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Von Berlin aus langsamer als 1939

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Von Berlin aus langsamer als 1939

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Gravierende Fragen hinsichtlich der Zukunft des Nahverkehrs wirft auch die Tatsache auf, daß insbesondere auf Teilstrecken in den neuen Bundesländern häufig erhebliche Sanierungsarbeiten vorgenommen wurden, auch wenn anschließend diese Strecken entweder vollkommen stillgelegt oder das Zugangebot stark beschnitten wird. Teilweise erfolgten Einstellungen, obwohl das zuständige Land Interesse am Betrieb anmeldete. Ein aktuelles Bespiel hierfür stellt die thüringische Teilstrecke Lauscha–Sonneberg dar. Zudem gibt es Strecken, auf denen wegen des schlechten Schienenzustandes der Verkehr schon seit Jahren ruht, die aber das entsprechende Land nach erfolgreichen Rentabilitätsprüfungen gerne weiterbetreiben würde. Während so auf der einen Seite erhebliche Summen in Projekte ohne Zukunft investiert werden, fährt die Bahn auf der anderen Seite einen harten Sparkurs, der zu einer nicht notwendigen Ausdünnung des Schienennetzes führt.

Weiterhin wird das Renommee der Bahn schon seit einigen Jahren von der stetigen Diskussion um das Prestigeprojekt "Bahncard" überschattet. Die nicht nur für Vielfahrer eigentlich äußerst attraktive Möglichkeit, den Fahrpreis um die Hälfte zu reduzieren, wird kaum zukunftsweisend vermarktet, sondern durch kleinliche Diskussionen um die Einschränkung des Geltungsbereichs, eine Reduzierung des Preisvorteils gegenüber dem "Normalfahrschein" auf lediglich 25 Prozent und überstürzte Neueinführungen, wie z.B. der EC-Zahlungsfunktion zum größten Teil zunichte gemacht. Abgesehen von den Preiserhöhungen und Gültigkeitsbeschränkungen von 13 auf 12 Monate bieten auch unsoziale Kaufbedingungen ständigen Anlaß zur Kritik. So ist sehr fraglich, warum ein geringverdienender Berufsanfänger den vollen Preis für seine "Bahncard" in Höhe von 260 Mark entrichten muß, während ein gutverdienender Rentner sich das gleiche Vergnügen für 130 Mark leisten kann. Auch die Halbierung des "Bahncard"-Preises für Ehepartner und neuerdings auch für Partnerschaften ohne Trauschein, aber mit gemeinsamer Adresse stiftete mehr Verwirrung als Nutzen.

Aber auch der Fernverkehr bleibt von Kritik von Fahrgastverbänden wie etwa Pro Bahn e.V. nicht verschont. Gravierende Ärgernisse sind u.a. die starke Reduzierung der (ohne Zugschlag nutzbaren) nächtlichen D-Zug-Verbindungen, die Einschränkung der Interregio-Verbindungen und die Verkürzung längerer Regionalexpreßverbindungen auf zwei oder gar drei Streckenabschnitte, wobei letzteres oft mit längeren Zwischenaufenthalten verbunden ist. Auch im grenzüberschreitenden Bereich werden die D-Züge seit Jahren mehr und mehr durch zuschlagpflichtige Verbindungen ersetzt, die allerdings grundsätzlich nicht in der Zeit zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen verkehren. Selbst die beliebte Nachtverbindung Berlin–Dresden–Prag–Preßburg–Plattensee bzw. Budapest wurde auf die Monate Juli/August reduziert, wobei der Zug nach neuem Streckenplan auch in diesem Zeitraum nicht mehr in der tschechischen Hauptstadt Station macht. Daß die Nachfrage jedoch nicht abgerissen ist, verdeutlicht die Tatsache, daß der Nachtzug nicht vollkommen eingestellt wurde, sondern nunmehr als "Ostexpreß" auf der Teilstrecke Prag–Brünn–Budapest–Bukarest weiterbetrieben wird.

