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Die Schreibtischtäter

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Im demokratischen, rechtsstaatlichen, freiheitlichen Deutschland wird selektiert: gnadenlos, zielsicher, mit politischer Absicht! Und zwar durch diejenigen, die es sonst unter Berufung auf Artikel 1 GG sogar für diskriminierend halten, in Sachen Familiennachzug, Kindergeld oder Sozialhilfe die notwendige Unterscheidung zu treffen zwischen Staatsbürgern und Nichtsstaatsbürgern; die überall Rassismus, Ausländer-, gar „Menschenfeindlichkeit“ wittern. An einer Berliner Badestelle vor zwei Wochen: Ein Familienvater fordert vier Jugendliche auf, ihren Müll zu entsorgen. Die vier fallen über ihn her, einer schlägt mit einem Knüppel zu. Für einen 23jährigen Mann – gebürtiger Pakistani – bedeutet Zivilcourage mehr als nur staatlich gefördertes, opportunistisches Maulheldentum. Er eilt dem Angegriffenen zu Hilfe, darauf rammt ihm einer der Schläger mehrmals ein Messer in den Rücken. Das Opfer stirbt an inneren Blutungen, die Täter verlassen den Ort demonstrativ langsam und verhöhnen ihr Opfer noch. Trotz der exzessiven Brutalität und Menschenverachtung wird das Verbrechen nur auf den Regionalseiten der Berliner Presse vermeldet, Wut- und Betroffenheitsbekundungen einschlägiger Politiker entfallen. Der Berliner Justizsenator sinniert darüber, ob vielleicht ein Messerverbot solche Taten vermeiden könnte. Man ahnt die Gründe für die Zurückhaltung: Der Haupttäter heißt Erol A., er und seine Clique sind Türken und gehören einem „Kommando-Nord-Berlin“ (KNB) an. Erol A. hatte schon einmal einem Menschen ein Messer in den Rücken gestochen, war aber mit Bewährung davongekommen. Das Gericht hatte ihm eine gute Sozialprognose zugebilligt. Zeitnah wird in einer U-Bahnstation in Berlin-Neukölln ein afrikanischer Asylbewerber aus Burkina Faso ins Koma geprügelt. Ein Faustschlag läßt ihn mit dem Kopf auf der Bahnsteinkante aufschlagen. Falls er überlebt, sind dauerhafte Schäden nicht auszuschließen. Diesmal sind die Medien noch zurückhaltender als im Fall Erol A., obwohl Öffentlichkeit geboten ist, denn die Täter sind noch nicht gefaßt. Ihre Zugehörigkeit zum moslemischen Kulturkreis läßt sich dennoch nicht verbergen. Sechs Tage benötigt die Polizei, um die Bilder der Überwachungskamera zu veröffentlichen. Der zweite Fall weist auffällige Ähnlichkeiten auf mit dem des Potsdamers Ermyas Mulugata, der im April 2006 gleichfalls durch einen Faustschlag ins Koma fiel. Beide Opfer sind dunkelhäutig, beiden wurden lebensgefährliche Kopfverletzungen zugefügt. Im weiteren überwiegen die Unterschiede: Anders als der Mann aus Burkina Faso, der sich laut Zeugenaussagen und ausweislich der Überwachungsbilder gegenüber seinen Peinigern völlig defensiv verhielt, war Mulugata sturzbetrunken, titulierte seine Frau via Handy sowie Passanten als „Schweinesau“ und trat nach ihnen. Das rechtfertigt natürlich keine Gewalttat – niemand hat es verdient, halbtot geschlagen zu werden -, aber es lagen damit von Anfang an Hinweise vor, daß es sich um einen aus dem Ruder gelaufenen Streit unter Betrunkenen gehandelt hat, während der Mann aus Burkina Faso völlig unprovoziert Opfer rassistischer Gewalt wurde. Doch während im aktuellen Fall in den Medien tiefes Schweigen herrscht, brach im Mulugata-Fall ein tage-, ja wochenlanges Geheul los. Die deutsche Presse vollzog wie auf ein geheimes Kommando hin die eigene Gleichschaltung und wurde zum Volksgerichtshof über die angeblich identifizierten „Nazi-Schläger“. Auch der Generalbundesanwalt wurde von der Hysterie angesteckt, er sah die innere Sicherheit des Landes gefährdet und ließ sich die Verdächtigen in Guantánamo-Manier überstellen, ohne daß sich die sensiblen Wortführer der öffentlichen Meinung daran störten. Der Druck durch Politik und Medien war so hoch, daß der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei noch nachträglich die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden in Frage gestellt sieht. Nur zwei – zwei! – Politiker wagten es, der Lynchstimmung entgegenzutreten, die Innenminister Wolfgang Schäuble und Jörg Schönbohm, die sich dafür unmögliche Anwürfe gefallen lassen mußten. Jetzt hat der Mulugata-Prozeß vor dem Landgericht einen unbefriedigenden Abschluß gefunden. Selbst die Staatsanwaltschaft fand die Beweislage am Ende hanebüchen und beantragte Freispruch für die zwei deutschen Angeklagten. Die wirklichen Täter laufen bis heute frei herum, die Fokussierung auf eine rechtsextreme bzw. rassistische Tat hat ihre Ermittlung vielleicht für immer unmöglich gemacht. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) sagt trotzdem, er finde „die spontane Solidarisierung der Potsdamer Bevölkerung mit dem Opfer nach wie vor richtig und wichtig“. Oberbürgermeister Jann Jakobs räumte ein, es habe einen „erheblichen öffentlichen Druck“ gegeben, die „Solidaritätskundgebung zu veranstalten“. Die Politiker fühlten sich also selber als Getriebene! Die von Platzeck behauptete spontane Solidarität mit dem Opfer war in Wahrheit eine gesteuerte Kampagne, die, um zu funktionieren, allerdings einen bestimmten Resonanzboden benötigte. Die Plakate „Ermyas, halte durch!“, die an Heiligenschreine gemahnenden Mahnwachen-Installationen, die Mädchen, die sich tränenumflort in den Armen lagen, waren Zeichen einer kollektiven psychische Störung. Als Person war „Ermyas“ dabei völlig uninteressant. Das zeigten die Abwehrreaktionen, als bekannt wurde, daß es sich bei ihm keineswegs um einen Engel handelte, sondern um einen Mann mit Widersprüchen und Problemen. Die guten Menschen in Deutschland mißbrauchten ihn als ideale Projektionsfläche, als Fetisch, an dem sich eine Kampagne entzünden ließ, die tiefliegende Leidenschaften abrief und kanalisierte. Um derartige Kampagnen auszulösen, ist die ausländische Herkunft des Opfers von Vorteil, aber, wie die drei genannten Fälle zeigen, nicht hinreichend! Auf jeden Fall muß der Täter ein Deutscher sein, denn nur an ihm läßt sich die Gültigkeit und das Fortwirken faschistischer deutscher Täterschaft aufzeigen. In der Selektion der aktuellen Opfer setzt sich die Behandlung der historischen Opfer fort, die gleichfalls nach ihrem politisch-antifaschistischen Gebrauchswert selektiert werden. Diese Entwicklung könnte bald dahin führen, daß Opferempathie, Mitleid, Anstand, Genugtuung für erlittene Demütigungen – also alles, was über politische Differenzen hinweg als unverhandelbar gelten müßte, damit zwischenmenschliches Vertrauen möglich ist – grundsätzlich nur noch unter politisch-korrektem Vorbehalt gewährt wird. Das wäre die Barbarei mit antifaschistischem Antlitz!

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