Unter dem Titel „Explosion aus der Vergangenheit“ berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung jüngst über einen tragischen Unglücksfall auf der A3. Bei Bauarbeiten an der Autobahn nahe Aschaffenburg kam es zu einer Explosion, die der Fahrer einer Fräsmaschine mit dem Leben bezahlen mußte. Die Maschine erwischte den Zünder eines Blindgängers, einer Fünf-Zentner-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg, der eine gewaltige Detonation auslöste. Eine Woche zuvor hatte ein ähnlicher Fall für Schlagzeilen gesorgt. Aufgrund eines Munitionsfunds mußten knapp 22.000 Menschen in Hannover aus ihren Wohnungen evakuiert werden, um britische Fliegerbomben aus dem Weltkrieg entschärfen bzw. kontrolliert sprengen zu können. Die spektakulären Fälle – nur deshalb erreichten sie die Medien – verdeutlichen, welche Mengen hochexplosives Material noch heute unter Deutschlands Erdoberfläche schlummern. Allein im Land Brandenburg werden jährlich bis zu 660 Tonnen Kriegsmunition bei Erdarbeiten geborgen. Fachleute beziffern die Anzahl der Blindgänger unter der im Krieg abgeworfenen Bombenlast auf 10 bis 15 Prozent. Und nur die allerkühnsten Optimisten rechnen damit, daß der Boden in 100 Jahren bombenfrei sein wird. Mit Metall-Detektoren auf die Schlachtfelder Doch wo eine Unmasse von Kriegsmunition liegt – allein über Aschaffenburg wurden in kürzester Zeit 27.600 Zentner britische Sprengbomben abgeworfen -, ruhen eben auch noch zahlreiche Kriegstote. Vornehmlich in den Ballungsräumen und auf den zahlreichen Schlachtfeldern des Krieges werden bei Grabungsarbeiten immer wieder die Gebeine getöteter Zivilisten und Soldaten entdeckt. Jedem dieser Kriegstoten eine letzte Ruhestätte zu geben, hat sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zum Ziel gesetzt. Der nach dem Ersten Weltkrieg gegründete Verein betreut derzeit Gräber von rund zwei Millionen Toten auf über 825 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Er wird dabei unterstützt von Organisationen wie dem Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa (VBGO), zahlreichen Mitgliedern, Förderern und der Bundesregierung. Dennoch wird der gewaltigen, über Jahrzehnte geleisteten Arbeit des Volksbunds, sieht man einmal von offiziellen Ehrungen anläßlich des Volkstrauertages ab, kaum die gebührende Aufmerksamkeit zuteil. Das stille Wirken des Volksbundes ist eben nicht so recht kompatibel mit der Aufsehen erheischen Medienwelt von heute. Unglücke wie das auf der A3 sind nur dann eine Schlagzeile wert, wenn sie zumindest mit einer mittelschweren Explosion einhergehen. Wo aber das kollektive Erinnern sich seiner Toten verweigert, sollte wenigstens – so meint man – das persönliche Gedenken überleben. Doch vor allem im Falle der Kriegstoten ist auch das nicht ausgemacht. Schließlich sind die Enkel und Urenkel der Gefallenen durch die Schule der 68er gegangen, die erfolgreich eine ganze Generation zum Tätervolk abstempelte, das keine Träne zu vergießen wert sei. Zudem wird die Chance für die immer kleiner werdende Schar der Hinterbliebenen, meist sind es Mütter und Kinder, volle Gewißheit über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erlangen, von Jahr zu Jahr deutlich geringer. Zirka 1,4 Millionen Soldaten und Flüchtlinge des Zweiten Weltkriegs gelten bis heute als vermißt. Rund 500.000 Suchanfragen jährlich gehen in der ehemaligen Wehrmachts-Auskunftsstelle (Deutsche Dienststelle – WASt) immer noch ein, doch nur in Ausnahmefällen können diese, der Volksbund oder das DRK wirklich weiterhelfen. Den wenigsten ist das Glück und wohl niemandem die mediale Aufmerksamkeit eines Gerhard Schröder