Anzeige
Anzeige

Unbeschwerte Leichtigkeit

Unbeschwerte Leichtigkeit

Unbeschwerte Leichtigkeit

 

Unbeschwerte Leichtigkeit

Anzeige

Kaum traut man seinen Augen: Das ganze Land wogt seit dem Auftaktspiel in einem schwarzrotgoldenen Fahnenmeer, „Deutschland! Deutschland!“-Sprechgesänge ertönen allerorten, Patriotismus, Nationalbewußtsein gar sind en vogue. Diese Welle nationaler Begeisterung, ausgelöst von Poldi, Miro, Basti und Co., kommt offensichtlich einem vitalen Grundbedürfnis entgegen. Unsere Nation ging jahrzehntelang zum Befremden des Auslands in Sack und Asche, hartnäckig kujoniert von einer Gedankenpolizei politischer Tugendwächter, die jedweden Patriotismus sofort als fluchwürdige Ausgeburt des Neonazitums denunzierten und die eigene Geschichte wahrheitswidrig auf zwölf braune Jahre verstümmelten. Nun scheint tatsächlich der so lange vergeblich angemahnte Ruck durch Deutschland zu gehen. Ausgerechnet ein führender Spiegel-Redakteur, Matthias Matussek, verkündete unlängst öffentlich, er habe die Nase voll vom staatlich verordneten Anti-Patriotismus, fühle sich als Deutscher durchaus wohl in seiner Haut und sei stolz auf die Leistungen seines Vaterlandes. Wo sind die Zeiten geblieben, als ein SPD-Bundespräsident Gustav Heinemann unter einhelligem Beifall der Presse verkündete, er könne sein Land nicht lieben, sondern allenfalls seine Frau? Horst Köhler kämen solch einfältige Sentenzen niemals über die Lippen. Auch er freut sich an Deutschland, einig Fahnenland. „Zeit, daß sich was dreht!“ Natürlich melden sich auch während dieser fröhlichen Tage die Berufsmiesmacher aus dem Dunstkreis der Alt-Achtundsechziger, Grünen, PDSler und Gewerkschaften zu Wort. So fordert etwa ein Funktionär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (!), auf das Abspielen unserer Nationalhymne in den WM-Stadien zu verzichten, weil diese Haydn-Melodie andere Nationen provozieren könne. Aber solche Zeitgenossen werden nicht mehr wie früher zu verantwortungsvollen „Mahnern“ und „Warnern“ verklärt, sondern ernten namentlich in den Leserbriefspalten nur Ablehnung und Spott. „Lassen wir uns von diesen Leuten, für die alles Fremde gut und alles Deutsche gefährlich ist, nicht die Freude über unsere Nation nehmen!“ schreibt etwa der Leser einer großen Berliner Zeitung. Den Linken im Lande beschert diese Atmosphäre unbeschwerter Leichtigkeit böse Qualen. Denn das „Volk der Täter“ soll sich, im Gegensatz zu allen anderen gut 200 Nationen dieser Erde, nicht freuen dürfen. Sehnsüchtig wartet man auf das Ende der Weltmeisterschaft, sind doch 72 Prozent aller Deutschen laut Emnid-Umfrage der Meinung, der grassierende Patriotismus werde nach dem Endspiel am 9. Juli schnell wieder abklingen. Kein Zweifel: Das nationale Selbstbewußtsein ist ohne jeden Anhauch von Chauvinismus in den letzten Tagen endlich wieder erwacht. Den Beweis erblickt man auch auf den Fußballplätzen dieser WM. Während Deutschlands Kicker noch vor zehn Jahren beim Abspielen der Nationalhymne mit demonstrativ gelangweilter Mine vor sich hinstarrten und auf ihrem Gummi herumkauten, singen sie heute den Text mit, haken sich unter, zeigen positive Emotionen. Das ist schön, und es ist vor allem ganz normal. Man sieht in diesen Tagen Fußballspieler aus Mexiko, die beim Klang ihrer Hymne strammstehen und der Nationalflagge ihren Gruß entbieten, Azurri, die wie Tenöre das „Fratelli d’Italia“ schmettern und Beckhams Männer, die aus voller Brust ihre „noble Queen“ anflehen, sie möge noch viele Jahre das Land regieren. Auch Argentiniens Ballzauberer schämen sich nicht ihrer Rührung beim Abspielen von „Oid mortales! Libertad! Libertad!“ Dabei geht es trotz aller sportlichen Rivalität bemerkenswert harmonisch zu. Selbst die „Erbfeinde“ aus Holland sind keine unbeherrscht durch die Gegend spuckenden Raufbolde mehr, sondern werden im Training von ihren Nachbarn wie selbstverständlich beklatscht. Der von den Medien bis zum Überdruß strapazierte Begriff „Fan“ trifft eben nicht den Kern der Sache. Denn wir Deutschen benehmen uns keineswegs „fanatisch“, sprich, meinungswütig, blindgläubig, hitzköpfig oder selbstgerecht. Die Gäste aus aller Welt erleben vielmehr ein Land, das stolz auf sich ist und dies völlig zu Recht. Man darf den Tag freilich nicht vor dem Abend loben. Es mag wahrscheinlich sein, daß die Euphorie dieser Weltmeisterschaftstage bald wieder erstickt wird vom berechtigten Unmut über Steuererhöhungen, von Neiddebatten und Pfründengeschacher. Aber vielleicht ist auch ein Prozeß in Gang gekommen, der nicht mehr umkehrbar ist. Sollte von dieser Fußball-Weltmeisterschaft ein normales, positives Verhältnis der Deutschen zu ihrer Nation ausgehen, dann wäre das sogar wertvoller als ein Titelgewinn. Herbert Grönemeyers aktuelle WM-Hymne bringt es auf den Punkt: „Zeit, daß sich was dreht.“ Jan von Flocken ist Schriftsteller und veröffentlichte jüngst das Buch „Unser tausendjähriges Reich. Politisch unkorrekte Streifzüge durch die Geschichte der Deutschen“ (Homilius 2006)

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
Hierfür wurden keine ähnlichen Themen gefunden.