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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Die Ressourcen sind begrenzt

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Die Ressourcen sind begrenzt

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Wenn von einer Erfolgsgeschichte der Nato die Rede ist, wird der Blick in der Regel auf die ersten vier Jahrzehnte ihres Bestehens gerichtet. 1949 im Zuge des soeben ausgebrochenen Kalten Kriegs als Verteidigungsbündnis des Westens unter amerikanischer Ägide gegründet, konnte sie die ihr in die Wiege gelegte Aufgabe 1989 als gelöst betrachten. Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime Osteuropas verschwand auch die militärische Bedrohung, der es entgegenzutreten galt. Zum friedlichen Ausgang des Ost-West-Gegensatzes hat das Bündnis zwar nur einen Teil beigetragen, aber dieser ist nicht zu unterschätzen.

Die glaubwürdige Abschreckung ließ der Gegenseite die Risiken einer Eskalation so hoch erscheinen, daß Europa von einem neuerlichen Krieg verschont blieb, der insbesondere Deutschland nachhaltig verwüstet hätte. Auch in der Zeit, als die sowjetische Führung zu realisieren begann, daß ihr die Felle davonschwimmen würden, trat sie nicht die Flucht nach vorne in ein militärisches Abenteuer an, sondern wählte die Selbstaufgabe als schmerzvolle, aber pragmatische Alternative. Gedankenexperimente, nach der Erfüllung ihres ursprünglichen Auftrags könnte die Auflösung der Nato in Betracht gezogen werden, sind nach 1989 zwar verschiedentlich zur Diskussion gestellt, aber nie maßgeblich geworden. Das Bündnis bot dafür auch keinen Anlaß, da es im Sinne eines strategischen Nachsetzens sogleich damit begann, die Hand nach Osten auszustrecken.

Unter den durchaus nicht als euphemistische Verbrämung formulierten Maximen der Errichtung einer neuen gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur und einer Unterstützung der jungen Demokratien des Ostens wurden Institutionen wie der Euroatlantische Partnerschaftsrat und das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ als ein Warteraum geschaffen, in dem interessierte Staaten zügig an die Nato herangeführt wurden, um sie bei Eignung schließlich als Mitglieder in diese zu integrieren.

Über diese neue, nun eher politische als militärische Aufgabenstellung der Nato hinaus gab es zudem einen grundsätzlicheren Gesichtspunkt, der den Gedanken, das Bündnis könnte entbehrlich sein, gar nicht erst aufkommen ließ. Die in Artikel V des Washingtoner Vertrags fixierte gegenseitige Beistandsverpflichtung im Falle eines bewaffneten Angriffs mochte zwar angesichts der Auflösung des Warschauer Pakts merklich in den Hintergrund gerückt sein. Was aber sollte dazu motivieren, diesen Versicherungsschutz, der irgendwann wieder einmal von Bedeutung sein könnte, ohne Not preiszugeben?

Gerade für die einstigen Moskauer Satelliten war er das Attraktivitätsmerkmal schlechthin, um sich unter das Dach des Bündnisses zu begeben, damit neuerlichen imperialen Ansprüchen Rußlands von vornherein ein Riegel vorgeschoben wäre. Nicht zuletzt diese aus unterschiedlichen historischen Erfahrungen gespeiste Wahrnehmung von Bedeutung und Kernaufgaben der Nato ist es, die die heutige Heterogenität der seit 1999 von 16 auf in Kürze 28 Mitgliedstaaten angewachsenen Allianz erklärt – etwa hinsichtlich des Verhältnisses zu Rußland, der Aufnahme weiterer Mitglieder und der Führungsrolle der USA.

Die größer gewordene Heterogenität der Nato, zu der im übrigen auch die Schwerpunktverlagerungen und der Stilwandel der US-Außenpolitik wesentlich beigetragen haben, sind wiederum ein zentraler Grund für die Schwerfälligkeit, von allen Mitgliedern im Prinzip doch als notwendig anerkannte Weichenstellungen vorzunehmen. Auch wenn die Dominanz der USA qua ihres politischen, ökonomischen und militärischen Potentials weiterhin unbestreitbar ist,   handelt es sich beim Selbstverständnis der Nato, ein auf Einstimmigkeit basierendes Bündnis souveräner Staaten zu sein, doch um mehr als ein bloßes Lippenbekenntnis.

