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Wenn Moral zu Recht mutiert

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Das noch von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder eingebrachte, vor nunmehr einem halben Jahr in Kraft getretene „Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) ist in weiten Teilen tendenziös. Einseitigkeiten zeigen sich dabei nicht allein in praktisch-juristischer Hinsicht (siehe hierzu Wolfgang Philipps Beitrag „In der Diskriminierungsfalle“, JF 44/06), sondern auch aus der Perspektive grundlegender rechtsphilosophischer Reflexion. Probleme bereitet schon der Zuschnitt des Gesetzes. Das AGG verbindet Tatbestände, die offensichtlich beleidigend sind und die Würde des Menschen verletzen, mit Vermutungen über Tatbestände, die im zivilen Bereich von Wirtschafts- und Beschäftigungsverhältnissen begangen werden könnten. So geht es nach Paragraph 1 des Gesetzes darum, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“, wobei eine Benachteiligung nach Paragraph 7 Absatz 1 bereits vorliegt, „wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in Paragraph 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt“. Doch wer will sich über die mutmaßliche „Annahme“ eines Dritten ein Urteil erlauben? Da sich solche Benachteiligungen schon aus wirtschaftlichen Überlegungen nicht lohnen und auch leicht mit den bisherigen Instrumenten der wirtschaftlichen Konkurrenz und der Kontrolleinrichtungen (Gewerkschaften usw.) in den Griff zu bekommen sind, kann es beim AGG also kaum darum gehen, reale Benachteiligungen auszuschalten, sondern nur darum, Gesinnungen zu ermitteln und zu ahnden. Die objektiv feststellbaren Schädigungen, die in diesem Bereich begangen werden können, sind ohnehin unter Strafe gestellt. Wie aber die Definition der „mittelbaren Benachteiligung“ nach Paragraph 3 Absatz 2 des AGG zeigt, sollen jetzt auch mögliche Motive, die hinter neutral klingenden Vorschriften und Kriterien der Auswahl stecken könnten, ausreichen, eine Benachteiligung anzunehmen. Dabei ist es grundsätzlich gar nicht möglich, Gesinnung zu bestrafen, sofern sie sich nicht eindeutig in Tatbeständen niederschlägt. Um in solchen Verfahren dennoch zu einer Verurteilung zu kommen, mußte der alte Strafprozeßgrundsatz „In dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) fallen. Er hatte bislang sichergestellt, daß zweifelhafte Annahmen gerade nicht zu einer Verurteilung führen können. Tatsächlich findet dieser Rechtssatz auch im AGG noch Anwendung, und zwar ausgerechnet im Zusammenhang mit der sogenannten Beweislastumkehr. Diese erlegt dem Beschuldigten nach dem Gesetz einseitig die Beweislast auf, wenn etwa ein Arbeitgeber belegen muß, daß er einen Bewerber nicht aus diskriminierenden Gründen abgelehnt hat. Dadurch aber wird der Arbeitgeber potentiell „pönalisiert“, das heißt als potentiell straffällig angesehen. Diese groteske Verirrung des Rechtsbewußtseins beruht auf dem doppeldeutigen Gleichheitsbegriff des AGG. Es kennzeichnet unsere Zeit, daß mancher neben der Gleichheit vor dem Recht auch eine vollständige Gleichheit an Rechten durchsetzen will. Vom Arbeitgeber den Beweis dafür zu fordern, daß eine unterschiedliche Behandlung von Bewerbern „erlaubt“ war, erlegt die bislang beiderseitig geltende wahrheitsgemäße Auskunftspflicht (Paragraph 138 Absatz 1 der Zivilprozeßordnung) nunmehr allein ihm, dem Arbeitgeber, auf. Grundsätzlich gilt jedoch vor Gericht: Jeder muß seine Behauptungen beweisen. Das AGG verlangt dagegen in Paragraph 22 zur Annahme der Klage vom Benachteiligten lediglich „Indizien“, die einen Verstoß „vermuten“ lassen. Da ein „Schaden“ in diesen Fällen nicht erkennbar ist – denn etwas nicht zu gewähren, ist kein feststellbarer „Schaden“ -, der Nachteil ohnehin vorhanden ist und es sich auch nur um eine mögliche Benachteiligung im Vergleich mit anderen handelt, kann es nur darum gehen, ob diese aus „diskriminierenden“ Motiven vorgenommen wurde. Damit aber entgleitet das Verfahren zu einer Selbstbezichtigungsveranstaltung, zu reiner Gesinnungsschnüffelei, um den „Schuldigen“ wie in den kommunistischen Schauprozessen gleichsam an den Pranger stellen zu können. Das