Die derzeitige Finanzkrise hat fundamentale Auswirkungen auf die private Geldwirtschaft. „Die Welt wird nicht wieder so werden wie vor der Krise“, sagt Finanzminister Peer Steinbrück. Um künftige Krisen zu vermeiden, seien „neue Verkehrsregeln“ für die Finanzmärkte erforderlich. Zwar auf einem anderen Blatt, aber seinerseits ebenfalls vor einem Umbruch steht das staatliche Finanzwesen. Die herkömmliche Kameralistik in der öffentlichen Verwaltung ist ein Auslaufmodell. Was die Privatwirtschaft in ihrer Buchhaltung schon lange anwendet, hält Einzug nun auch in Haushaltsführung und Rechnungswesen der öffentlichen Hand. Die Kameralistik weicht der doppelten Buchführung in Konten (Doppik), die auch kaufmännische Buchführung genannt wird. Beide Formen sind alt, beide haben Vor- und Nachteile. Aber die kameralistische Buchführung bietet unter anderem keine vollständige Übersicht über Vermögen und Schulden der öffentlichen Hand, erfaßt nur unvollkommen, was staatliche Leistungen wirklich kosten. Sie ist fehleranfälliger, sie liefert weniger Information. Auch gilt die Kameralbuchhaltung (der Begriff leitet sich ab vom lateinischen camera: Staatskasse) als sehr kompliziert, was ihre Anhänger freilich anders sehen. Die Doppik bildet hingegen nicht nur die Zu- und Abgänge an Geldmitteln ab, sondern auch den Ressourcen-Verbrauch sowie die Abschreibungen. Die Kameralistik kennt Abschreibungen nicht. Dabei sind sie ein wichtiger Indikator für die Abnutzung von Vermögenswerten wie den öffentlichen Gebäuden und dem Straßennetz. Die Privatwirtschaft muß die Abschreibung zur Finanzierung von Ersatzinvestitionen erwirtschaften, die öffentliche Hand bisher nicht. Ebenso werden mit der Doppik die Pensionsverpflichtungen („implizite Schulden“) erfaßt, für die dann Rückstellungen (wie für unterlassene Instandhaltungen) zu bilden sind. Die Doppik versetzt die Gebietskörperschaften in die Lage, wie Unternehmen zu handeln, und ermöglicht ihnen eine nachhaltige Ausgaben- und Investitionspolitik. Immerhin sind sich alle Bundesländer einig geworden, das öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen auf die Doppik umzustellen. Musterentwürfe für das neue kommunale Haushaltsrecht hat die Innenministerkonferenz schon 2003 verabschiedet. Zahlreiche Kommunen und einige Länder haben mit der Umstellung teils schon begonnen, teils ist sie auch schon abgeschlossen. Andere wollen bei der Kameralistik bleiben oder gehen über zur „Erweiterten Kameralistik“. Bis 2012 soll alles vollendet sein. Das Ziel der Doppik ist, für Politik und Verwaltung mittels betriebswirtschaftlicher Methoden ein Zahlenwerk nach kaufmännischen Gesichtspunkten bereitzustellen, Finanz-, Ertrags- und Vermögenslage umfassend darzustellen, Kostentransparenz herzustellen, die Allgemeinheit mit staatlichen Leistungen wirtschaftlicher und effektiver zu versorgen, Vermögen und Schulden vollständig zu erfassen, um eine Erosion des Eigenkapitals zu verhindern und damit die Nachhaltigkeit staatlicher Leistungen zu sichern, die Interessen späterer Generationen zu wahren, also nicht zu ihren Lasten zu wirtschaften (intergenerative Gerechtigkeit). Alles dies klang auch kürzlich beim Forum der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften (DHV) in Speyer an. Dort ging es um die Reform des Rechnungswesens in Bund, Ländern und Gemeinden. Doch deren gutes Ende ist immer noch nicht absehbar. Das jedenfalls stellte gleich im ersten Vortrag Edmund Fischer klar. Wohl hält er die Reform für notwendig, „aber bei der Umsetzung gibt es einige Probleme“, so der Professor von der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Das ist eher untertrieben. Fischer selbst führt unter anderem die in der Reformdiskussion erheblichen Verständigungsschwierigkeiten zwischen den „Generalisten der politischen Steuerung“ und allein elf verschiedenen und „wenig homogenen“ Gruppen von Spezialisten an. Auch den Anspruch auf Gerechtigkeit für die nachfolgenden Generationen sieht er bisher nicht hinreichend erfüllt: „Rückstellungen für Pensionsverpflichtungen sind notwendig und geboten.