Aktuelle Blockaden führen dies vor Augen: Eine institutionelle Verdichtung der Zusammenarbeit von Nato und EU scheitert derzeit an der Zypern-Frage. Die Türkei stellt sich in der Nato, die (griechische) Republik Zypern in der EU jeglicher Veränderung des Status quo entgegen. Der im Grundsatz von allen anderen Mitgliedern längst abgenickte Nato-Beitritt Mazedoniens wiederum mußte wegen des griechischen Einspruchs bis auf weiteres vertagt werden, da Athen von Skopje eine Änderung des Staatsnamens verlangt.

Um eine Einschätzung davon zu gewinnen, welche Entwicklung die Nato in den nächsten Jahren wohl nehmen wird, ist es somit erforderlich, auf die auch durch diplomatischen Druck nicht wesentlich zu beeinflussenden Schranken zu blicken, die ihr einzelne Mitgliedstaaten setzen. Schwierigkeiten, einen aussagekräftigen und operablen Minimalkonsens zu erzielen, werden sich bereits einstellen, wo es lediglich darum geht, in Gestalt eines Grundsatzdokuments eine neue Papierlage zu schaffen, bei einer Aufgabe also, die Diplomaten gewöhnlich leicht von der Hand geht.

In den USA überwiegt im Obama-Rausch die Intention, eine radikale Erneuerung der Nato in Angriff zu nehmen: Im Sinne eines bis zur Beliebigkeit erweiterten Sicherheitsbegriffs soll sie neue Aufgaben übernehmen und zu deren Bewältigung über militärische Ressourcen hinaus auch mit zivilen ausgestattet werden. In den europäischen Staaten werden derartige Vorstellungen skeptisch zur Kenntnis genommen. Die Befürchtung, sich auf Verpflichtungen einzulassen, die sich später als politisch, finanziell und militärisch nicht erfüllbar herausstellen könnten, läßt sie zu einer evolutionären und damit berechenbareren Änderung der Nato tendieren.

Dem Formelkompromiß eines neuen Strategischen Konzepts, das der kommende Gipfel in Auftrag geben dürfte, werden diese Differenzen zwischen den USA und einer gewichtigen Zahl ihrer europäischen Partner mutmaßlich nicht anzumerken sein. Eine demonstrative Rückorientierung auf das Selbstverständnis eines bloßen Verteidigungsbündnisses für die euroatlantische Hemisphäre wäre ein Gesichtsverlust, den alle vermeiden wollen.

Die Nato wird den eingeschlagenen Weg zumindest auf dem Papier fortsetzen und sich als Sicherheitsorganisation definieren, die weltweit Bedrohungen dort entgegentreten möchte, wo sie ihren Ursprung haben. Auch in der Liste der „Herausforderungen“, denen man sich gegenübersieht und für die man folglich eine wie auch immer geartete Zuständigkeit reklamiert, wird man sich keine Beschränkungen auferlegen.

Klimawandel und Migration, Ressourcenverknappung und Armut dürften hier in Erkenntnis, daß nach dem „erweiterten Sicherheitsbegriff“ ja alles irgendwie mit allem zusammenhängt, genauso Eingang finden wie die klassischen Bedrohungen durch feindlich gesonnene, im Kern also diktatorisch verfaßte Staaten, Terrorismus und politische Instabilität in strategisch bedeutsamen Regionen. Auch der „ganzheitliche Ansatz“, daß militärische Machtprojektion nicht zum Erfolg führt, wenn sie nicht in ein politisches und ökonomisches Gesamtkonzept eingebunden ist, dürfte mühelos als gemeinsamer Nenner zu formulieren sein.

Die Probleme werden erst dann auftreten, wenn es das Strategische Konzept am praktischen Fall anzuwenden gilt: Handelt es sich um eine Bedrohung, auf die das Bündnis zu reagieren hat? Welche Mittel sollen zum Einsatz kommen, und welchen Beitrag können und wollen die einzelnen Mitglieder leisten? Ohne einen überraschenden Bewußtseinswandel aller Partner oder gar die Verständigung auf neue, alle bisherigen Verfahren revolutionierende Entscheidungsmechanismen dürfte auch mit einem neuen Strategischen Konzept in der Praxis alles beim alten bleiben und der Nutzen eines derartigen Dokuments sich somit in dem politischen Signal erschöpfen, daß die Nato ihren Willen zur Geschlossenheit nicht aufgegeben hat.