beschieden, als der nach 60 Jahren endlich an das Grab seines gefallenen Vaters in Nordsiebenbürgen treten konnte. Dabei hatte es der Ex-Kanzler allein einer Anfrage seiner älteren Schwester Gunhild an die WASt zu verdanken, daß er nun um die letzte Ruhestätte seines Vaters wußte und diese Karte im politischen Wahlkampf – wie die JF seinerzeit wohl zu Recht vermutete – ausspielen konnte. Bei der WASt lagern alle Informationen über deutsche Gefallene, darunter auch Angaben von Soldaten, die ihre Kameraden noch auf dem Schlachtfeld begruben. Derartige Details sind mittlerweile unerläßlicher denn je, da die erfolgreiche Suche und vor allem Identifizierung der Kriegstoten längst zu einem Wettlauf mit der Zeit geworden ist. Schließlich gelten bis heute mehrere 100.000 deutscher Soldaten vor allem in Osteuropa als vermißt. Während neueste Schätzungen davon ausgehen, daß etwa in Frankreich noch nach rund 7.000 deutschen Kriegsteilnehmern gesucht wird, bewegen sich die Zahlen im ehemaligen Nordostpreußen um die 100.000. Eine ähnlich hohe Rate wird für das schmale Territorium des heutigen Moldawien veranschlagt, das in diesem Sommer – als letzte der 15 ehemaligen Sowjetrepubliken – einen deutschen Soldatenfriedhof erhielt. Zwar konnte der Volksbund seit 1992 allein in Osteuropa 500.000 Soldaten umbetten, doch der Aufwendungen bei der Suche, Bergung und Identifizierung sind immens, die finanziellen Mittel äußerst beschränkt. Und die Zeit wird knapp. Denn immer mehr Hobby-Archäologen drängt es mit ihren Detektoren auf die Schlachtfelder. Vor allem in der Region um Stalingrad werden immer mehr Grablagen deutscher und sowjetischer Soldaten geplündert. Den Suchgruppen des Volksbunds oder des VBGO bleibt dann nichts anderes mehr üblich, als nur noch die sterblichen Überreste zu bergen. Eine Identifizierung der Gefallenen ist dann nicht mehr möglich. In diesem Zusammenhang sorgte unlängst ein tschechisches Boulevardblatt für Aufsehen, das den überraschenden Fund von 4.000 deutschen Kriegstoten in einer ehemaligen Fabrikhalle im böhmischen Aussig vermeldete. Bild nahm die Meldung auf und titelte „Schande“. Doch stellte sich der angebliche Fund weder als Überraschung heraus, noch handelte es sich streng genommen um einen Fund. Dies sei lediglich, erklärte der Volksbund, eine von mehreren provisorischen Aufbewahrungsstätten von Kriegstoten. Leider mangele es dem Verein an der erforderlichen finanziellen Ausstattung, um jederzeit neue Sammelfriedhöfe bauen bzw. bereits bestehende erweitern zu können. Der Bund schloß seine Erklärung mit dem Fazit: „Eine solche Unterbringung der Gebeine ist allemal würdiger als ihre Freigabe zur Plünderung“. Zwar mag eine solche Aussage zynisch klingen, bei genauerem Hinsehen jedoch stellt sie sich leider als Faktum heraus. Denn ob nun an der Wolga, in den Masuren oder in den Wäldern Brandenburgs: Geplünderte Kriegsgräber findet man überall. Grabräuber haben es dabei nicht nur auf Waffen, Helme und Koppelschlösser abgesehen, die sich auf dem internationalen Militaria-Markt gut zu Geld machen lassen, sondern auch auf die Erkennungsmarken der Toten. Diese tauchen dann im Internethandel, auf den zahlreichen Flohmärkten Osteuropas auf, werden von Mittelsmännern weitergereicht. Einen Eindruck davon, was auf den Märkten alles angeboten wird, erhält man in zahlreichen Internet-Foren wie http.//forum.ahnenforschung.net: „Bin gerade aus Krakau zurück“, schreibt etwa ein Benutzer, „dort auf dem Flohmarkt gab es jede Menge alte (deutsche) Adreßbücher, Wehrpässe, Soldbücher, Orden, Medaillen, sogar Stielhandgranaten, SS-Uniformen etc.