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Geschichtswenden sind möglich

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Geschichtswenden sind möglich

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Hören Sie sich einmal um, schauen Sie in die Zeitung und in das Fernsehprogramm: Wo finden Sie etwas über den 9. November 1989? Bei ARD und ZDF: Sendepause. Vor 17 Jahren fiel in Berlin die Mauer, die Deutschen aus Ost und West sanken sich in die Arme, alle Widerstände gegen die Wiedervereinigung des 40 Jahre zerrissenen Landes wurden über Nacht weggefegt und der Weg zur Einheit beschritten. Millionen Deutsche feierten damals das Ende ihres nationalen Traumas. 17 Jahre danach herrscht gespenstische Stille. Es scheint, als sei der November ein volkspsychologisch ungünstiger Monat, um der Freude Ausdruck zu geben. Es ist der Monat des Totengedenkens. Das fallende Herbstlaub ist die Allegorie auf das Ende allen Lebens. Ende November bestimmen deshalb traditionell der Volkstrauertag, an dem wir der Gefallenen und Kriegstoten gedenken, und der Totensonntag die kollektive Erinnerung. Hätte doch Günter Schabowski, der Sprecher des DDR-Regimes, seine grenzöffnenden Worte darüber, daß ab sofort „Privatreisen nach dem Ausland … ohne Vorliegen von Voraussetzungen“ möglich sind, einen Tag später verlesen, dann kollidierte das Jubiläum des Mauerfalls nicht mit dem Hitlerputsch vom 9. November 1923 und den antijüdischen Ausschreitungen der „Reichskristallnacht“ vom 9. November 1938. Nun symbolisiert schicksalhaft der 9. November dunkle und helle Wendepunkte der deutschen Geschichte. Es finden zahllose Mahn- und Gedenkveranstaltungen in Deutschland statt, die an den 9. November 1938 erinnern. Daß der Pogrome gedacht wird, insbesondere von den jüdischen Gemeinden, aber auch von Kommunen, in denen es zu Ausschreitungen kam, ist normal. Weshalb aber das Schweigen im Fernsehen, seitens der Bundesregierung, der Behörden zum Jahrestag des Mauerfalls? Weshalb das Schweigen aber auch der Deutschen selbst? Haben wir Schwierigkeiten damit, uns über die glückliche Wende der Geschichte zu freuen? Weshalb gehört es zum guten Ton, sich masochistisch fast ausschließlich der Tiefpunkte der eigenen Geschichte zu erinnern? Warum ist es so schwer, kenntlich zu machen, daß zu Schatten auch Licht gehört? Gerade angesichts der sich immer weiter verschärfenden Frage, in welche Identität in Deutschland Neubürger integriert werden sollen, wird es immer akuter, das Konzept einer negativen Gedenkpolitik zu revidieren. Einem Kollektiv, das sich primär als Scham- und Schuldgemeinschaft empfindet, das sich aber auch nicht deutlich und spürbar seines historischen Daseins freut, will keiner gerne beitreten, allenfalls in Phasen relativer wirtschaftlicher Prosperität und komfortabler Sozialsysteme. Was aber hält die Gemeinschaft in der Krise zusammen? Der 9. November 1989 ist das Symbol für die Möglichkeit von Geschichtswenden. Nichts ist endgültig. Nicht der Werteverfall. Nicht der demographische Niedergang. Nicht die Einebnung nationaler und regionaler Kulturen, Sprachen, Identitäten im Zeitalter galoppierender Globalisierung. Er ist auch ein Symbol für die Sehnsucht nach individueller, aber auch kollektiver Freiheit. Den scheinbar allmächtigen Bemühungen, diese einzuschränken, muß konsequenter Widerstand entgegengesetzt werden.

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