatpatienten zu großen Verwerfungen im deutschen Gesundheitswesen führen würde. Der Wegfall der bisher gerne von den Politikern gesehenen zusätzlichen Querfinanzierung der kassenvertragsärztlichen Praxen und der Krankenhäuser durch die weitaus höhere Vergütung dieser Einrichtungen durch die PKV-Versicherten, hätte ein Sterben der ambulant tätigen und der stationären Leistungserbringer zur Folge. Wie und womit die Sicherstellung der ambulanten und stationären Versorgung dann gewährleistet werden kann, sollte sich der Planungsstab im Gesundheitsministerium schnellstens überlegen. Der bisherige Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wird dann in seiner bisherigen Üppigkeit nicht aufrechterhalten werden können. Und der ab 2009 einheitliche GKV-Beitragssatz zum Gesundheitsfonds wird wohl auf etwa 16 Prozent erhöht werden müssen (JF 23/08). Die Großen der PKV befänden sich mit ihren Plänen in einer komfortablen Position, wenn da nicht die kleinen Anbieter wären, die etwa als Versicherungsvereine vom Krankenvollversicherungsgeschäft leben. Debeka, Signal Iduna & Co. befürchten, daß sich die großen Aktiengesellschaften mit großen GKV-Kassen zusammentun und die Vereine im Regen stehenlassen. Sie halten das für ein größeres und bedrohlicheres Szenario als die Auswirkungen des WSG. Werden die Vorstellungen von Ulla Schmidt eins zu eins umgesetzt, sind es aber diese Versicherungsvereine, die als erste ihre Geschäftstätigkeit einstellen müssen. Noch haben sie die durch nichts gerechtfertigte Hoffnung, daß das Gesetz nicht so heiß umgesetzt wird, wie es gestrickt wurde. Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Gesundheitsministerin lassen bisher aber keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie zu keinerlei Kompromissen bereit sind. Dafür haben sie sich aus gutem Grund zu stark für das Gesetz gemacht: Es ist das einzig Verbindende in der Großen Koalition. Wenn hier auch noch Irritationen entstehen, ist die Koalition höchstwahrscheinlich am Ende. Bert Rürup, der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Genosse von Schmidt, hat Verständnis für den lancierten Vorstoß des GDV-Präsidiums. Das Konzept einer einheitlichen Basisversicherung („Grundschutztarif“) für alle Bürger ist seiner Ansicht nach dem geltenden System überlegen. Der entscheidende Vorteil sei die Abkoppelung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten durch eine Abkehr von den bisher einkommensabhängigen Beiträgen und die Aufhebung der unterschiedlichen Finanzierung von kapitalgedeckter PKV und umlagefinanzierter GKV. Das vorgestellte Modell hat einiges, das an die seit Januar 2006 in den Niederlanden eingeführte private Einheitsversicherung erinnert. Grundlage ist ein Gesetz der damaligen Mitte-Rechts-Koalition, das die vollständige Privatisierung des Versicherungssystems einleitete. Eine allgemeine Versicherungspflicht für medizinische Grundleistungen bei freier Wahl des Versicherers ist deckungsgleich mit dem Vorschlag von Allianz, Münchner Rück und Axa. Das bisherige System von GKV und PKV soll ebenfalls durch eine verpflichtende Grunddeckung für alle Einwohner ersetzt werden. Diese würde zunächst von gesetzlichen und privaten Anbietern vorgehalten, langfristig aber nur von privaten. Daneben verkaufen die privaten Versicherer Zusatzprämien für nicht vom „Grundschutztarif“ abgedeckte Risiken. Im deutschen Modell soll die Finanzierung einkommensunabhängig („Kopfpauschale“) erfolgen. Eine gesellschaftlich erwünschte Umverteilung zwischen hohen und niedrigen Einkommen soll bei den Krankheitskosten in Zukunft nicht mehr über das Krankenversicherungssystem, sondern über das Steuer-Transfer-System erfolgen. Der Krankenversicherungsschutz der Kinder wird nach dem Vorschlag als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe durch Steuermittel aufgebracht. Die holländische Lösung zeigt einen anderen Weg, der aber auch in Deutschland gangbar wäre: Ein Teil wird durch einkommensabhängige Beiträge in Höhe von 6,5 Prozent, ein weiterer Teil durch eine Gesundheitspauschale finanziert. Foto: PKV-Unternehmen: Sehr unterschiedliche Interessenlagen