humane Strafrecht enthält sich solcher Maßregelung und stellt fest, daß sich niemand durch seine Aussagen selbst zu belasten braucht (Paragraph 243 Absatz 4 der Strafprozeßordnung). Wenn man schon in die Mottenkiste des moralisierenden Rechts zurückgreift, das wir doch glaubten, seit Kants Unterscheidung zwischen „Moralität“ und „Legalität“ überwunden zu haben, dann müßte zumindest die Möglichkeit eines sogenannten „Akkusationsverfahrens“ eröffnet werden, wenn sich der Vorwurf einer „diskriminierenden“ Verhaltensweise als ungerechtfertigt erweist. Das führte dann zwar nicht zu einer Maßregelung durch den Beschuldigten, doch könnte durch das Gericht eine vom Ankläger zu zahlende Entschädigung des zu Unrecht Beschuldigten festgesetzt werden. So ließe sich ein Mißbrauch weitgehend ausschließen. Daß man es aber nur auf moralische Bestrafung abgesehen hat, zeigt Paragraph 15 Absatz 6, der den Arbeitgeber zwar bestraft, ihn aber nicht verpflichtet, nachträglich die Benachteiligung durch Einstellung wiedergutzumachen, wenn er sich denn irrte. Wie kommt es aber zu dieser grotesken Verirrung des Rechtsbewußtseins? Sie beruht auf dem doppeldeutigen Gleichheitsbegriff des AGG. Es kennzeichnet unsere Zeit, daß mancher neben der uns selbstverständlich gewordenen Gleichheit vor dem Recht auch eine vollständige Gleichheit an Rechten durchsetzen will. Entscheidend ist nun aber, daß die beiden Arten von Gleichheit etwas Unterschiedliches meinen: Während das Grundgesetz in Artikel 3 ursprünglich nur die Gleichheit vor dem Recht vor Augen hatte, folgerte man später daraus die Gleichheit an Rechten. Nach der aristotelischen Grundeinteilung, die immer noch gilt, gehört die Gleichheit an Rechten („Chancengleichheit“) zur sozialen und damit zur austeilenden Gerechtigkeit – wird aber durchweg als zuteilende Gerechtigkeit propagiert -, während die Gleichheit vor dem Recht ohne Ansehen der Person immer nur ausgleichende Gerechtigkeit bedeuten kann. Zugeteilt werden kann rechtlich aber nur, was dem Gemeinnutzen dient bzw. mit ihm vereinbar ist. Da sich der Staat als „Wohlfahrtsstaat“ definiert, muß er immer auch prüfen, inwieweit unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit auch dem Gemeinwohl Rechnung zu tragen ist. Wenn aber der Wohlfahrtsstaat nicht mehr gewährleistet ist, gibt es auch nichts mehr zu verteilen. Daß Angehörige der möglicherweise diskriminierten Gruppen im freien Handel und Gewerbe nicht gleich repräsentiert sind, ist demzufolge kein Grund zu rechtlichen Eingriffen und erst recht nicht zu einer einseitigen Bevorzugung, wie es das Gesetz vorsieht. Dieser unsinnige Gleichheitsfanatismus wurde bereits von Aristophanes in seiner Komödie „Die Weibervolksversammlung“ (gr. Ekklesiázusai) vor nahezu 2.500 Jahren ad absurdum geführt. Denn es ist falsch und folgt nicht aus dem – hier ohnehin nicht geltenden – Gleichheitsprinzip, wenn wie im Falle der sogenannten Quotenfrau die „Gleichheit“ durch arithmetische Berechnung wiederhergestellt wird – einfach deswegen, weil in solchen Fällen nicht nachweisbar ist, daß der Gemeinnutzen es gebietet, so vorzugehen. Nun argumentiert man, daß es deshalb aber auch nicht verboten sei, einzelne möglicherweise diskriminierte Personen oder Gruppen zu bevorzugen. Dabei wird jedoch übersehen, daß der mögliche Gemeinnutzen etwas Unvergleichbares in das Gesetz einbringt, da jede Rechtsäquivalenz grundsätzlich nur Vergleichbares zuläßt. Wäre das erlaubt, so gäbe es keinen freien Handel mehr, sondern nur noch staatliche Verteilung von Stellen und Vergünstigungen aller Art. Arbeitgeber oder Vermieter müssen dagegen nach den Gesetzen des freien Marktes auch die Freiheit haben, unter gleich qualifizierten oder gleich geeigneten Bewerbern einen weniger qualifizierten oder ausgewiesenen auszuwählen, denn es gehört zu ihrem Risiko, auch zu ihrem Schaden zu handeln. Man kann kaufmännischen Instinkt nicht diktieren und darf deshalb hinter Nichtberücksichtigung nicht grundsätzlich Antipathie oder Vorurteile vermuten. Man darf nur nicht dem Einzelnen direkten Schaden zufügen. Die letztgenannte Bestimmung, die sich in Paragraph 2 (Anwendungsbereich) findet, enthält jedoch noch einen weiteren