Auch das Tarifsystem der Bahn macht selbst den eingefleischten Bahn-Befürworter immer wieder sprachlos. So ist beispielsweise nicht einzusehen, warum bei Streckenverkürzungen wie der Neubaustrecke Berlin–Hannover über Stendal statt über Magdeburg grundsätzlich die alte Kilometerzahl für die Berechnung des Fahrpreises ausschlaggebend ist. Während der "Umwegfahrer" über Magdeburg den alten Fahrpreis bezahlt, wird der "Kilometersparer" über Stendal in gleichem Maße zur Kasse gebeten. Grundsätzlich unklar ist auch, warum die Bahn mit der erhöhten Mineralölsteuer sowie der Ökosteuer belastet wird, während Binnenschiffahrt und Flugverkehr davon befreit sind.

Selbst beim vermeintlich größten Pluspunkt der Bahn, der schnellen Verbindung zwischen Großstädten, ist hinsichtlich der tatsächlichen Erfolge oft ein genaueres Hinsehen notwendig. So zählt zur Berechnung der Zeit, die ein Zug zwischen zwei Orten braucht, nicht die absolute Geschwindigkeit an sich, sondern auch die Zeit, die beispielsweise für die Ein- und Durchfahrten von Großstädten verbraucht wird. So ist es verständlich, daß beispielsweise der ICE z.B. im Berliner Ballungsraum aufgrund der hohen Verkehrsdichte, Lärmschutzwerten, aber auch dem kurzzeitigen Aufeinanderfolgen mehrerer Haltebahnhöfe die mögliche technische Höchstgeschwindigkeit natürlich bei weitem nicht erreichen kann. Beim Zeitvergleich auf Fernstrecken zwischen der heutigen Zeit und den dreißiger Jahren ergeben sich eher kuriose Bilder. So benötigt beispielsweise heute der ICE nach dem aktuellen Fahrplan vom Berliner Zoologischen Garten zum Leipziger Hauptbahnhof über zwei Stunden, während die schnellsten Züge vom Anhalter Bahnhof nach Leipzig nach dem Sommerfahrplan der Deutschen Reichsbahn von 1939 diese Strecke in nur anderthalb Stunden bewältigten.

Ob der Versuch, Teilstrecken verstärkt zu privatisieren, langfristig von Erfolg gekrönt sein wird, ist eher zu bezweifeln. Zum einen sind nur wenige Kunden bereit, für diese Strecken einen höheren Betrag zu bezahlen, sieht man von touristisch höchst attraktiven Bahnen wie z.B. der Harzquerbahn einmal ab. Doch auch der Blick auf andere Länder müßte hier eher Skepsis hervorrufen. So ist z.B. die in den neunziger Jahren privatisierte Bahn in Großbritannien wenig rentabel. In Japan gibt es neben Verluststrecken auch einige privatisierte "Filetstücke", auf denen die Gesellschaften hohe Gewinne verzeichnen. Doch stellt sich auf diesen (oftmals überlasteten) Bereichen die Frage, in welchem Maße eine notwendige Schienensanierung diese Gewinne amortisieren würde. Zudem ist nicht klar, ob der massiv angewachsene Betrieb eine Sanierung bei laufendem Verkehr überhaupt zuließe. Doch auch wenn dies gelänge, wäre immer noch offen, wer die Sanierungskosten in unbestimmtem Umfang tragen müßte, solange die Regierung immer noch Hauptanteilseigner ist. Es ist verständlich, daß ein nach rein marktwirtschaftlichen Kriterien operierendes Unternehmen diese Kosten scheut. Im Notfall wird daher eher auf Sicherheit verzichtet. Ähnlich ist auch die Situation in Deutschland. Letztlich müßte der Bund im Zweifelsfall die Kosten für notwendige Schienensanierungen tragen. Dies legt der Verfassungsparagraph 87e in Absatz 4 fest, der auch eine formale rechtliche Verpflichtung enthält.

Für Bahnchef Mehdorn gibt es also mehr als genug Aufgaben, die wahrlich auch die Kräfte eines Herkules nicht unterfordern würden. Doch auch bei großem Optimismus ist wohl nicht zu erwarten, daß sich die Bahn AG im nächsten Jahrzehnt tatsächlich in die "Gewinnzone" bewegt.

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