Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“, erklärte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) im Dezember 2002 und setzte Maßstäbe. Das Regime der Taliban im Blick und den Terror von 11. September 2001 im Hinterkopf, rückte er das deutsche Engagement in Afghanistan in den Fokus der Öffentlichkeit. Deutsche Interessen am Hindukusch? Etwas Neues? Mitnichten. „Die deutsch-afghanischen Beziehungen haben eine lange und positive Geschichte“, kennzeichnet das Auswärtige Amt die Sachlage. Alles begann zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Inspiriert von den Träumen des türkischen Waffenbruders, mittels „Heiligem Krieg“ die Macht Rußlands und Englands im Orient zu sprengen, machte sich die Afghanistan-Expedition auf die mehr als abenteuerliche Reise von Istanbul über Persien ins ferne Afghanistan. Den Emir Habibullah zum Anschluß an die gemeinsame Sache zu gewinnen, war die Hoffnung, und so machte sich die Expedition unter Leitung des Generalstabsoffiziers Oskar von Niedermayer und des Legationssekretärs Werner Otto von Hentig auf den beschwerlichem Weg. Im August 1915 trafen sie in Kabul ein. Nach langem Warten erhielten sie auch Audienz. Doch Emir Habibullah kannte die Übermacht der Briten und Russen, gegen die die 60 Mann starke deutsche Militärmission wenig ausrichten konnte, und verhielt sich diplomatisch kühl. Dennoch unterzeichnete Habibullah im Januar 1916 den deutsch-afghanischen Freundschaftsvertrag, der umfangreiche Waffenlieferungen sowie Finanzhilfen versprach. Alles begann zu Beginn des Ersten Weltkrieges Deutsche Wünsche und afghanische Wirklichkeit drifteten jedoch schnell auseinander. Die Kriegsgeschehnisse wandten sich gegen einen deutschen Einfluß in Afghanistan. So war die Expedition letztlich ein Fehlschlag – aber nicht wertlos. Denn Bescheidenheit im Auftreten und gute Kontakte zum deutschfreundlichen Prinzen und späteren König Amanullah beförderten die bilateralen Freundschaftsstrukturen. Ja, die Expedition legte, so Paul Bucherer-Dietschi, Leiter der Schweizer Stiftung Bibliotheca Afghanica, die „Grundlage für eine jahrzehntelange gegenseitige Freundschaft zwischen Afghanistan und Deutschland“. Sie fand ihren Ausdruck in der zügigen Wiederaufnahme der Beziehungen und deren Ausbau auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene in den zwanziger Jahren. Afghanische Studenten besuchten deutsche Hochschulen, und Deutschland mauserte sich zum drittwichtigsten Handelspartner des Landes am Hindukusch. Einen Höhepunkt bildete hierbei der Deutschland-Besuch König Amanullahs im Jahr 1929: „Der Aufenthalt des populären Königs“, so der Afghanistan-Experte Reinhard Schlagintweit, „bekam eine ähnliche emotionale Qualität für die Einstellung der Deutschen zu Afghanistan wie die Expedition Hentig-Niedermayer für die der Afghanen zu Deutschland.“ Auch während des Dritten Reiches entwickelten sich die Beziehungen fruchtbar. Deutschland gab Kredite und schickte Experten für den wirtschaftlichen Aufbau. Bis zum Ausbruch des Krieges avancierte Afghanistan so zu einem der wichtigsten politischen Partner Deutschlands in Asien. Was sich auch darin ausdrückte, daß im Jahr 1936 um die 500 deutsche Experten Afghanistan bei der Landesentwicklung unterstützen. Doch auch hier machten die Kriegsereignisse eine weitere Zusammenarbeit zunichte. Dennoch „stärkte“ diese Periode „auf geheimnisvolle Weise die Freundschaft und Zuneigung der Menschen zueinander. Das Gros der Deutschen, die in den dreißiger Jahren in Afghanistan arbeiteten, waren nicht in erster Linie Parteigenossen, sondern Fachleute, dem Land und seinen Menschen zugewandt, die an den Sinn ihrer Arbeit und den Wert ihrer Partner glaubten. Die Afghanen, die in Deutschland studiert hatten, kamen mit nützlichen Kenntnissen und guten Erinnerungen nach Hause. Auch die Tatsache, daß Afghanistan bis zum Ende des Krieges zu Deutschlands Freunden zählte, wurde in Deutschland nicht vergessen. „In Abwandlung einer deutschen Redewendung“, so Schlagintweit, „könnte man sagen: Operation mißlungen, Patient wohlauf.