Am Fuße des Pfingstbergs in Potsdam, auf dem bis Ende der neunziger Jahre nur die Ruine des Belvedere zu sehen war, steht noch immer ein Gebäude, das dort auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper wirkt. Das Nachbarhaus in der Leistikowstraße 2/3 (vormals Mirbachstraße) – eine prächtige Villa, perfekt restauriert und bereits wieder in Nutzung der Kirche – stellt einen krassen Gegensatz dar. Die Fenster in der 1915 erbauten Nummer 1 sind zugemauert, vergittert, die Glasscheiben mit Milchglas undurchsichtig gemacht. Noch stehen die Eisenträger auf dem Gelände umher, die wohl einen vier Meter hohen Bretterzaun trugen, der die Sicht behindern sollte – und es wäre ein wunderschöner Blick auf den Park gewesen. Laternen stehen kreuz und quer herum, verrostet und windschief. Der Zaun erinnert schon auf dem Weg daran, daß man sich auf ehemaligem Kasernengebiet der Roten Armee befindet: Häßliches Grün wechselt sich ab mit tristem Grau. Am Eingang und an der Fassade des Hauses weisen Plakate darauf hin, was hier einst geschehen ist: „Ehemaliges KGB-Gefängnis Leistikowstraße 1“. Hier also wurde verhört, gefoltert und dann schließlich bis nach Sibirien verschleppt. Betritt der Besucher das Gebäude in der Nummer 1, das bis 1945 die Büros der vom Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein EKH begründeten Frauenhilfe sowie die Dienstwohnung ihres leitenden Pfarrers beherbergte, sticht ihm ein muffiger Geruch in die Nase. Stockflecken zieren Decken und Wände. Linoleumfußboden erinnert an den grauen DDR-Alltag. Das spärliche Licht tut sein übriges, um sehr schnell einen Eindruck von dem Alptraum zu bekommen, der hier für einige tausend Menschen seinen Ursprung hatte. „Dabei ist es aufgrund des warmen Sommers in diesem Jahr sehr trocken in allen Räumen“, klärt Gisela Kurze auf. Normalerweise tropfe es von Decken auf Besucher herab. Die Rentnerin arbeitet hier ehrenamtlich mit einer Kollegin, um den Besuchern vom 1. Mai bis zum 31. Oktober einen Rundgang zu ermöglichen. Für Gruppen ist dies auf Anfrage möglich, für die Öffentlichkeit leider nur am Wochenende von 11 bis 17 Uhr. Am Ende des Ganges sind noch die „Duschräume“ erhalten, auf denen gleichzeitig die Notdurft verrichtet werden konnte. Allerdings war dies ein „Luxus“, der den Häftlingen erst seit dem Jahr 1953 zugute kam. Bis Mitte der fünfziger Jahre mußte für eine Katzenwäsche das Trinkwasser herhalten, für Fäkalien stand ein Eimer in der Zelle. In der Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“, die im Erdgeschoß gezeigt wird, sind auf Schautafeln wenige Schicksale sichtbar. Sowjetische Soldaten, deutsche Jugendliche, sogar Hausfrauen wurden hier gequält – nur um Geständnisse zu erpressen oder um die „Erfolgsquote“ zu steigern und das Soll an Häftlingen vollzubekommen. Dabei spielte das Alter kaum eine Rolle. Selbst Fünfzehnjährige wurden der Spionage, der antisowjetischen Agitation oder der Werwolftätigkeit angeklagt. Sinnige Aufarbeitung der SBZ/DDR-Vergangenheit Leider mußte im April 2003 der Keller für Besucher geschlossen werden. Der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH) hatte sich als Hauseigentümer nicht vor Haftung bei Unfällen absichern können. Dies ist bedauerlich, denn man verliert so den anschaulichsten Teil – waren doch gerade im Keller die unmenschlichen Bedingungen erlebbar: Zellen mit sechs Quadratmetern, auf denen bis zu zwölf Personen auf einer Holzpritsche schlafen mußten. Im ersten Stock sind Bilder zu sehen, eine Tür zu dem sogenannten „Käfig“ ist aufgestellt: Einzelzellen, in welchen die zum Tode Verurteilten auf die Vollstreckung des Urteils warteten. Im Obergeschoß werden Bilder von Kindern aus Tschetschenien gezeigt, die den Krieg in den neunziger Jahren dort erleben mußten. Außerdem hat hier Amnesty international Büroräume. Gisela Kurze ist Vorstandsmitglied des Vereins Memorial Deutschland, der sich sehr um die Erhaltung des Gebäudes in der jetzigen Form engagiert. Sie fährt fort: Man habe in den letzten Jahren beweisen müssen, daß ein Bedarf an einer solchen Gedenkstätte bestehe, und Strichlisten über Besucher geführt. Ein bunt gemischtes