Nach einer aktuellen Statistik des Umweltbundesamtes (UBA) ist die Menge der nach Deutschland importierten genehmigungspflichtigen Abfälle im Jahr 2002 stark angestiegen. Sie betrug 3,9 Millionen Tonnen, was einer 50prozentigen Steigerung entspricht. Ein Jahr davor waren es „nur“ 2,65 Millionen Tonnen gewesen. Der größte Teil der Importe ging nach Nordrhein-Westfalen und kam aus den angrenzenden Niederlanden. Experten vermuten einen direkten Zusammenhang mit den drastisch erhöhten Entsorgungsgebühren in Holland. Das rot-rote Kabinett in Schwerin genehmigte 2001 sogar den Import von 30.000 Tonnen italienischem Hausmüll, die auf der Deponie Ihlenberg im strukturschwachen Westmecklenburg entsorgt wurden (siehe JF 46/01). In den süddeutschen Ländern hingegen überwiegt weiterhin der Export. Außerdem ging der deutsche Export bei genehmigungspflichtigen Abfällen in den letzten beiden Jahren zurück. Import von 180.000 Tonnen Hühnertrockenkot Der importierte Müll läßt sich in folgende Segmente unterteilen (in Tonnen): 1,1 Millionen gemischte Materialien, wie Sortierreste und gemischte Verpackungsabfälle, 400.000 behandeltes Holz, 260.000 Rückstände aus Abfallverbrennungsanlagen, 220.000 Klärschlamm, 200.000 Schlacken aus der Eisen- und Stahlindustrie, 180.000 Hühnertrockenkot, 120.000 Rückstände aus der Aluminiumerzeugung sowie 70.000 Tonnen Altöl. Die vorherrschenden Entsorgungsarten beim Müllimport sind die energetische Verwertung (900.000 Tonnen), die thermische Behandlung in Müllverbrennungsanlagen (300.000 Tonnen), die Rückgewinnung von Metallen (500.000 Tonnen), die Verwendung als Düngemittel in der Landwirtschaft (340.000 Tonnen), die Deponierung (73.000 Tonnen), die Einlagerung in Untertagedeponien (60.000 Tonnen) und die Verwendung als Bergversatzmaterial (170.000 Tonnen). 550.000 Tonnen wurden einer Zwischenbehandlung, wie zum Beispiel dem Sortieren, unterzogen. So weit die Fakten. Natürlich fragt man sich, wie es zu dem ausufernden Mülltourismus kommen kann. Denn kein Bürger dürfte wohlwollend zur Kenntnis nehmen, daß seine Heimat Zielpunkt „genehmigungspflichtiger“ – das heißt gefährlicher – Abfälle aus anderen Staaten wird. Zumal kaum ein anderes Land so viel Aufwand betreibt wie Deutschland, um seinen Bürgern ein „Müllvermeidungsbewußtsein“ einzuimpfen. Die Ursache für die internationale Verschiebung von Müll ist die von der Welthandelsorganisation (WTO) forcierte und überwachte Globalisierung. Denn ein Pfeiler der WTO ist die Übereinkunft bezüglich der Liberalisierung der Dienstleistungen (GATS/General Agreement on Trade in Services). Dieser Bereich ist in zwölf Sektoren untergliedert, und einer davon umfaßt den Bereich der „Umweltdienstleistungen“, unter dem vor allem dem Abfallmanagement und der Abwasserbehandlung ein großes ökonomisches Gewicht beigemessen wird. Die WTO schätzte bereits 1996 den Weltmarkt für diese Dienstleitungen auf mehr als 167 Milliarden US-Dollar, wovon 102 Milliarden US-Dollar allein für den Abfallbereich veranschlagt wurden. Kein Wunder also, daß das Müllgeschäft von den privaten Ver- und Entsorgern als Goldgrube entdeckt wurde, aus der die staatlichen Unternehmen gefälligst verschwinden sollen. Allerdings wird beim GATS das Vorsorgeprinzip nicht berücksichtigt, denn der freie Handel hat absolute Priorität gegenüber der Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Zudem umfaßt der Kernbereich der „Umweltdienstleistungen“ Angebote von „End of pipe“-Dienstleistern, also Betreibern von Deponien oder Abfallverbrennungsanlagen. WTO: „Ungerechtfertigte Handelshemmnisse“ Bestehen in einem Land besonders hohe Umwelt- und Sozialstandards, könnten sie bei einem „Notwendigkeitstest“ der WTO als „ungerechtfertigte Handelshemmnisse“ eingestuft und außer Kraft gesetzt werden. Zwar kennt die WTO auch „umwelt- und gesundheitsschutz-motivierte Handelsbeschränkungen“, aber nur „sofern diese notwendig sind und sie zu keiner willkürlichen und ungerechtfertigten Diskriminierung zwischen Ländern, in denen gleiche Verhältnisse bestehen, oder zu einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels führen“. Damit ist klar, daß im Zweifel immer für den „freien Handel“ entschieden würde. Somit gerät auch die 1989 unterzeichnete Basler Konvention über gefährliche Abfälle in Gefahr, als diskriminierendes Handelshemmnis von der WTO verurteilt zu werden. Denn die Konvention hat sich zum Ziel gemacht, gefährliche Abfälle zu reduzieren, grenzüberschreitende Abfalltransporte zu kontrollieren, Abfälle ortsnah zu entsorgen und die illegale Verbringung gefährlicher Abfälle zu verhindern. Das klingt zwar gut, aber die Praxis sieht doch etwas anders aus. So besteht zum Beispiel ein Exportverbot für gefährliche Abfälle aus Industriestaaten in Entwicklungsländer im Rahmen dieser Konvention seit Mitte der neunziger Jahre, aber die Ratifizierung dieses Beschlusses erfolgte erst in wenigen Staaten. Er ist daher praktisch wirkungslos. Problematisch ist auch das Streben nach Profitmaximierung bei privaten Dienstleistern. Zwar ist diese Haltung in vielen Bereichen angemessen und daher in keiner Weise zu verurteilen, aber bei der Müllentsorgung könnte sich der Blick durch die „Dollarbrille“ als fatal erweisen. Ein Negativbeispiel für Privatisierung lieferte die Stadt Köln beim Verkauf ihrer Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB), bei dem jedes wirtschaftliche Risiko bei der öffentlichen Hand bleiben sollte – nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Unvergessen ist auch der Skandal vom Juni 2002, als ein bayerischer Landwirt seine Felder als Entsorgungsfläche für Giftmüll nutze. Nach der neuesten Statistik wurden 340.000 Tonnen als „Düngemittel“ und 133.000 Tonnen Müll in Deponien „entsorgt“. Vielleicht ist es besser, wenn wir nie erfahren werden, um welche Stoffe es sich genau handelte.