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Arbeitslose doppelt betrogen

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Bislang gibt es in Deutschland abgesehen vom Bauhauptgewerbe und im öffentlichen Dienst keine Mindestlöhne. Wegen der Querelen um die „Hartz IV“-Gesetze kommen aber immer mehr Politiker auf die Idee, ihre Einführung zu fordern. Den diesjährigen Anfang machten die Grünen, deren Chef Reinhard Bütikofer die gesetzliche Vorgabe von Mindestlöhnen forderte, wenn auch „nicht zentralistisch über einen Leisten geschlagen“, so doch branchenspezifisch und nach Regionen differenziert. Auch SPD-Parteichef Franz Müntefering denkt nun über einen gesetzlichen Mindestlohn nach – trotz Bedenken aus den Gewerkschaften, denen dafür ihre Tarifautonomie beschnitten werden müßte. SPD-Vize Kurt Beck forderte Mindestlöhne, weil künftig mehr Leute aus den EU-Ostländern auf den hiesigen Arbeitsmarkt drängten. Da werde sich die Tarifpolitik im unteren Segment „sehr schwertun“, warnte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) könnte Becks Vorschlag auf Grundlage des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen von 1952 umsetzen – er lehnt dies aber vehement ab. Auch CDU und FDP sprechen sich – wenigstens offiziell – klar gegen die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne aus. Bundeskanzler Gerhard Schröder hält sich noch bedeckt und sieht „gegenwärtig keinen Handlungsbedarf“. Der Hinweis auf existierende Mindestlohngesetze im Ausland hilft bei der Abwägung des Für und Wider wenig. Zwar schreiben 18 von 25 EU-Staaten einen gesetzlichen Mindestlohn vor, der zwischen 121 Euro (Lettland) und 1.403 Euro (Luxemburg) liegt. Großbritannien, Frankreich und Irland folgen dabei wie die USA dem Modell, Mindeststundenlöhne vorzuschreiben. Sie liegen bei über sechs Euro die Stunde und so über manch deutschem Tariflohn. Thüringer Wachpersonal bekommt laut Tarif 4,32 Euro die Stunde, Floristen in Schleswig-Holstein 7,66 Euro. Darauf werden Sozialabgaben fällig. Das Monatseinkommen des Arbeitnehmers bleibt damit unbestimmt. Länder, die einen gesetzlichen Mindestlohn verordnen, verzichten auch auf die deutsche Eigenart eines zwischen Unternehmern und Gewerkschaften ausgehandelten Flächentarifvertrags. Andere Länder kennen weder Flächentarife noch Mindestlöhne. Die sachlichen Argumente für Mindestlöhnen beruhe auf drei Vermutungen. Zum ersten wird behauptet, nur so sei sichergestellt, daß die Beschäftigten ein Lohnniveau erreichen, welches das Existenzminimum übersteigt. Zweitens wird darüber hinausgehend angenommen, daß nur so die Arbeitnehmer zu motivieren wären, eine qualitativ ausreichend gute Arbeit zu leisten. Das dritte Argument vermutet ein generelles Markversagen bei der Ermittlung eines effizienten Lohns im unteren Bereich. Dieser Vermutung widersprechen naturgemäß die Vertreter einer rein marktwirtschaftlichen Lösung. Gerade Mindestlöhne würden verhindern, daß ein effizienter Lohnsatz ermittelt wird. Die marktwirtschaftlich orientierten Gegner eines Mindestlohns haben die ökonomische Logik auf ihrer Seite. Mindestlöhne bleiben ohne Wirkung, wenn sie unterhalb des Lohnes angesetzt sind, der sich im freien Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bildet. Eher wären dann die Arbeitgeber geneigt, den Arbeitssuchenden ihre wahre Lohnzahlungsbereitschaft zu verschweigen, was zumindest vorübergehend funktionieren könnte. Liegt der Mindestlohn dagegen über dem Marktlohn, wirkt er wie eine staatliche Lohnfestsetzung. Die