“ Dies sagten sich Anfang der fünfziger Jahre dann auch die USA als Führungsmacht des Westens und signalisierte der Bundesrepublik, daß sie, anknüpfend an ihre historischen Freundschaftslinien zu Afghanistan, in den Zeiten des Kalten Krieges transatlantische Verantwortung übernehmen müßte. Der Wink der Supermacht fiel in Bonn auf fruchtbaren Boden, und alles ging sehr schnell. Schon im Jahr 1955 wurden die bilateralen Beziehungen wieder aufgenommen. Ab 1958 leistete Bonn Entwicklungshilfe, gab Kredite, schickte Fachleute für den Aufbau des Landes und half mit Finanz- und Materialhilfe explizit beim Auf- und Ausbau der afghanischen Polizei. Bevorzugtes Partnerland bei der Entwicklungshilfe Der Höhe- aber auch Scheitelpunkt der fruchtbaren Entwicklung folgte dann in den sechziger Jahren. Universitätspartnerschaften, die Errichtung einer deutschsprachigen Schule oder der Start des entwicklungspolitischen Paktia-Projektes (siehe Stichwort-Kasten) rückten die bündnisorientierte und zugleich selbstgewählte Verantwortung Deutschlands für den Staat am Hindukusch in ein besonderes Licht. Doch im Zuge des zunehmenden Einflusses der Sowjetunion in Afghanistan wurden die Schatten immer länger. Die mehr als 800 deutschen Experten wie auch der Botschafter verließen das Land, das sich in den siebziger Jahren mehr und mehr zur Marionette Moskaus entwickelte. Bonn fuhr die umfangreichen Hilfsprogramme herunter, überließ der DDR das Feld, die im Jahr 1980 eine Botschaft in Kabul eröffnete, und beließ es bei der Leistung humanitärer Hilfe – die sich dann in der großzügigen Aufnahme afghanischer Flüchtlinge widerspiegelte. Nichtsdestotrotz sorgten der Einmarsch der Russen, der sich anschließende Befreiungskampf sowie die Machtübernahme der radikalislamischen Taliban (1995-2001) für eine längere bilaterale Auszeit. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes nahm Berlin die Zusammenarbeit mit Kabul wieder auf. Und es bestätigte sich aufs neue: Afghanistan ist das „bevorzugte Partnerland“ (Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) Deutschlands in der Entwicklungszusammenarbeit. Nicht Soldaten und Waffen, sondern Ärzte und Maurer Ganz der Tradition verpflichtet und zudem um den Ruf als friedensstiftendes Land bedacht, übernahm die rot-grüne Bundesregierung die Initiative zum Wiederaufbau, zur Schaffung einer afghanischen Zivilgesellschaft und bei der Demokratisierung Afghanistans. Entsprechend lud Berlin Anfang Dezember 2001 zur Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg. Es folgten Petersberg II im Dezember 2002 sowie die Berliner Konferenz (April 2004). Woraus folgt, daß Deutschland im Zeitraum von 2001 bis 2010 über eine Milliarde Euro in Afghanistan investiert haben wird. Hinzu kommt ein Betrag in ähnlicher Größenordnung im internationalen Rahmen. Dem nicht genug. Denn im Rahmen des Aufbaus von Sicherheitsstrukturen in Afghanistan übernahm Deutschland die Führungsrolle für den Aufbau der afghanischen Polizei. Die traditionellen Beziehungen feierten fröhlich Urständ, und so schickte Deutschland ab 2002 Experten für den Polizeiaufbau und stellte aus den vom Auswärtigen Amt verwalteten Mitteln des Stabilitätspaktes Afghanistan mehr als 60 Millionen Euro zur Verfügung. Doch während nun Entwicklungshilfe und polizeiliche Hilfe jahrzehntelangen Pfaden folgten, brachte das militärische Engagement Deutschlands – oder besser gesagt dessen Beteiligung am Kampf gegen den Terrorismus – eine neue Dynamik in die bilateralen Beziehungen. Mit allen bekannten Konsequenzen. Doch Berlin hält Kurs. Entsprechend erklärt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): „Die Menschen in Kundus und anderswo in Afghanistan setzen darauf, daß wir an ihrer Seite stehen. Wir werden Wort halten und sie auch künftig beim Wiederaufbau ihres Landes unterstützen.“ Dies war auch das Ziel Werner Otto von Hentigs. Als er 1916 aus Afghanistan zurückkam, plädierte er jedoch dafür, nicht Soldaten und Waffen nach Afghanistan zu schicken, sondern Ärzte, Elektriker, Maurer und Hebammen. Stichwort: Paktia-Projekt Basierend auf den traditionellen guten deutsch-afghanischen Beziehungen, die sich in den fünfziger Jahren vor allem in der breit angelegten deutschen Entwicklungshilfe für das Land am Hindukusch manifestierten, hob Bonn in den sechziger Jahren das Paktia-Projekt aus der Taufe. Es war eines der größten Entwicklungsprojekte und hatte zum Ziel, die Infrastruktur der Provinz Paktia zu entwickeln. In der Hochphase des Projektes arbeiteten vor Ort mehr als 120 Experten. Sie kümmerten sich um Straßenbau, Energieversorgung oder auch um die Aufforstung. Wenig blieb allerdings übrig. Die Kriegswirren zerstörten vieles, und allein der Mangel an Feuerholz führte zum Abholzen der Bäume und ließ die Felder verkarsten. Foto: Von Deutschland koordinierte und finanzierte Polizeiausbildung in Kabul: Bereits in den fünfziger Jahren half Bonn beim Auf- und Ausbau der afghanischen Polizei
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