Langsam spannt sich der Bogen. Ein konzentrierter Blick ins Ziel. Dann zieht Dominik ab. Ein Raunen geht durch die Reihen seiner Schulkameraden. Der 12jährige hat ins Schwarze getroffen, der beste Schuß bisher. Doch das Bogenschießen ist nur eine Disziplin, die die Schüler der Klassen 6a und b der bayerischen Hauptschule Hebertshausen bei Dachau absolvieren müssen. Und wer der Beste ist, ist auch gar nicht entscheidend. Kinder in Zeiten des Massenkonsums wieder mit der Natur vertraut zu machen: Das ist das Ziel der Naturcamps, die der 61 Jahre alte pensionierte Oberstleutnant Hajo Bach und sein Sohn Tobias (28) in Viechtach, einem 9.000-Seelen-Ort im Bayerischen Wald, organisieren. Mehr noch. Sie wollen, daß der Umgang mit der Natur in den Schulen zum Pflichtprogramm erhoben wird. Erlebnispädagogik heißt das Schlagwort, das in deutschen Schulen Einzug halten soll. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Die Nachfrage nach Naturcamps, wie die Bachs sie organisieren, steigt, Lehrer erkennen in zunehmendem Maße ihre Bedeutung für die Jugend. In Zeiten von Play-Station, Internet und Multimedia ist eine Rückbesinnung auf die Natur und Konsumverzicht wieder gefragt. Dennoch: Hajo Bach weiß auch von Schwierigkeiten zu berichten. „Zu Beginn meiner Tätigkeit war ich der festen Überzeugung, jeder Mitbürger würde guten Willens sein, die Erlebnispädagogik zu unterstützen.“ Das sei jedoch weit gefehlt und blauäugig gewesen, ist er heute überzeugt. So habe er eine mehrtägige Veranstaltung mit 30 Kindern abbrechen müssen, weil ein Jäger die Revierflucht seiner Fasane befürchtete. In einem anderen Fall sei ein Jagdaufseher mit „sheriffähnlichem Metallstern“ aufgekreuzt und gab Bach und einer Schulklasse zu verstehen, das sie den Staatsforst innerhalb von 30 Minuten zu räumen hätten. Erst nachdem Bach Genehmigungen von Forstbehörde, Jagdgenossenschaft, Naturschutzbehörde und Bürgermeisteramt eingeholt und zudem noch Polizei, Presse und Feuerwehr verständigt hatte, konnte er mit der Klasse im Wald bleiben. Bachs Erkenntnis: „Pädagogische Initiativen, die sich außerhalb der Schulmauern abspielen, benötigen hoheitliche Unterstützung.“ Und der Bedarf an Mitarbeitern auf dem Gebiet der Erlebnispädagogik sei hoch. „Wenn Eltern keine Zeit mehr haben, mit ihren Kindern in den Wald zu gehen, und selbst keine Wildpflanzen, Beeren, Früchte und Pilze mehr kennen, kann nicht erwartet werden, daß der Biologielehrer im Schulunterricht das Defizit auffangen kann“, erklärt Bach. Erziehungsberechtigte täuschten sich, wenn sie meinten, mit Zoo, Kirmes- und Fun Park-Besuchen hätten sie genug für ihre Kinder getan, so Bach weiter. Da dies zu kurzlebig sei, warte er in seinen Naturcamps mit nachhaltigen und auf Teamarbeit ausgerichteten Programmen auf. Leider beruhten die Aktivitäten auf dem Gebiet der Erlebnispädagogik ausschließlich auf privater, freiwilliger, sozialer oder kirchlicher Initiative. Jedoch sei hier auch der Staat gefordert. Bachs Vorschlag: Pro Schule und Größe nach Kinderzahl soll eine bestimmte Anzahl von Lehrern in erlebnispädagogischen Zusatzqualifikationen ausgebildet werden. Am besten sei es, solche Maßnahmen generell auf Bundesebene zu regeln. Dann würde der erweiterte Auftrag der Schule ein Selbstläufer werden. Hauptschullehrerin Monika Weimann nimmt ihn jetzt schon wahr: freiwillig, im Rahmen einer Klassenfahrt. „Für uns ist das eine Premiere“, sagt sie. Einen Tag lang sind ihre Schüler im Wald beschäftigt. Und das nicht nur mit Bogenschießen. Ein Feuer