Widerspruch: Es ist ebenfalls eine Ungleichbehandlung, Einzelnen Vergünstigungen zu gewähren. Die Vergünstigung für Unterrepräsentierte zu fordern, läßt noch deutlicher den falsch angewandten Gleichheitsbegriff erkennen. Denn wenn es nicht erlaubt ist, Gruppen von Menschen wegen bestimmter Merkmale wie Herkunft und Geschlecht auszuschließen, dann ist es ebenfalls nicht erlaubt, sie deshalb zu bevorzugen. Das Los bei gleicher Qualifikation entscheiden zu lassen, stellt auf den obengenannten, hier nicht anwendbaren Gleichheitsgrundsatz ab, ohne Ansehen der Person zu entscheiden. Bei den Fällen, die das AGG im Blick hat, geht es aber immer um bestimmte Personen. Die Folge des AGG ist eine vollkommene Moralisierung des Geschäftsverkehrs. Das ist ein Rückschritt hinter die Unabhängigkeit des Rechtsstandpunktes durch moralisierende Gesichtspunkte, die Kant schon an dem „moralisierenden Poli-tiker“ kritisiert hatte. Vergünstigungen müssen in die freie Verfügung des Anbietenden gestellt bleiben. Sie zu fordern, ist in sich widersprüchlich. Vergünstigungen entstehen aus dem freien Handel nach dessen Prinzip, frei jemanden anzulocken, indem man ihm deutlich erkennbare Vorteile bietet, die das Motiv für ein freiwilliges Sicheinlassen auf einen Handel abgeben können. Wird das auch in Paragraph 20 Absatz 3 (Zulässige unterschiedliche Behandlung) eingeschränkt zugegeben, so doch unter der Bedingung, daß dies nur gelte, wenn ein Interesse an der Gleichbehandlung von seiten der möglicherweise diskriminierten Personen oder Gruppen fehlt. Vergünstigungen nicht frei austeilen zu können, widerspricht jedoch dem Grundsatz der Vergünstigung. Ansprüche auf Vergünstigungen bestimmten bevorrechtigten Gruppen gewähren zu müssen, hebt ebenfalls die Gleichheit auf. So etwas rechtlich einzubinden, wie im AGG geschehen, zieht letzten Endes eine totale Überwachung der privaten Unternehmen nach sich. Die Folge dieses Gesetzes ist eine vollkommene Moralisierung des Geschäftsverkehrs. Das ist ein Rückschritt hinter die Unabhängigkeit des Rechtsstandpunktes durch moralisierende Gesichtspunkte, die Kant schon an dem „moralisierenden Politiker“ kritisiert hatte. Unsere Zeit, die sich doch mit ihrer aufgeklärten Haltung ständig brüstet, fällt zurück in archaische Rechtsvorstellungen. Es wird auf die Gesinnung abgestellt, und die neue Form der Gesinnungsschnüffelei, die sich hinter der Political Correctness verbirgt und die uns gesellschaftlich ohnehin schon das zwischenmenschliche Klima verdirbt, kommt so auch rechtlich zur Herrschaft. Über die Mängel rechtlicher Bestimmungen hinausgehend ist jedoch das Schlimmste an diesem Gesetz, daß es eine Anwendung weitgehend an den Gerichten vorbei an außerrechtliche Einrichtungen vorsieht, und zwar durch die „Antidiskriminierungsverbände“ (Paragraph 23), die einer „Antidiskriminierungsstelle“ des Bundes zugeordnet werden, öffentlich finanziert werden und damit (halb-)öffentliche Einrichtungen sind. So wird ein Freiraum für außerrechtliche Machtzentren geschaffen, die zum Spielball parteipolitischer Interessen werden und so zivile Interessen des Einzelnen parteipolitisch manipulierbar machen. Das Vertretungsrecht dieser Verbände läßt ihren wahren Charakter erkennen: Unterlaufen der rechtlichen Instanzen durch ideologische Kampfgruppen. Solche öffentlichen halbstaatlichen Mitwirkungsorgane wie Bürgerkomitees und gruppenspezifische Organisationen haben im vergangenen Jahrhundert zum Zusammenbruch ganzer Regierungssysteme durch die Entmachtung rechtsstaatlicher Einrichtungen geführt, sei es im Nationalsozialismus, sei es im Kommunismus. Vor solchen Entwicklungen ist zu warnen. Prof. Dr. Klaus Hammacher lehrte Philosophie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Zu seinen Arbeitsgebieten gehört neben dem Deutschen Idealismus auch die Rechtsphilosophie. Auf dem Forum der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über den Freiheitsbegriff (JF 41/06). Foto: Gleichheitsideologie: Halbstaatliche Einrichtungen wie die „Antidiskriminierungsstellen“ sind außerrechtliche Machtzentren, die leicht zum Spielball parteipolitischer Interessen werden können

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