Publikum dränge sich an Wochenenden durch die Gänge, in diesem Jahr rund 7.500. Touristen, Einheimische, Schulklassen – ohnehin ist das nahe Cecilienhof ein Magnet für Museumsreisende. Auf die Frage, ob eine solche Stätte nicht starken politischen Gegenwind erhalte, verneint die freundliche Rentnerin. Man habe zwar einmal ein einschlägiges Buch im Briefkasten gefunden und Schmierereien beseitigen müssen, trete aber überdies solche Ereignisse nicht in der Öffentlichkeit breit. Mit der Durchführung öffentlicher Zeitzeugengespräche und mit Projekten zur geschichtlichen Aufarbeitung der Nachkriegszeit, der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR fördere man die politische Bildung. Viele Broschüren, die jeder Besucher im Eingangsbereich erwerben kann, zeugen vom Willen, nichts dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Wie zu sehen ist, bemüht sich der Verein sehr um die dokumentarische Erfassung der vielfältigen Erlebnisse in diesem Haus und der anschließenden Erfahrungen in sowjetischen Straflagern bis zur Dokumentation der Rehabilitierung ehemaliger Sträflinge durch russische Behörden nach 1994. Auf der Netzseite des Vereins kann man sich überzeugen, daß die Arbeit auch in den Wintermonaten fortgesetzt wird. In der Regel treffen sich Gleichgesinnte alle zwei Monate montags um 18.00 Uhr – im Sommer eher öfter und im Gruppenraum des Hauses, im Winter in größerem Abstand im Gemeindehaus der Evangelischen Pfingstkirchgemeinde Große Weinmeisterstraße 49b. Bei jedem Treffen stehen Begrüßungsgespräche und die Vorstellungsrunde auf der Tagesordnung, denn meist kommen Gäste und neue Mitglieder hinzu. Und zu organisieren hat der Verein eine ganze Menge: Besucherzeiten regeln, Gruppenführungen planen, Reparaturarbeiten verteilen, Zeitzeugengespräche vereinbaren. Es sei eine große Herausforderung, so steht es in der Satzung des Vereins, das Unrecht und die Gewalt an meist völlig unschuldigen Opfern kommunistischer Gewaltherrschaft aufzudecken, ihnen eine Stimme zu geben und sie für das Verständnis und die gegenseitige Achtung der beteiligten Völker fruchtbar zu machen. Öffentliche Gelder fließen eher spärlich Doch wie konnte das alles hier passieren, in einer solch vornehmen Wohngegend? Vor der Wende war es ein exterritoriales Gebiet in der Sowjetischen Besatzungszone wie viele andere auch: ein 180.000 Quadratmeter großes Gelände am Neuen Garten. Wie in vielen größeren Städten der SBZ wählten die Sowjets auch hier eine der besten Wohngegenden und beschlagnahmten, was ihnen zweckmäßig erschien. Wo einst die Bismarcks, die Quandts und die Mirbachs in schönen Gründerzeitvillen ihren Wohnsitz hatten, hallten dann Soldatenstiefel über das Pflaster. Das „Militärstädtchen Nummer 7“ – keinen Kilometer vom Schloß Cecilienhof – war jedoch mehr als ein abgeschirmter Wohnkomplex für Offiziere der Roten Armee. Am 13. August 1945 wurden Häuser von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) besetzt und das „narodnyj komissariat wnutrennych del“ – Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKDW) – quartierte sich ein: zu Zwecken der Spionageabwehr und dem Sowjetischen Ministerium für Staatssicherheit unterstellt. Wer sich nun dort aufhielt, gehörte entweder zu den Folterknechten oder wurde den widersinnigsten Anschuldigungen zufolge dort zu Aussagen gebracht, die oft „dwatzat‘ let“, also zwanzig oder mehr Jahre Zwangsarbeit zur Folge hatten. Durch die totale Abschirmung nach außen war Kontaktaufnahme unmöglich, und es sollte bis 1995 dauern, bis „Normalbürger“ wieder Zugang hatten. Der „Weg“ eines Häftlings war immer derselbe. Durch Denunziation wurden Betroffene von der Straße weg verhaftet oder zu Hause abgeholt. Und zwar im gesamten Gebiet der späteren DDR. Dabei reichte ein Verdachtsmoment aus, um dem Delinquenten Spionage vorzuwerfen und ihn mittels Einzelhaft und Folter zu jedem Geständnis zu bringen, das gerade gefordert war. Nach einer „Verhandlung“ vor einem Militärtribunal wurden die Strafen von 15 bis 25 Jahren Zwangsarbeit verlesen und der Verurteilte dann nach Workuta oder in andere Lager der Sowjetunion deportiert. Von Kriegsende