muß entzündet werden – ganz ohne Streichhölzer oder Feuerzeug. Auch Holz und Stroh müssen die Kinder eigenständig heranschaffen. Tobias Bach erklärt ihnen, wie eine Feuerstelle abzusichern ist. Über die Lagerstätte ist ein Militär-Fallschirm gespannt. „Der hat gleich mehrere Funktionen“, erklärt Bach der Gruppe. Zum einen werde dadurch Funkenflug und eine damit einhergehende Brandgefahr vermieden. Andererseits schütze der Fallschirm vor Regen, lasse die Wärme des Feuers nicht so schnell entweichen und stärke das Gemeinschaftsgefühl. Neben Bogenschießen und Feuerentzünden müssen die Pennäler ihr Können auch beim Hüttenbau unter Beweis stellen. Selbständig müssen sie Holz dafür maßgerecht aussägen und mit Hammer und Nägeln umgehen. „Ich hab‘ kein Bock mehr darauf, sollen doch die Jungs weitermachen“, kommt bei einer Schülerin aus der überwiegend mit Mädchen besetzten Gruppe erster Mißmut beim Bau auf. Doch der Ehrgeiz des Teams ist stärker. „Nix da, wir haben das jetzt angefangen, dann machen wir das auch zu Ende“, entgegnet eine Mitschülerin. Alles geschieht in Eigenregie, die Lehrkräfte greifen so wenig wie möglich ein. Natürlich sind die Aktivitäten auch mit Gefahren verbunden. Dies ist auch ein Grund dafür, daß noch so mancher Pädagoge sich mit den Kindern nicht ins Naturcamp traut. Doch Monika Weimann teilt diese Ängste nicht. „Passieren kann immer und überall etwas“, sagt sie. Ohnehin könne der Nachwuchs nicht permanent in Watte gepackt werden, ist sie überzeugt. Trotz Sägen, Hämmern, Luftgewehr- und Bogenschießen: „Einen Unfall hat es bisher noch nicht gegeben“, schildert Tobias Bach die Erfahrung der vergangenen vier Jahre. „Wenn die Kinder über mehrere Tage bleiben, bauen wir mit ihnen sogar Flöße“, erklärt der gelernte Tischler. Will aber ein Lehrer mit seiner Schulklasse mehrere Tage in der Natur verbringen, ist dies mit erheblichen Schwierigkeiten und Behördengängen verbunden. Daher solle die Bundesregierung die hierfür anfallenden zusätzlichen Aufgaben durch Anreize wie Ausbildung und Bezahlung unterstützen, fordert Hajo Bach. Auch für Erwachsene gibt es übrigens Angebote. Firmen können in einem Naturcamp beispielsweise Zusammengehörigkeitsgefühl und Teamfähigkeit im Unternehmen fördern. Auch Überlebenstraining ist möglich. Hier werden die Teilnehmer einfach im Wald ausgesetzt und müssen versuchen, dort mehrere Tage zu überleben. Dabei müssen die Teilnehmer auch auf die Jagd gehen und selbst schlachten. „Als Beute setzen wir Hühner aus“, erklärt Tobias Bach. Bei manchen Leuten löse das Unverständnis aus. Aber: „Wer in den Supermarkt geht, der kauft sich dort ja schließlich auch sein Fleisch.“ Natur – Erfahren + Lernen, Hajo Bach, Naturcamps Bayerischer Wald, Völckerstraße 46, 80939 München, Telefon: 089 / 32 57 04, www.natur-erfahren-lernen.de Stichwort: Waldpädagogik Die Entwöhnung von der Natur nimmt von Generation zu Generation zu. Das ist nichts Neues, und so wurden ab Mitte des letzten Jahrhunderts unter anderem Waldlehrpfade oder Jugendwaldheime eingerichtet, um der Entfremdung zu begegnen. „Hightech“ und Multimedia haben das Unwissen allerdings potenziert, und so steht die waldbezogene Umweltbildung heute bei Forstverwaltungen, Waldbesitzern oder Freiberuflern hoch im Kurs. Nähere Informationen im Internet unter www.waldpaedagogik.org Fotos: Baumbrückenklettern: In zunehmendem Maße erkennen Schulen und Lehrer die Bedeutung der Erlebnispädagogik für die Jugend; Pfeil und Bogen statt Laptop und Computermaus: Dominik trifft ins Schwarze