Arbeitgeber wären nicht bereit, auch nur einen Cent mehr Lohn zu zahlen. Da mit zunehmender Lohnhöhe mehr Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt drängen, übersteigt deren Zahl bei einem wirksamen Mindestlohn die Anzahl der Arbeitssuchenden, die bei dem niedrigeren Marktlohn Beschäftigung suchen und auch finden würden. Bei den Arbeitgebern ist der Zusammenhang umgekehrt. Je höher der Lohn, um so niedriger die Zahl der Einstellungen. Liegt der Mindestlohn über dem Marktlohnsatz, werden somit weniger beschäftigt als beim Marktlohn. Die Arbeitssuchenden werden deshalb doppelt betrogen. Zum einen finden weniger eine Stelle als bei einer marktlichen Lösung, zum anderen drängen mehr Arbeitslose nach einer Stelle als ohne Vorgabe des überhöhten Mindestlohns. Die wenigen, die bei Mindestlöhnen eine Stelle erwischen, besitzen zwar einen Einkommensgewinn gegenüber der Markt-Lösung, die zu kurz gekommenen Arbeitssuchenden sind aber die Totalverlierer. Nicht zu vergessen, daß die Unternehmer auch einen erheblichen Teil ihres Gewinns abgeben müssen. Gesamtwirtschaftlich entsteht dadurch ein volkswirtschaftlicher Wohlfahrtsverlust. Zudem bewirkt der Mindestlohn, daß die weniger produktiven Stellen für geringqualifizierte Arbeitslose nicht mehr besetzt werden. Darunter leidet aber in einem komplexen Produktionsablauf die gesamte Produktion, so daß auch Arbeitsplätze für höher Qualifizierte teilweise wegfallen. Die daraus resultierende geringere Produktionsmenge schmälert zusätzlich die volkswirtschaftliche Wohlfahrt. Das Argument des Marktversagens, das Verfechter staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft gerne auch bei anderen Interventionswünschen anbringen, beruht im wesentlichen auf der Behauptung, für marktliche Lösungen müsse bei Anbietern und Nachfragern eine vollständige Information über die Zustände auf dem Gesamtmarkt vorliegen. Auf den Arbeitsmarkt bezogen, müsse damit nicht nur der Arbeitgeber genau wissen, welcher Lohn zur Zeit in seiner Branche und in seiner Region gezahlt wird, auch dem Arbeitssuchenden müsse dies bekannt sein, wenn er nicht vom Arbeitgeber „betrogen“ werden will. Dem wird entgegengehalten, daß es diese Informationsvollkommenheit erstens noch nie auf irgendeinem Markt gegeben hat und zweitens auch der Staat sich dieses Wissen nicht anmaßen kann. Gerade deshalb sind ja die sozialistischen Planwirtschaften zusammengebrochen, die sich einbildeten, über dieses Wissen zu verfügen. Schließlich aber gehört es auch zur freien Entscheidung der Betroffenen, mit welcher Intensität sie Information über derzeit gezahlte Löhne einholen. Wie bei jeder anderen Kaufentscheidung liegt das Problem vor, ob ein aufwendiger Preisvergleich vorgenommen oder bequem das erstbeste Produkt gekauft wird. Wer nun glaubt, in Deutschland wären durch das Fehlen von Mindestlöhnen die Voraussetzungen für einen effizienten Arbeitsmarkt gegeben, irrt gewaltig. Mindestlohneffekte mit einem entsprechenden volkwirtschaftlichen Schaden wie Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtsverlust können auch ohne explizite Zahlenvorgaben entstehen. Flächentarifverträge, gesetzliche Arbeitsplatzvorschriften, staatliche Lohnnebenkostenfestlegungen und nicht zuletzt die Höhe der Sozialhilfeleistungen wirken wie Mindestlohngesetze. Erst ihre Beseitigung oder rigorose Beschneidung garantiert einen effizienten Arbeitsmarkt und damit eine nachhaltige Beseitigung der Arbeitslosigkeit.

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