“ Vor allem kritisiert er „zuviel Artenvielfalt“ bei den sich entwickelnden Einzellösungen. „Hier bedarf es dringend der Harmonisierung und Standardisierung.“ Aber bei allen Mitspielern sei das Interesse daran gering. Er wünscht den Reformierern eine Kraft wie die des Deutschen Zollvereins im 19. Jahrhundert. Werner Gatzer, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, ist zwar nicht gegen die Doppik, aber gegen die Doppik beim Bund. Zwar sieht er auch beim Bund Reformbedarf: Aber bei aller Abwägung von Vor- und Nachteilen zwischen Kameralistik und Doppik sowie „nach unseren ernüchternden Erkenntnissen“ aus den Erfahrungen anderer Länder glaubt Gatzer, den Reformbedarf für den Bund mit der „Erweiterten Kameralistik“ zu bewältigen. Das Grobkonzept sei fertig, die Resonanz positiv, nun komme die Feinarbeit. Allerdings hat das Grobkonzept, wie der Vizepräsident des Bundesrechnungshofs (BRH), Norbert Hauser, klarstellte, „viele Fragen naturgemäß noch nicht beantwortet“, und im Feinkonzept „sind noch viele Klippen zu umschiffen“. Für wichtig hält der BRH eine stärker ergebnisorientierte Haushaltsrechnung, und „Vermögen und Schulden müssen genauer erfaßt werden“. Der Bund habe darauf zu achten, daß die Aussagekraft seiner Vermögensrechnung nicht geringer sei als die von den Ländern mit Doppik. Der BRH tritt klar für die Doppik im öffentlichen Rechnungswesen ein. Aber der Übergang zur Doppik allein genügt nicht. Finanz-, Ertrags- und Vermögenslage müssen so transparent werden, daß Vergleichbarkeit entsteht, daß der Bürger sehen kann, welche Länder und Kommunen mit seinem Steuergeld besser und welche schlechter wirtschaften. Denn das Mehr an Information, das die Doppik liefert, dient, wie DHV-Professor Holger Mühlenkamp sagte, vor allem einem Schutzzweck, nämlich den Bürger vor der Ausbeutung durch den Staat zu bewahren. Vergleichbarkeit entsteht allerdings nur dann, wenn Länder und Gemeinden in ihrer Doppik mit gleichen, standardisierten Regeln arbeiten. Daß ebendies nicht geschieht, führte Mühlenkamp an vielen Beispielen vor. Die Unterschiede würden geradezu „gepflegt“. Dafür, wie der Haushalt auszugleichen ist, listete er allein 31 unterschiedliche Regelwerke auf. Es gebe einen „ganzen Zoo von Vorschriften“, es herrsche „babylonische Sprachverwirrung“, die Verwaltungen verstünden sich gar nicht mehr. Für den Steuerzahler sei das skandalös: „Das kostet doch Geld. Wo ist denn der Nutzen für diese Unterschiedlichkeiten? Wie rechtfertigen die Politiker das — wenn es denn in der Öffentlichkeit wirklich einmal wahrgenommen werden sollte?“ Verbal geschickt pflegen Länder und Kommunen ihr spezielles Regelwerk zu begründen, den wohl wirklichen Zweck nennen sie lieber nicht: Die Vergleichbarkeit ist gar nicht gewollt. Die politisch Verantwortlichen scheuen den dann möglichen öffentlichen Rechtfertigungszwang. Ein Heilkraut gegen die Neigung, sich vor der Verantwortung zu drücken, ist die Doppik jedenfalls nicht. Silvia Hutter: Vergleich zwischen Kameralistik und doppelter Buchhaltung. VDM Verlag, Saarbrücken 2008, broschiert, 56 Seiten, 49 Euro Harald Köhler: Umstellung des Rechnungswesens von der Kameralistik auf die Doppik. Diplomica Verlag, Hamburg 2007, broschiert, 94 Seiten, 48 Euro Foto: Verwaltungsbeamter: „Das kostet doch Geld. Wo ist denn der Nutzen für diese Unterschiedlichkeiten?“