“ Und er ergänzt: „Was mich (…) am meisten schockiert hat, war, daß dort eine hohe Anzahl an Erkennungsmarken von Wehrmachtsoldaten angeboten wurde. Das bedeutet, daß da höchstwahrscheinlich Gräber von gefallenen Soldaten geplündert wurden.“ Aber nicht nur auf Flohmärkten wie in Krakau wird man fündig, sondern auch im Internet selbst, etwa beim Besuch der Versteigerungsplattform eBay. Unter dem Suchwort „Erkennungsmarke“ finden sich derzeit rund einhundert Angebote. Die Einstiegsgebote liegen bei zwei bis zehn Euro. Für die Marke „Fliegerhorst Kommandantur, Leitstelle“ liegen bislang sechs Gebote vor. Der Meistbietende will derzeit 19,50 Euro ausgeben. Mehr als ein Dutzend dieser Angebote gehen auf einen Anbieter zurück, der die Marken ausdrücklich als Bodenfunde ausweist. Zwar versichert der Anbieter – wie die meisten anderen auch -, daß die von ihm angebotenen Erkennungsmarken von Flohmärkten oder Militaria-Börsen und nicht von Kriegsgefallenen stammten, doch wer mag daran angesichts des florierenden Handels mit den Hinterlassenschaften gefallener Soldaten wirklich glauben. Mehr Unterstützung durch eBay wäre hilfreich In einigen Fällen mag es zwar angehen, daß ein eBay-Anbieter die Marken auf legalem Wege erworben hat, so daß es rechtlich gesehen – anders als beim Erfassen von Raubgräbern auf frischer Tat – keine Möglichkeiten zur Unterbindung des Handels gibt. In anderen mag es in der Tat mühsam oder gar aussichtslos sein, die ursprüngliche Herkunft der Marken zu prüfen. Doch das eigentliche Problem ist der Handel selbst bzw. der weltweit florierende Markt, der dafür sorgt, daß weiterhin Kriegsgräber geplündert werden. Der Volksbund hat sich bereits im Jahr 2003 mit diesem Problem an die Wehrmachts-Auskunftsstelle gewandt. Diese wurde gebeten, sich mit eBay darüber zu verständigen, daß das Unternehmen den Handel mit Erkennungsmarken freiwillig aussetzt oder zumindest verstärkt kontrolliert. Doch die Auktionsplattform gab sich zunächst wenig kooperativ. „Auktionen von Erkennungsmarken, die nachweislich von vermißten Soldaten stammen“, hieß es in einer Stellungnahme gegenüber Spiegel online, seien dem Unternehmen „nicht bekannt“. Die angebotenen Marken könnten schließlich auch „aus Dachbodenfunden stammen oder von dem Träger an den Sohn oder den Enkel verschenkt worden sein“. Ganz geheuer scheint eBay das Treiben mittlerweile – gut drei Jahre später – jedoch nicht mehr zu sein. Die Auktionsplattform zeigt sich „selbst daran interessiert, die Versteigerung von Erkennungsmarken und anderen Gegenständen zweifelhafter Herkunft zu unterbinden“, erklärt der Generalsekretär des Volksbundes Rainer Ruff beschwichtigend, doch wäre eben noch „mehr Unterstützung durch das Unternehmen denkbar“. Denn Erkennungsmarken werden weiterhin angeboten – nicht nur bei eBay. Weit mehr Plattformen halten den weltweiten Internethandel mit dog tags, „Hundemarken“, am Laufen. Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Info: 01 80 / 5 70 09-99, www.volksbund.de ; Deutsche Dienststelle (WASt), Info: 030 / 41 904-0, www.dd-wast.de . Stichwort: Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa e.V. Der 1992 gegründete Verein zur Bergung Gefallener in Osteuropa e.V. (VBGO) hat sich zum Ziel gesetzt, denen, die fern der Wege gefallen sind, eine würdige Bestattung zu ermöglichen: ihnen ihren Namen zurückzugeben. Seither hat der gemeinnützige Verein mit seinen 200 ehrenamtlichen Mitgliedern und mit Hilfe vieler Freiwilliger in Osteuropa über 6.000 Vermißte unterschiedlichster Nationen geborgen. Die Arbeit ergänzt den Aufgabenbereich des Volksbundes, des DRK-Suchdienstes und der Deutschen Dienststelle. Info: 040 / 85 41 89 70, www.vbgo.de .
- Sonderthema