bis Mitte der fünfziger Jahre waren es sowohl Russen als auch Deutsche, ab Mitte der fünfziger wohl nur noch ausschließlich sowjetische Militärangehörige, die hier den Anfang ihrer Odyssee erleben mußten. Bis wann das Gebäude als Durchgangsgefängnis diente, ist bis heute ungeklärt, den die Akten liegen noch unter Verschluß in Moskauer Archiven. Man vermutet, daß bis Anfang der achtziger Jahre hier Häftlinge einsaßen. Der sowjetische Geheimdienst, der sich ab 1954 „komitet gosudarstwennoj besopasnosti“ – Komitee für Staatssicherheit (KGB) – nannte, nutzte in Potsdam am Neuen Garten mehrere Gebäude als Gefängnisse. Als Zentrale diente die Leistikowstraße 1. Zum Nachbarhaus Leistikowstraße 2/3 wurde ein überirdischer Bretterverschlag errichtet. Diese Verbindungskanäle wurden innen schwarz gestrichen und ließen so dem Häftling keine Chance auf irgendeine Orientierung, wenn er von der Zelle zum Verhör geführt wurde – eben ein zusätzliches Instrument der Folter und in Umrissen noch heute erkennbar. Bis zur Übergabe nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1994 wußten selbst die direkten Nachbarn nicht, was dort geschah. Die Gemeinde der Pfingstkirche zum Beispiel konnte fast fünfzig Jahre ihr eigenes Gotteshaus nicht benutzen, da es (durch eine Mauer vom Gemeindehaus getrennt) russisches Gebiet war. Nur ausgewählte Personen durften das Gebäude betreten. Nach dem Abzug der gesamten Westgruppe der russischen Streitkräfte im August 1994 wurden die ehemaligen Gebäude der sowjetischen Spionageabwehr und des KGB-Gefängnisses an der Leistikowstraße verlassen. Das gesamte Gelände bildete eine offene Brache, und bedrohliche Gegenstände lagen umher. Ein Jahr später – die Kirche hatte die Gebäude bereits wieder übertragen bekommen – mußte die Bundeswehr Munitionskästen, Gasmasken und diverse chemische Stoffe aus dem Gebäude räumen. Auch Druckpapier wurde tonnenweise entsorgt. Das Haus diente also in den letzten Jahren als Lager. Im Oktober 1997 eröffnete zum ersten Mal der Förderverein für Memorial/St. Petersburg e.V. die Ausstellung „Von Potsdam nach Workuta“. Parallel dazu kamen bereits damals einige der ehemaligen Inhaftierten als Zeitzeugen zu Besuch. Kurz darauf bildete sich eine Initiativgruppe Leistikowstraße 1, die an einer Konzepterarbeitung wesentlichen Anteil hatte. In den beiden Folgejahren erfuhr die feste Ausstellung des Hauses eine wesentliche Erweiterung und wurde jedes Wochenende für Besucher zugänglich gemacht. Auch beteiligten sich amnesty international, Opferverbände, das Potsdam-Museum, der Förderverein Lindenstraße 54, der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein, Zeitzeugen und ihre Angehörigen und einfach persönlich sehr berührte Menschen an der Gründung einer Gedenk- und Begegnungsstätte. Für die zukünftige Arbeit ist der Verein nicht zuletzt auf Spenden angewiesen. Der EKH hat als Alleineigentümer zwar nicht vor, etwas an der Fassade zu ändern, es fallen aber trotzdem Kosten an. Öffentliche Gelder fließen hier kaum, und der Verein möchte auch in Zukunft keinen Eintritt nehmen. Ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam „Leistikowstraße 1“; 14469 Potsdam , Leistikowstr. 1, nahe Cecilienhof, Geöffnet Sa und So. 11-17 Uhr vom 1. Mai bis zum 31. Oktober. https://www.kgb-gefaengnis.de/ , Spendenkonto: Mittelbrandenburgische Sparkasse BLZ: 16050000 Konto: 3517005001 Stichwort: Memorial Deutschland e.V. Memorial Deutschland ist der deutsche Zweig von Memorial International, einer Nichtregierungsorganisation, die auf dem Gebiet der Menschenrechte tätig ist und über 80 Organisationen in sieben Ländern (Rußland, Ukraine, Weißrußland, Kasachstan, Lettland, Polen) umfaßt. Die Gesellschaft entstand zur Zeit der Perestrojka in der Sowjetunion und hat zum Ziel, die Auswirkungen der Gewaltherrschaft des Stalinismus aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken. Info: Memorial Deutschland, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin,Tel./ Fax 030 / 83 22 94 14. Fotos: Waschraum: Russische Stehklos – erst im Jahr 1953 eingebaut; Eingang zum Kellertrakt: Zellen, die mit bis zu zwölf Gefangenen belegt waren