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Der deutsche Hang zum Ausklinken

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Der deutsche Hang zum Ausklinken

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Vor genau einem Jahr hat die EU eine Verordnung über die Kennzeichnungspflicht des sogenannten Genfood erlassen. Danach müssen Lebensmittel, die zu mehr als 0,9 Prozent aus gentechnisch veränderten Organismen (GVO) bestehen, deutlich gekennzeichnet werden. Dem Verbraucher wird so die Möglichkeit gegeben, Genfood zu meiden. Jetzt soll der Bundestag die EU-Vorgabe in ein deutsches Gesetz fassen. Doch die Umsetzung stockt, weil eine Mehrzahl von Parlamentariern 0,9 Prozent für zu hoch hält. Nach Meinung von Rot-Grün und auch vieler Unionsabgeordneter sollten am besten gar keine gentechnischen Produkte in den Supermärkten auftauchen, aber zumindest schon bei der kleinsten Beimischung abschreckend markiert werden. Die Deutschen tendieren also dazu, sich im Alleingang aus der Grünen Gentechnik auszuklinken. In der vorigen Woche hat die Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften daher ein Memorandum veröffentlicht und jedem Abgeordneten des Bundestages und der Landtage zugeschickt. Der Präsident der Wissenschaftsunion, Gerhard Gottschalk, ruft die Parlamentarier auf, die „Tragweite ihrer Entscheidung zu überdenken“. Die geplante Gesetzesverschärfung sei ein „Innovationskiller und Arbeitsplatzvernichter“. Das Arbeitsplatz-Argument setzt jedoch schon voraus, daß genetisch manipulierte Nutzpflanzen mehr oder weniger harmlos sind. Denn es wäre wohl kaum eine sinnvolle Arbeitsbeschaffung, wenn Konsumenten unter dieser Ernährung reihenweise erkranken oder gar stürben. Dafür gibt es aber bisher nicht die geringsten Anhaltspunkte. Die Akademie-Wissenschaftler weisen darauf hin, daß nach allen Untersuchungen gentechnisch veränderte Lebensmittel keineswegs ungesünder seien als herkömmliche, ja selbst „Bio“-Produkte. Das ist wieder kein Argument, denn langfristige Folgen sind oft besonders fatal. Und bei dem, was sich die Biotechnik in den vergangenen Jahrtausenden geleistet hat, kann es kaum noch schlimmer kommen. Als beispielsweise der deutsche Chemiker Fritz Haber den Kunstdünger erfand, ließ er sich nicht träumen, daß er damit einen starken Bevölkerungsanstieg und indirekt die industrielle Revolution auslösen würde. „Unnatürlich“ ist fast alles, was wir essen und trinken Auch wer einst in der Jungsteinzeit mickrige Gräser durch gezielte Züchtung so zu verändern begann, daß unsere großen nahrhaften Ähren daraus wurden, hätte diese Vorstellung sicher unheimlich gefunden. Der Weinbauer wußte lange nicht, daß die winzigen Hefebakterien in seinen Diensten eine gefährliche und wohltuende Droge produzieren. Und Biotechnik ist im strengen Sinn auch die Bekämpfung von Krankheitserregern mit „Antibiotika“.
„Unnatürlich“ ist fast alles, was wir essen und trinken. Und bisher ist die Lebenserwartung dadurch immer nur gestiegen. Je mehr Technik in der Nahrung, desto gesünder leben wir. Doch worin besteht die Besonderheit der Grünen Gentechnik? Prinzipiell geht es darum, bestimmte fremde Gene in das Genom einer Pflanze einzufügen, um damit neue wünschenswerte Eigenschaften zu erzielen. Die Tomate soll nicht mehr so schnell matschig werden, Kartoffeln nicht mehr vom Kartoffelkäfer angegriffen werden, Reis soll ein bestimmtes zusätzliches Vitamin enthalten o.ä. Es ist also eine Züchtung im Schnellverfahren. Nichts anderes, als was der Mensch immer schon getan hat, nur technisch perfekter. Wer das Risiko übernommen hat, Schleierkraut und Zittergras in ein strotzendes Ährenfeld zu verwandeln oder aus dem bösen Wolf einen weißen Schoßhund zu machen, dürfte eigentlich mit der Gentechnik keine Probleme haben. Das Problem ist tatsächlich nicht das Risiko, sondern der mangelnde Bedarf. Angenommen, wir müßten wählen zwischen Genfood und einer Ernährung aus Dosen-Sauerkraut und Rotkohl, die Vorbehalte würden relativ schnell schwinden. Aber wir haben ja alles und das zu niedrigen Preisen. Warum also die Unsicherheit wählen? Es fehlt die nötige Motivation. Hans-Walter Heldt von der Universität Göttingen sagt deshalb auch: „Es ist letztlich irrelevant, ob in Deutschland gentechnisch veränderte Lebensmittel produziert werden. Es geht vielmehr darum, daß wir unser Forschungspotential erhalten.“ Was heißt das? Würde der Richtwert weiter herabgesetzt, könnte kein Institut mehr wagen, GVO zu testen, denn jedesmal müßte man mit einer Schadenersatzklage von Betrieben rechnen, die ihre Produkte wegen des Verdachts auf Kontamination (angeblich) nicht mehr verkaufen könnten. Zumal auch Fleisch von Tieren kennzeichnungspflichtig sein soll, die Genmais oder ähnliches gefressen haben. Dies läßt sich aber im Körper der Tiere nicht nachweisen, also entsteht ein unendlicher Raum für Klagen und Unterstellungen. Und während sich die Deutschen um ihre Reinheitsideale streiten, wird anderswo mit der Gentechnik Geld verdient. Aus den gleichen Gründen hat die gesamte Industrie der Lebensmittelenzyme gerade erst Deutschland verlassen. Wäre sie wirklich giftig, könnten wir uns darüber nur freuen, Doch wahrscheinlicher ist, daß wir einfach zu ängstlich und bequem sind, um etwas zu fördern, was nicht unmittelbaren Wählerinteressen dient.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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