Wie wird das Bündnis der näheren Zukunft aussehen? Die Tür für weitere Mitglieder bleibt grundsätzlich offen, doch hinter die allermeisten der Aspiranten, die noch in Frage kämen, sind Fragezeichen der unterschiedlichsten Art zu setzen. Auf dem westlichen Balkan sind über Mazedonien hinaus Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien und der diplomatisch noch nicht einmal von allen Mitgliedern anerkannte Kosovo potentielle Kandidaten. In Osteuropa sind westlich Rußlands lediglich noch Weißrußland, die Ukraine und Moldawien weiße Flecken auf der Nato-Landkarte. Fern im Osten drängt Georgien auf eine Aufnahme in die Allianz.

Unter den traditionell „neutralen“ Staaten ist in Finnland und mit Abstrichen auch in Schweden eine zunehmende Bereitschaft zu erkennen, eine Mitgliedschaft in Erwägung zu ziehen. Der Parforce-Ritt der USA, einen zeitnahen Beitritt Georgiens und der Ukraine durchzusetzen, ist vorerst gestoppt. Beide Staaten haben durch innenpolitische Verwerfungen oder militärische Eskapaden selbst genügend Vorwände für all jene europäischen Mitglieder geliefert, die ihren Beitritt aus Rücksicht auf Moskau als inopportun ansehen.

Spätestens mit der Rückkehr Frankreichs in die militärische Integration und seinem daraus resultierenden stärkeren Gewicht im Bündnis dürften auch alle von Paris abgelehnten Spekulationen verstummen, die Nato könnte sich gar zu einer weltumspannenden Organisation entwickeln, der globale Partner wie Japan, Südkorea oder Australien angehören. Allein die Idee, im Zuge eines Nahost-Friedens die Existenz Israels durch eine Nato-Mitgliedschaft dauerhaft und glaubwürdig abzusichern, wird voraussichtlich im Gespräch bleiben.

Keine Bewegung zeichnet sich hinsichtlich des Verhältnisses zu Rußland ab, auch eine moderatere Politik Wa­shingtons wird hier die Widerstände in Osteuropa nicht brechen können. Eine Mitsprache Moskaus in Entscheidungen des Bündnisses wird nicht zugelassen und die Perspektive einer Mitgliedschaft, die Joschka Fischer ins Gespräch gebracht hat, nicht eröffnet werden. Entsprechend kann auch eine „Wiederbelebung“ des Nato-Rußland-Rats nicht mehr als eine Geste darstellen, an der Fortsetzung eines Dialogs interessiert zu sein, der allein die Probleme nicht zu überwinden vermag.

Was die Nato in naher Zukunft überhaupt bewegen kann, so sie denn politisch zur Formulierung eines gemeinsamen Willens in der Lage ist, wird durch ihre militärischen Ressourcen bestimmt. Der derzeitige Isaf-Einsatz in Afghanistan, der unter ihrer Führung steht, zeigt, welch enge Grenzen ihr gesetzt sind, wenn sie tatsächlich in einer fernen Weltregion operieren möchte. Der Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe in Gestalt der Nato Response Force blieb weit hinter den Absichtserklärungen zurück. Sie hat weder die geplante Stärke erreicht, noch lassen sich nationale Widerstände ohne weiteres überwinden, um sie flexibel einsetzen zu können.

Nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise erscheint es als unrealistisch, daß die Mitgliedstaaten mehr Mittel für ihre Streitkräfte in die Hand nehmen. Selbst die USA sind hier nach Jahren astronomischer Zuwachsraten einschneidenden Beschränkungen unterworfen. Globale Handlungsfähigkeit ist dem Bündnis am ehesten auf dem maritimen Gebiet zuzutrauen, womit es in gewisser Weise zu seinen Ursprüngen zurückkehrt.

Die Sicherung der Seeverbindungen kann die Nato nicht allein im Nordatlantik oder im Mittelmeer, sondern etwa auch am Horn von Afrika leisten, wie der Einsatz gegen die Piraterie in diesem für den Welthandel so wichtigen Seegebiet unter Beweis stellt. Allerdings wird sie in einer zunehmend multipolar werdenden Weltordnung auch in der Bewältigung dieser Aufgabe auf eine Kooperation mit China und Indien als aufstrebenden maritimen Mächten sowie mit Rußland angewiesen sein.

Foto: Generalsekretär de Hoop Scheffer (M.) und die Außenminister der neuen Nato-Staaaten (April 2004): Expansion statt Auflösung

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